Amtseinführung Erdoğans in der Türkei: Auf dem Gipfel seiner Karriere
Der alte und neue Präsident der Türkei ist nun in seinem Amt vereidigt. Auch nach dem Notstand kann er weiter per Dekret regieren.
Was für die einen eine historische Zäsur und die Gründung der zweiten Türkischen Republik ist, ist für die anderen das endgültige Ende einer demokratischen pluralistischen Türkei. Mit dem Amtseid, den Erdogan am Nachmittag im Parlament ablegte, tritt nun die vor einem Jahr per Referendum angenommene neue Präsidial-verfassung in Kraft. Präsident Erdoğan ist ab sofort alleiniger Chef der Exekutive, er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, die Geheimdienste berichten ihm direkt und die Polizei versteht sich als „Polizei Erdoğans“.
Erstmals seit Gründung der Republik 1923 gibt es keinen Ministerpräsidenten mehr. Die Minister sind nicht mehr dem Parlament rechenschaftspflichtig, sondern arbeiten im Auftrag Erdoğans. Sie werden vom Präsidenten ernannt und gefeuert.
Bereits in den letzten beiden Jahren hat Erdoğan während des Ausnahmezustands per Dekret regiert und damit quasi als Alleinherrscher, da das Parlament schon weitgehend ausgeschaltet war und seine Dekrete vor Gericht nicht angefochten werden konnten. Der Ausnahmezustand soll jetzt am 18. Juli auslaufen, viel ändern wird sich dadurch nicht. Erdoğan wird weiter per Präsidialdekreten regieren, die mit Veröffentlichung im Amtsanzeiger Gesetzeskraft erlangen.
Eine Zustimmung des Parlaments ist nicht notwendig. Das Parlament kann ein Dekret nur aufheben, falls es mehrheitlich ein neues Gesetz zum selben Thema verabschiedet. Da Erdoğan aber als Parteichef auch die AKP-Mehrheitsfraktion im Parlament kontrolliert, wird das voraussichtlich nicht passieren.
Auch die dritte Gewalt, die Justiz, wird indirekt vom Präsidenten kontrolliert. Formal werden alle Richter und Staatsanwälte durch den „Rat der Richter und Staatsanwälte“ ernannt. Doch dieser Rat ist nicht länger unabhängig. Vier seiner 13 Mitglieder werden direkt vom Präsidenten ernannt, sieben Mitglieder durch das vom Präsidenten kontrollierte Parlament. Dazu kommen der vom Präsidenten ernannte Justizminister und dessen Staatssekretär.
Erdoğan hat in seinen jüngsten Reden angekündigt, dass er seine neue Macht vor allem dazu nutzen wird, die „Bürokratie-Oligarchie“ abzuschaffen, um so das handeln der Regierung zu beschleunigen. Künftig soll es keine eigenständigen Institutionen im Staat mehr geben, die sich gegen Entscheidungen des Präsidenten stellen könnten.
Diese Machtfülle hat aber für Erdoğan den Nachteil, dass er nun für jede negative Entwicklung im Land direkt verantwortlich ist. Vor der Wahl haben seine Anhänger die Erwartung geäußert, dass Erdoğan mit uneingeschränkter Macht die kriselnde Wirtschaft stabilisieren wird. Auf die Ökonomie, verbreiteten jetzt Erdoğan nahe Medien, wird der Präsident jetzt sein Hauptaugenmerk richten.
Für die Bürger der Türkei ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht. Schon vor Wochen hatten internationale Finanzanalysten gewarnt, dass die Person des Präsidenten selbst die Hauptursache für die anhaltende Kapitalflucht und die damit verbundene Schwächung der türkischen Lira sei. Haben sie recht, muss sich das Land auf schwierige Zeiten einstellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr