Ampel beschließt Entlastungen: Es ist ein Kompromiss
Die Ampel entlastet die Bürger:innen von hohen Energiekosten. ÖPNV für neun Euro pro Monat, 300 Euro für Beschäftigte und die Benzinsteuer sinkt.
Das Ergebnis kann als klassischer Kompromiss bezeichnet werden. So zählten Lindner, Lang und Klingbeil der Reihe nach auf, was ihren Parteien besonders wichtig war. Im wesentlichen sind es drei Punkte, die auf schnelle Entlastung zielen: Alle steuerpflichtigen Erwerbstätigen erhalten einen staatlichen Zuschuss von 300 Euro, die Benzin- und Dieselsteuer sinkt für drei Monate um 30 beziehungsweise 14 Cent und alle Bürger:innen können 90 Tage lang den öffentlichen Nahverkehr für neun Euro pro Monat benutzen.
„Kurzfristig und befristet schützen“
Die Regierung wolle die Bürger:innen „kurzfristig und befristet schützen“, erklärte Lindner. Lang bezeichnete die Maßnahmen als „soziale Entlastung und energiepolitische Unabhängigkeitserklärung“.
Die „Energiepreispauschale“ von 300 Euro funktioniert so: Alle „einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen“ bekommen den Zuschuss demnächst zusammen mit ihrem Monatslohn von den Arbeitgebern ausgezahlt. Die holen sich die Ausgaben vom Staat zurück. Für Selbstständige wird das Finanzamt die Steuervorauszahlung um 300 Euro reduzieren. Wichtig: Der Zuschuss ist zu versteuern. Bei einem individuellen Grenzsteuersatz von beispielsweise 30 Prozent behält das Finanzamt nächstes Jahr knapp 100 Euro davon wieder ein. Etwa 40 Millionen Erwerbstätige können sich auf die Unterstützung freuen. Wer jedoch einen Minijob macht, geht laut Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) leer aus.
Die Idee des Zuschusses stammt von SPD und Grünen. Weil die Beschäftigten pro Kopf denselben Betrag erhalten, profitieren Leute mit niedrigen Einkommen relativ stärker als Personen mit hohen Verdiensten. Diese soziale Staffelung wird durch die Versteuerung des Zuschusses unterstützt. Wer wegen des hohen Gehalts viele Steuern zahlt, muss von den 300 Euro mehr zurückzahlen als Niedrigverdiener.
Etwa 7,5 Milliarden Euro dürfte die Pauschale den Staat kosten, hat Bach grob überschlagen. Insgesamt betrügen die Aufwendungen etwa 13,5 Milliarden Euro – ungefähr so viel wie das erste Entlastungspaket. Finanzieren will die Regierung diese Zusatzausgaben über neue Schulden im sogenannten Ergänzungshaushalt für 2022.
Linders Tankrabatt vom Tisch
Grünen-Chefin Lang stellte den Quasi-Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr heraus. Das Neun-Euro-Ticket, das es drei Monate geben soll, ermöglicht der Mehrheit der Bundesbürger:innen nahezu kostenlos in ihrer Stadt oder Region unterwegs zu sein. Millionen Leute können damit die steigenden Benzinkosten ausgleichen. Der Bund soll die finanziellen Ausfälle der Verkehrsbetriebe mit seinen Regionalisierungsmitteln an die Länder kompensieren, beschloss die Ampel.
Die Dritte im Bunde, die FDP, kann sich die Senkung der Energiesteuer für Autotreibstoff zugutehalten. Mit der Idee eines Tankrabatts, mit der Lindner kürzlich unabgesprochen vorstieß und was für Unmut bei Grünen und SPD sorgte, konnte er sich aber nicht durchsetzen. Herausgekommen ist ein gesichtswahrender Kompromiss. Darauf, dass die Tankstellen die Preissenkung nun an die Verbraucher:innen weitergeben, will die Regierung achten.
Außerdem will die Ampel einen zusätzlichen Kinderbonus von 100 Euro zusammen mit dem Kindergeld ausschütten. Bezieher:innen von Sozialtransfers wie Hartz IV bekommen ebenfalls 100 Euro Extra-Überweisung. Rentner:innen erwähnt die Koalition in ihrem Entlastungskatalog dagegen nicht.
Zusammen mit dem ersten Entlastungspaket der Ampel vom Februar dürften die addierten staatlichen Maßnahmen, Steuersenkungen und Zuschüsse in 2022 nun für viele Haushalte 600 oder 700 Euro erreichen. Das sind nennenswerte Erleichterungen, wenngleich sie in vielen Fällen nicht die kompletten Zusatzkosten durch höhere Gas-, Benzin- und Stromrechnungen ausgleichen.
Gleichzeitig beinhaltet der Beschluss zahlreiche Vorhaben, um den Verbrauch fossiler Energie zu vermindern, die Abhängigkeit von Russland zu verringern und die erneuerbaren Energien auszubauen. So soll ab 2024 „jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent“ mit Ökoenergie laufen. Immobilienbesitzer:innen sollen alte Heizungen nach 20 Betriebsjahren durch regenerative Modelle austauschen.
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