Alternative Shoppingfreuden: Sellerie sind die neuen Schuhe

Shopping macht Spaß, ist aber moralisch ein Problem. Doch wer sich selbst überlistet, findet sein Glück direkt um die Ecke – im Supermarkt.

Ein Einkaufskorb voller grüner Lebensmittel.

Alles so schön grün hier! Foto: Massimo Giovannini/plainpicture

Hinter jeder Ecke lauert Werbung. Ob Shampoo mit Hanfgeruch, eine Kreuzfahrtreise durch die Ostsee, türkisfarbene Socken mit Bananenschalenmuster oder Muppets, die Second-Hand-Kleidung auf einem Laufsteg tragen – wir sollen konsumieren und uns dabei glücklich fühlen. Selbst Monogamie ist käuflich, jedenfalls kann man es versuchen, indem man das Premiumabo bei Parship abschließt.

Gleichzeitig ist uns bewusst, dass Konsum nicht die Lösung ist. Sondern vielmehr Probleme schafft. Sei es die Zerstörung der Ökosysteme durch Berge an Müll, Ausstoß von schädlichen Gasen und Chemikalien. Oder die Ausbeutung von Arbeitskräften sowie die Gefährdung ihrer Gesundheit. Ob Diamant oder iPhone – an beidem klebt vermutlich Blut. Weil das Blut aber vorher sorgfältig abgewischt wurde, sehen wir Kon­su­men­t:in­nen nur noch das glänzende Endprodukt.

Dabei sind sich Wis­sen­schaft­le­r:in­nen noch nicht mal einig, welche Substanzen genau beim Konsum ausgeschüttet werden. Der Neurologe Christian Elger erklärt gegenüber der taz, dass eine Untersuchung dieser Art schwierig durchzuführen ist, da es stets einen Vergleich benötigt. „Konsum an sich könnte man nur gegen Nicht-Konsum setzen, das ist experimentell schwer umsetzbar“, erklärt er.

Ein paar Dinge seien dennoch klar: „Wenn ich ein Brot kaufe, weil ich etwas zu essen haben muss, ist das was völlig anderes, als wenn ich mir die dritte Hose kaufe“, sagt der Wissenschaftler, und: „Jeder Konsum, der über das Notwendige hinausgeht, unterliegt Auswahlkriterien, die individuell sind. Er befriedigt das Belohnungssystem des Menschen.“

Wenn Verzicht doch nur Spaß machen würde

Einfacher ausgedrückt: Geld ausgeben macht Spaß – das Gefühl, eine neue Einkaufstüte mit frisch konsumierten Waren entgegenzunehmen, und sei es nur Billigschmuck, beflügelt. Und dieser Spaßfaktor lässt den ausbeuterischen Markt boomen. Gleichzeitig möchte man natürlich für so wenig Leid wie möglich verantwortlich sein. Und dieser Dualismus macht das Leben kompliziert – meines jedenfalls. Ich möchte nicht mit jedem Schritt auf der Shoppingmeile eine graue Wolke namens Scham hinter mir herziehen.

Christian Elger, Neurologe

„Wenn ich ein Brot kaufe, weil ich etwas essen muss, ist das was völlig anderes, als wenn ich mir die dritte Hose kaufe“

Die optimale Lösung wäre Verzicht. Also der Versuch, den Konsumdrang so lange zu unterdrücken, bis er irgendwann hoffentlich von selbst verschwindet. Die Frage ist nur, ob das so einfach umsetzbar ist. Sollte Begierde derart einfach aus dem Leben zu entfernen sein, würden auf deutschen Straßen nicht so viele Zigarettenstummel liegen.

Eine andere Option, zu der ich nun gekommen bin, ist, das Objekt der Begierde zu wechseln. Weg von Schmuck, Schickem und Schuhen hin zum – Supermarkt. Denn ich bin nicht fähig, meinen eigenen Fisch zu angeln oder auf meinem nicht existierenden Balkon Gemüse anzubauen. Vor dem Lebensmittelkonsum gibt es für mich kein Entkommen. Warum dann nicht gleich die Pflicht mit Vergnügen verbinden?

Ruhe und Freude spät Abends im Aldi

Nehme ich viel Zeit und Ruhe mit, hat der Gang nach Feierabend zum nächsten Rewe oder Aldi etwas höchst Entspannendes. Bereits im Eingangsbereich springen mir farbenprächtiges Obst und Gemüse entgegen.

Zusätzlich ist so ein Supermarkt ordentlich hell beleuchtet – manche sagen vielleicht grell, aber über Geschmack lässt sich nicht streiten, und ich werde einen sauber erscheinenden, bis zum hintersten Regal illuminierten Laden immer einem dunklen, schmuddeligen vorziehen. Denn die Lichter bereiten mir Freude. Sie sind der Scheinwerfer des Frischesortiments. Hier wird jede Himbeere und jeder Maiskolben auf den Präsentierteller gelegt. Allein die Optik ist ein Genuss.

In einem durchschnittlichen deutschen Supermarkt kann ich endlos Zeit verbringen. Nicht, weil ich mir vorab keine Einkaufsliste geschrieben habe und ständig wegen Vergessenem umherschwirre. Sondern weil die Produktauswahl so breit ist, dass ich in meine Bedürfnisse reinhorchen muss – oder darf. Dann stehe ich minutenlang vor dem Früchteregal und überlege, ob ich lieber Pomelo mit Kokosnussmilch oder Birne mit Vanilleeis essen will.

Auf das Bauchgefühl hören

Möchte ich mir zur Belohnung der Woche etwas gönnen, gehe ich auch mal in einem edleren Laden zur Käsetheke. Dort koste ich mich durch die Probierstückchen und plaudere mit der Käseverkäuferin über meine Bedürfnisse – danach trifft sie die Auswahl für mich. Es läuft immer auf einen Hartkäse hinaus, vielleicht ein kräftiger Greyerzer oder ein würziger Parmesan.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ähnlich viel Zeit verbringe ich vor dem langen Regal mit den unzähligen Teesorten. Während ich zur Weihnachtszeit ohne großes Zögern direkt zum Früchtetee mit Spekulatiusgeschmack oder Zimt-Kurkuma greife, bin ich im Frühling oft überwältigt vom Sortiment. Will ich lieber Ingwer-Orange oder Chili mit Süßholz? Es ist fast so wie mit Sommerkleidern: Am liebsten will ich einfach alles!

Dabei ist die Lebensmittelbranche natürlich längst nicht von Konsum- und Kapitalismuskritik befreit. Da ist die Verschwendung von Lebensmitteln. Gut wäre es, würde die Branche Maßnahmen ergreifen, um den Essenabfall bei Produktion und Verarbeitung runterzufahren – allerdings entsteht der Großteil der Lebensmittelabfälle tatsächlich in privaten Haushalten. Bedächtig und bewusst einkaufen hilft also.

Lieber GEPA als Ferrero

Das gilt auch sonst. Es fängt damit an, sich klarzumachen, welche Firmen unterstützenswert sind – oder eben auch nicht. So sehr die Kinder auch danach schreien, sollte man auf dem Schirm haben, dass Nestlé-Schokoriegel nicht dafür berühmt sind, für den Erhalt des Planeten zu sorgen. Vielleicht verzichtet man auch lieber auf die Avocado, um den weltweiten Wasserverbrauch zu dämmen. Und greift zum Fairtrade-Kaffee, um nicht den Billiglohn der Plantagenarbeit zu fördern.

All diese Überlegungen kann man ja aber in die von mir beschriebene Supermarkt-Shopping-Surrogat-Experience mit einfließen lassen. Und schon bleibt das schlechte Gewissen, das man anderswo hat, irgendwie weg, wenn man mit drei vollen Einkaufstüten das Geschäft verlässt. Weil man eben essen muss. Weil es nicht anders geht. Jedenfalls noch nicht.

Und solange das so bleibt, tobe ich mich nach Feierabend gerne in meinem Lieblings-Rewe aus. Mit Musik auf den Ohren hüpfe ich durch die Regale, freue mich über die neuste Sorte Hafermilch oder überlege, welche Nudeln ich zum Abendessen verkochen will. Und dann gibt es noch die kleinen Bonus-Lebensfreuden, die ein Supermarkt so bieten kann: ein Strauß Blumen an der Kasse oder die Schätze der Süßwarenabteilung, beides saisonal immer wieder anders. Wer zusätzlich noch in den Spaß der Kindheit zurückversetzt werden will, ist an der Selbstbedienungskasse mit einem Handscanner gut aufgehoben.

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