Ampel-Koalition und Coronapolitik: Von Harmonie keine Spur
Die frischgebackene Koalition hat auf Biegen und Brechen ein neues Infektionsschutzgesetz beschlossen. Warum das keine gute Idee ist.
Der Sozialdemokrat Lars Klingbeil, der Grüne Michael Kellner und der FDP-Mann Volker Wissing stehen fröstelnd vor einem Tross JournalistInnen. Der Auftritt der Ampel-Männer vor der Landesvertretung von Rheinland-Pfalz in Berlin-Mitte am Dienstagmittag wirkt improvisiert. Jeder sagt ein paar knappe Worte, manche davon werden von vorbeifahrenden Autos verschluckt.
Die Botschaft ist: Keine Zeit für Medien. SPD, Grüne und FDP müssen arbeiten. Die drei verkünden eigentlich eine gute Nachricht. Nächste Woche ist der Koalitionsvertrag fertig. Also fast so schnell wie geplant. FDP-Mann Wissing lobt, dass man schneller als erwartet vorankomme. Auch der Grüne Michael Kellner ist zufrieden. Es gebe aber noch dicke Bretter, sagt er. Welche, sagt er nicht.
„Fortschrittskoalition“ klingt bemüht
Der einzige Erfolg der Ampel ist bis jetzt, dass sie fast alles unter der Decke hält. Wie die Kompromisse aussehen, wer wie Konflikte managt, wer welche Deals macht – es ist unklar. Und das ist in Zeiten, in denen Krisensitzungen der MinisterpräsidentInnen oder der CDU oft live auf Twitter verfolgbar sind.
Genau das lobt Klingbeil. Obwohl 300 FachpolitikerInnen beteiligt waren, sei nichts an die Öffentlichkeit gedrungen. Klingbeil schwärmt noch von der „Fortschrittskoalition“, ein Wort, das anfangs oft benutzt wurde. Jetzt klingt es etwas bemüht.
Denn die Honeymoon-Phase, als Grüne und FDP Selfies machten und vollmundig eine ganz neue politische Kultur beschworen wurde, ist vorbei. Man sieht jetzt, wie die Ampel tickt. Die FDP drängt nach vorn und wird wohl Christian Lindner als Finanzminister durchsetzen. Auch SPD-Linke, die den FDP-Chef vor ein paar Wochen noch für einen gefährlichen Neoliberalen hielten, haben sich damit achselzuckend abgefunden.
Keine Klimaregierung
Die regierungserfahrene SPD spielt den ruhenden Pol. Die Grünen wirken hingegen immer nervöser. Ex-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hatte im Wahlkampf gesagt, diese Regierung sei die letzte, die noch aktiv Einfluss auf die Klimakrise nehmen könne. Damit hat sie die Latte sehr hoch gelegt.
Jetzt stellen die Grünen ernüchtert fest, dass die Ampel keine Klimaregierung wird. Stattdessen gebe es eine Arbeitsteilung, klagen Grünen-Verhandler. Sie seien fürs Klima zuständig, und SPD und FDP ließen sich jede ökologische Zusage teuer bezahlen.
Auch über den Koalitionsvertrag machen sich manche Grüne keine Illusionen. Man werde zwar entscheidende Hürden für Klimaschutz beseitigen, aber den 1,5-Grad-Pfad nicht streng erfüllen, sagt eine Verhandlerin. „Die Deutschen werden genau so viel Klimaschutz bekommen, wie sie gewählt haben“, sagt eine andere Grüne. Soll heißen: Mit 14,8 Prozent ist nicht mehr drin. Die Grünen, ätzt dagegen eine SPD-Verhandlerin, müssten lernen, dass administratives Handeln etwas anderes ist als eine Fridays-for-Future-Parole.
Die FDP machte Druck
Und dann gibt es noch Coronapolitik. Der Zoff darum zeigt, wie sehr die Ampel unter Spannung steht. Es ist eine Geschichte von Ehrgeiz am falschen Ort. Eine Irrfahrt, in der die Ampelparteien am Ende doch noch in der Realität ankommen, irgendwie. Und sehr, sehr spät.
Schon kurz nach der Wahl entstand die Idee, die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ durch ein neues Infektionsschutzgesetz zu ersetzen. Die Grünen waren dafür offen. Es geht ja um mehr Parlamentsbeteiligung. Die FDP, die sich als Kämpferin gegen übertriebene Coronamaßnahmen, für Freiheit und gegen Gängelung, versteht, war Feuer und Flamme.
Die FDP machte Druck, die Grünen machten mit, die SPD sank dahin. Heraus kam im Oktober ein Gesetzentwurf, der die epidemische Lage beendete, Sonderbefugnisse des Gesundheitsministers kappte – und den Ländern wichtige Instrumente aus der Hand schlug. Alle drei Parteien hofften nach dem Sommer, dass sich Corona so langsam erledigen würde.
Inhaltlich mangelhaft
Am 27. Oktober lächelte die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt vor der blauen Wand in der Berliner Bundespressekonferenz. „Man kann sagen, die Ampel funktioniert auch, bevor es sie gibt“, sagt sie bei der Präsentation des Gesetzentwurfs. Neben ihr saßen Dirk Wiese (SPD) und Marco Buschmann (FDP). Inhaltlich war der erste Entwurf mangelhaft.
Dennoch waren die Beteiligten stolz auf sich. Die Botschaft ist einfach zu verlockend: Die Ampel schützt Bürgerrechte und macht alles besser als früher. Buschmann verkündete am 27. Oktober fröhlich, es drohe „keine systemische Überlastung des Gesundheitssystems mehr“.
Kommunikativ wirkt das angekündigte Ende der Coronanotlage katastrophal. Die Ampel blinkt grün und rot gleichzeitig. Entwarnung und Warnung. Es gibt die Pandemie noch, aber alles wird gut. Diese Doppelbotschaft ist, bei stagnierender Impfquote und immer mehr Infektionen, fatal. Anstatt mit Booster-Zentren und 2G-Regeln die Infektion zu stoppen, haben wir, sagt ein SPD-Mann, darüber geredet, „was wir alles nicht mehr machen wollen“. Selbst ein Hauch von Freedom Day, das Ende aller Coronamaßnahmen im März, lag in der Luft. Im Rückblick wirkt das wie ein Stück aus dem Tollhaus. Dabei ist es erst drei Wochen her.
Das Handwerk
Die Euphorie verzog sich so rasch wie ein Aerosol im Herbststurm. Vier grüne Landesminister protestierten gegen die Pläne der eigenen Partei, Weltärztebund-Chef Frank Ulrich Montgomery ist alarmiert. Die Ampel passte das Gesetz hektisch den steigenden Infektionen an. Es wirkt, als beherrsche das Bündnis sein Handwerk nicht.
Am Montag legte die Grüne Katrin Göring-Eckardt dann den nächsten peinlichen Stunt hin. Mittags kündigte sie eine Impfpflicht für Pflegeheime und Kindertagesstätten an. Wenige Stunden später musste sie zurückrudern – es gebe keine Einigung. „Eine Kommunikationspanne“, hieß es bei den Grünen. Die passierte auch FDP-Chef Lindner. In einem Interview in den „Tagesthemen“ behauptete er, es sei „wissenschaftlich erwiesen“, dass Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen nichts nutzen. Später will er damit nur Ausgangssperren für Geimpfte gemeint haben.
Doch der Eindruck bleibt: Die FDP singt weiter konfrontativ ihr altes Lied. Lindner klingt wie ein Oppositionspolitiker, der die Regierung angreift, nicht wie jemand, der einer der mächtigsten Minister in der nächsten Regierung wird. Es ist wie 2009, als der FDP der Rollenwechsel von der Opposition zur Regierungspartei misslang.
Mehrheit steht, Preis ist hoch
Am Donnerstag setzten die Ampelparteien das Infektionsschutzgesetz im Bundestag gegen die Union durch. In der Debatte wirft man sich gegenseitig Versagen vor – was angesichts der dramatischen Coronalage engherzig wirkt. Abends verkündeten Angela Merkel und Olaf Scholz nach dem Treffen mit den MinisterpräsidentInnen endlich konkrete Maßnahmen. Wenn sich die Intensivstationen füllen, kann es einen Lockdown für Ungeimpfte geben. Wenn es ganz schlimm kommt, sind wieder jene Kontaktbeschränkungen möglich, die Lindner vor ein paar Tagen zu unwirksamen Grundrechtseinschränkung erklärt hatte.
Rein machtpolitisch ist der holprige Ampel-Start erfolgreich. Die Mehrheit im Bundestag steht. Der Bundesrat winkt das Gesetz am Freitag durch. Doch der Preis ist hoch. Man hat viel Zeit verloren – für eine Trophäe, für ein Gesetz, das derzeit niemand braucht. Nächste Woche soll der Koalitionsvertrag präsentiert werden. Man wird sehen, ob er die gleiche Handschrift trägt wie dieses Gesetz. Die FDP schreibt die Agenda vor, SPD und Grüne geben nach.
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