Altersdiskriminierung von Frauen: In Würde altern – unmöglich
Viele Frauen betonen, würdevoll altern zu wollen. Dies funktioniert aber nicht in einer Gesellschaft, in der eine Frau nicht alt sein soll.
Es ist wie ein Mantra: In Interviews erklären weibliche Prominente immer wieder: Sie möchten „in Würde altern“, Pamela Anderson will es, Halle Berry und Meryl Streep wollen es, so wie es auch Anastacia, Cameron Diaz, Kim Wilde wollen: Alle wollen „in Würde altern“.
Wer die Phrase „in Würde altern“ hört, mag zuallererst an die Zustände in Pflegeheimen denken, an Inkontinenz, Schwerhörigkeit oder an die Furcht vor der Demenz. Klar, alle möchten bis ins hohe Alter selbstständig sein, zu Hause leben, gesund sein oder zumindest angemessen gepflegt werden. Ich auch.
Doch jene Art von Altern meinen die oben erwähnten und weitere Frauen nicht. Sie sprechen davon „das Älterwerden als natürlichen Prozess zu akzeptieren“ (Heike Makatsch). Man solle „nicht gegen sein Alter anspielen“ (Sabine Postel). Oder: „Ich möchte meiner Tochter vorleben, dass es etwas Schönes sein kann, in Würde zu altern“ (Désirée Nosbusch).
Implizit schwingt da mit: Bloß nicht wie Madonna werden. Die Popsängerin, vor einem Monat 62 Jahre geworden, dient immer wieder als Negativbeispiel dafür, wie eine Frau würdelos altere. Sie sei zu muskulös, zu sexy und solle sich einfach mal zur Ruhe setzen, anstatt der Welt ihren Körper zu präsentieren, liest man in Kommentaren.
Als Reaktion auf ein Video, in dem Madonna ihr Gesäß zum sogenannten Twerking in die Kamera hält, beugte sich Good-Morning-Britain-Moderator Piers Morgan mit gespielter Übelkeit über einen Mülleimer und erklärte: „Man kann mit 58 nicht so herumtanzen. Macht das weg!“
Diktat der Gesellschaft
Vielleicht könnte man meinen, dass es anmaßend ist, dass ich, mit Ende zwanzig, einen Text über das Altern schreibe. Doch auch ich lächele, wenn ein Mensch mich jünger schätzt. Auch ich stehe manchmal vor dem Spiegel und fahre mit meinem Finger über die feinen Linien auf meiner Stirn, die vor einigen Jahren nicht dort waren. Denn auch ich habe das Diktat einer Gesellschaft verinnerlicht, in der eine Frau nicht alt sein soll.
Altersdiskriminierung wird in unserer Gesellschaft selten thematisiert. Insbesondere im Verhältnis zu deren Verbreitung. Laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2017 zu Diskriminierungserfahrungen wurde am häufigsten von Diskriminierung auf Grundlage des Alters berichtet. 9,9 Prozent der Befragten gaben an, dass dies auf Grund eines vermeintlich zu hohen Lebensalters geschah. 44,4 Prozent der Europäer*innen empfinden, laut einer Studie der Universität Kent, Altersdiskriminierung als schwerwiegendes Problem.
Frauen sind von Altersdiskriminierung besonders betroffen. Das zeigt sich unter anderem auf dem Arbeitsmarkt: Laut einer Studie aus den USA erhalten Frauen unter 45 fast doppelt so häufig eine Einladung zum Bewerbungsgespräch wie Frauen, die dieses Alter überschritten haben.
Auch Schauspielerinnen, wie die oben genannten, haben es, bis auf wenige Ausnahmen, im Alter nicht leicht. Ihre Gagen fallen ab Mitte 30, während ihre männlichen Kollegen im Alter von 52 am besten verdienen, schreibt das Magazin fluter.
Auch prominente Männer, wie etwa George Clooney, erklären in Interviews immer mal wieder, dass auch sie in Würde altern wollen. Doch wenn ihre grauen Haare als sexy gepriesen werden, wenn man immer wieder liest, ein Mann sei wie ein guter Wein, der im Alter immer besser werde, dann ist das leicht gesagt.
Bitte nicht zu dick, bitte nicht zu sexy
Auch eine viel jüngere Partnerin ist kein Problem, während Madonna ihre Liebesbeziehungen zu jungen Männern in den Medien verteidigen muss. Ja, auch Männer erleben Altersdiskriminierung, doch es wird deutlich, dass sie Frauen in einer anderen Qualität widerfährt.
Denn im Leben von Frauen überkreuzt sich Altersdiskriminierung mit Sexismus, von dem sie ohnehin betroffen sind. Damit steht das, was sie erleben, im Kontext der unmöglichen Ansprüche an Frauen, welche sich durch jede Altersklasse ziehen: Dick sollten wir auf keinen Fall sein. Zu dünn auch nicht. Geschminkt, ja, aber nicht „zugekleistert“. Zu viel verhüllen sollen wir nicht, zu viel aber auf gar keinen Fall. Zu sexy darf es auch nicht sein, denn damit fordern wir „das Falsche“ heraus, nicht wahr?
Genauso ambivalent verhält es sich mit dem Altern. So schön es klingt, das Älterwerden anzunehmen, so wenig hat es mit der Realität zu tun. Denn wenn eine Frau vermeintlich „in Würde altert“ und sich so zeigt, ist es der Gesellschaft auch nicht genehm.
Als Sarah Jessica Parker auf den Fotos der Met Gala 2018 mit deutlichen Falten zu sehen war, kommentierten Menschen auf Twitter: „Ihre Haut sieht aus wie Baumrinde“ und „sie sieht aus, als wäre sie 89“. Zu diesem Zeitpunkt war Sarah Jessica Parker 53 Jahre alt. Die oben genannte Heike Makatsch machte selbst Werbung für eine Anti-Falten-Creme. Sieht so „das Älterwerden als natürlichen Prozess akzeptieren“ aus? Es fühlt sich verlogen an.
Der Wunsch, würdevoll zu altern, wie es die zitierten Schauspielerinnen verstehen, ist absurd. Denn in dieser Gesellschaft ist der Anspruch an alternde Frauen, sich so jung zu repräsentieren, wie es nur geht. Weil das Altern in unserer Gesellschaft ausschließlich mit einem Pfeil daherkommt, der in die Richtung von Verfall und Verlust zeigt.
An der Fruchtbarkeit wird der Wert der Frau bemessen
Doch das (zumeist optische) „Verjüngen“ hat seine Obergrenze. Wer dies zu offensichtlich tut, so zeigt das Beispiel Madonna, macht sich verdächtig, sich dem Platz in der Gesellschaft entziehen zu wollen, der alternden Frauen zugewiesen wird. Nämlich in der letzten Reihe.
Gestraft wird auch die Alternde, die sich zu sexy repräsentiert. Sie steht unter Verdacht, über den vermeintlichen Mangel, nämlich den der Reproduktionsfähigkeit, hinwegzutäuschen. Denn die Fruchtbarkeit ist noch immer etwas, woran der Wert und damit die Würde einer Frau in dieser Gesellschaft hängt.
Hier zeigt sich: In Würde altern funktioniert nicht, wenn wir nicht von jeher mit Würde behandelt werden. Aber genau das ist der Fall. Frauen werden nicht erst im Alter in der letzten Reihe platziert. Wir sitzen von jeher auf den billigen Plätzen der Gesellschaft.
Wie würdevoll sollen wir uns fühlen, wenn unsere Leistungen noch immer weniger anerkannt und vergütet werden als die von Männern? Wie würdevoll sollen wir uns fühlen, wenn 39 Prozent der Frauen in Deutschland zweideutige Witze am Arbeitsplatz ertragen müssen? Wie würdevoll sollen wir uns fühlen, wenn alle 72 Stunden in Deutschland ein Femizid geschieht?
Auch wenn die oben zitierten prominenten Frauen gegenüber ihren männlichen Kollegen oftmals benachteiligt sind, so nehmen sie doch eine privilegierte Position in dieser Gesellschaft ein. Sie haben etwa im Alter keine finanziellen Sorgen, wie andere Frauen in Deutschland, welche laut Bertelsmann-Stiftung im Schnitt 711 Euro Rente bekommen (Männer erhalten übrigens 1.148 Euro, Deutschland hat die größte Rentenlücke in der EU). Sie verfügen über ein soziales Netz und entsprechen dem Schönheitsideal.
Vielleicht denken sie deshalb nicht daran, welche Implikationen ihre Aussagen haben, wenn sie in Würde altern als individuelles Projekt repräsentieren, welches allein unserer persönlichen Entscheidung obliegt.
Nichtdestotrotz verschleiern sie damit, dass es sich hier um ein strukturelles Problem handelt. Ein Problem, das nicht erst mit dem Altern beginnt. Denn in einer Gesellschaft, in der Frauen von Anfang an wenig Würde zugestanden wird, wird der Wunsch, würdevoll zu altern nicht nur absurd, sondern unmöglich.
Leser*innenkommentare
Kayne Steve
Ich denke, man sollte sein Leben so leben, wie man sich am wohlsten fühlt. Auch Damen über 70 haben ein Feingefühl für Schönheit und Eleganz. Wenn Madonna mit 60 noch wie ein junger Hüpfer auf der Bühne ihre Hüften wackelt, kann sie das machen. Sie hat die Ausstrahlung und die Persönlichkeit. Auch ich habe mit einige Mäkeln zu kämpfen und überlege mir, ein wenig nachzuhelfen. Wenn ich Schönheits-OP Leistungen hier unter www.koe-aesthetics.de/ ansehe, wird mit der Ästhetik gespielt, als wäre sie eine Selbstverständlichkeit. Aber Schönheit liegt im Auge des Betrachters.
Ria Sauter
Gast
In Würde altern ist möglich.Dieser Begriff ist allerdings so abgekaut, dass er lächerlich wirkt.
Altern mit Gelassenheit ist möglich ,wenn Frau sich den üblichen Anforderungen entzieht.
Alletdings bricht die Würde dermassen weg, wenn Frau mit 700 Euro überleben muss in diesem "reichen Deutschland"!
Gruss von einer, die bald die 7 am Geburtstag gegrüssen kann.
17900 (Profil gelöscht)
Gast
Dies funktioniert aber nicht in einer Gesellschaft, in der eine Frau nicht alt sein soll.
Es ist ja nicht so, dass dieses gesellschaftliche Bild allein durch die bösen Männer befördert wurde!
Auch stehen da handfeste Profitinteressen dahinter und die Frauen auch selbst. Gibt`s eigentlich noch die Avon-Beraterin?
06438 (Profil gelöscht)
Gast
""Denn in dieser Gesellschaft ist der Anspruch an alternde Frauen, sich so jung zu repräsentieren, wie es nur geht.""
==
Mit 20 einen Artikel über das älter werden zu schreiben erscheint verfrüh. Die Autorin ist ja selber - und das in Ihrem Alter - in einem seltsam entrücktem Jugendwahn verhaftet - siehe die Falte, die sie glaubt an sich selber entdeckt zu haben und entsprechend problematisiert. Damit entzaubert sie sich als diejenige, die jetzt schon am Jugendwahn leidet - in dem sie die körperliche Hülle als das einzig wahre und wirklich bestimmende Element in Ihrer Existenz definiert und scheinbar über alles stellt.
Und das schreibt Christina Focken zu einem Zeitpunkt, an dem Ruth Bader Ginsburg mit 87 Jahren gestorben ist - und in den letzten Jahren einzig und allein damit zu tun hatte, zu versuchen zu überleben - um die Chance zu wahren, damit die USA eine weitere liberale Richterin ins Amt wählen kann.
Will sagen: die Falte im Alter (und auch sonst) ist sowas von piep egal - es kommt einzig und allein darauf an wie die Falte präsentiert wird und wer sie trägt.
Juliette Greco hat im Alter von 79 Jahren in Paris ein Konzert gegeben welches ich als eines Ihrer besten bezeichnen würde.
Eines Ihrer lustigsten Lieder (mit einem reichlich ironischen Augenzwinkern vorgetragen) war ihr Chanson "Zieh mich aus. " Der Witz an diesem Lied ist das Juliette diejenige verkörpert, die mit Ihrer Intution und absoluter Autorität koketiert - und damit die vermeintliche allgemein angenommene männliche Dominanz - persifliert und gewaltig in den Schatten stellt. Juliette ist selbst -- mit damals 79 Jahren -- die treibende Kraft. Ob das Lied gelebte Realität wiederspiegelt oder im Bereich weiblicher Fiktion männliche Dominanz ins Wanken bringt und aushebelt ist völlig egal.
Denn dieser Diskussion geht es darum das die Unversehrtheit der körperlichen Hülle im Alter nicht das Wesentliche ist und auch nicht sein kann. Und zwar genderunabhängig.
Klarblick
Der erste gute und niveauvolle Artikel, den ich in der taz seit Ewigkeiten gelesen habe.
Frau Focken "lamentiert" nicht, sondern bringt das Thema Altersdiskriminierung von Frauen in all seinen Aspekten auf den Punkt.
MahNaMahNa
@Klarblick Dann bitte auch die Frauen dazu anregen, gegen diese strukturelle Problem anzugehen. Woran es krankt ist klar - etwas tun!
MahNaMahNa
Liebe Frau Focken, nicht weiter lamentieren - die Würde der Frauen weiter und weiter verteidigen und endlich einfordern! Ich habe in den 80ern Männern, die mich als Feministin bezeichnet haben, erst einmal gefragt: was ist eurer Meinung nach eigentlich eine Feministin? Aus den Antworten entspannen sich tatsächlich teilweise richtig gute Diskussionen im besten Sinne. Leider ist einfach zuwenig getan worden in den letzten 40 Jahren und jetzt scheint alles wieder rückwärts zu laufen. Ich bin übrigens Ende Fuffzich.
resto
Für mich - alte Frau - ist hier zu viel Opfergetue. Wir sollten eigentlich schon weiter sein, als uns in diesem Opfernarrativ zu suhlen. Natürlich ist es nicht so toll, alt zu werden. Allerdings gilt das auch für nicht-privilegierte Männer. Wenn ich mich so umsehe, habe ich oftmals das Gefühl, dass alte Frauen mehr Spaß haben und selbständiger sind, als alte (teilweise verbiesterte) Männer.
Dirk Labatz
Vielen Dank für diesen Artikel, Frau Focken. Dass die Ungleichheit und Diskriminierung mit dem Altern sogar derart verstärkt wird, ist mir mit dem Lesen sehr viel greifbarer geworden, als es davor war. Dabei ist es so logisch, dass es so ist.
Wie weitreichend die Konsequenzen dieser Unausgeglichenheit zwischen unseren Geschlechtern sind und wie tief die Prägung dieser Unausgeglichenheit in mir ist und wie viel ich persönlich noch zu erkennen, zu verstehen und zu integrieren habe, um es aktiv gut leben zu können, wird mir damit auch noch klarer als vorher. Das ist keine leichte Wahrheit für mich, aber sie wird mir helfen.
Dass es so ist, wie Sie schildern, widerstrebt mir sehr. Ich fühle mich einfach nicht wohl mit dem wie es ist, weil es einfach nicht schön ist.
Ich bleibe optimistisch und werde mein Allerbestes zur Verbesserung beitragen.
Mir persönlich wird Ihr Artikel im Erkenntnisprozess helfen. Und ich werde mit den Lichtern, die mir beim Lesen aufgegangen sind, vielleicht sogar besser zum Erkenntnisprozess anregen können.
mowgli
Menschen haben zu allen Zeiten und unter allen Umständen versucht, ihre Würde zu bewahren. Manche sogar mit Erfolg. Unmöglich ist es also nicht.
Kein Zweifel: In einer Gesellschaft, die kollektiv auf jede Würde zu pfeifen scheint, die sich verbiegt, die lügt und betrügt, die sich dumm stellt und es tatsächlich ist, ist Würde entweder ein „individuelles Projekt“, oder sie existiert nicht.
Gerade der Umstand, dass es „strukturelle Probleme“ gibt, spricht für den Wunsch, ganz individuell in Würde leben ( und nicht nur altern) zu wollen. Denn woraus besteht unsere Gesellschaft? Aus Individuen, nicht wahr? Wenn die sich einreden, es wäre ihnen aufgrund äußerer Umstände unmöglich, die eigene Würde zu bewahren, kommen wir genau da hin, wo wir jetzt sind.
Wer sich selbst die Chance abspricht, nicht nur in Würde zu altern, sondern auch in Würde zu leben und zu arbeiten, der wird die Würde anderer auch nicht respektieren. Er wird die Schuld an sämtlichen Problemen bei anderen suchen - und sie entsprechend abstrafen wollen. Ganz genau das scheint mir derzeit zu geschehen.
Nicht die Behauptung Prominenter, in Würde altern zu wollen, ist das Problem, finde ich. Das Problem ist eher, dass diese Behauptung eine Provokation ist für viele andere. Die strukturellen Probleme verschleiert nämlich vor allem der, der sich als Individuum mit seinen Wünschen nicht in einen Widerspruch begibt zur gesellschaftlichen Realität.
So lange Promis noch öffentlich scheitern an ihrem Anspruch, würdevoll altern zu wollen, rücken sie die Würdelosigkeit aller anderen Gesellschaftsmitglieder ins Rampenlicht. Dafür, schätze ich, werden sie verachtet, nicht für ihre Falten. Und scheitern sie vermeintlich nicht, beneidet man sie. Echt würdelos, das.
Übrigens: Gestern las ich in der taz einen Kommentar, der Menschen, die auf den Slogan: „black lives matter“ antworten: „all lives matter“, pauschal zu Rassisten erklärt hat. Auch das eine Frage fehlender Würde, finde ich. Bei der Autorin.
Patricia Winter
Dieser Artikel ist perfekt. Er bringt genau auf den Punkt, was Frauen angetan wird. Vielleicht könnten Sie ein Buch daraus machen?
Eine kleine Anmerkung: auch mit unter 1200 Euro Rente (für Männer) lassen sich keine großen Sprünge machen. Da liegt noch was Anderes im Argen. Aber sonst, Verbeugung, ganz tief.
4813 (Profil gelöscht)
Gast
Ach, bald sind, demografisch bedingt, 50% der Frauen über 50. Da wird sich dass dann von allein erledigen und Würde neu definiert sein.
Männer altern auch nicht wie Rosenblüten.