Alternative Eiweißquelle: Insekten essen

Fleisch essen ist ein Auslaufmodell, schon wegen des Weltklimas. Doch woher Proteine bekommen? Eine Möglichkeit ist, Insekten zu essen. Ein Selbstversuch.

Gelten in Mexiko als Delikatesse: Heuschrecken. Foto: Aubrey Washington/imago

HAMBURG taz | Die Sprungbeine müssen ab. Die sind nicht giftig oder ungenießbar oder so. Man könnte sie problemlos mitessen, aber sie machen kein gutes Mundgefühl. Es sind Widerhaken dran. Die kleinen Dreiecke an den langen Beinen der gefriergetrockneten Heuschrecke sind deutlich zu sehen. Dazu muss man das Insekt nicht mal aus dem engen Glasröhrchen nehmen, in dem es zusammen mit vier bis fünf weiteren Schrecken steckt. Die Flügel müssen auch ab, die bleiben sonst gern mal am Gaumen kleben oder man kaut einfach endlos darauf herum. Auch kein schönes Mundgefühl. Sagt jedenfalls Folke Dammann, der seit etwa zwei Jahren essbare Insekten aus den Niederlanden oder Belgien nach Schleswig-Holstein importiert und vom kleinen Ort Witzeeze an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern aus verkauft.

Kann man sich vorstellen, dass es sich nicht gut anfühlt, auf Insektenbeine mit Widerhaken zu beißen. Bei den meisten Heuschrecken fallen die Sprungbeine aber sowieso während der Gefriertrocknung oder beim anschließenden Verpacken ab. Dammann muss ein wenig in der Kiste mit den Heuschrecken-Röhrchen kramen, bis er eines findet, in dem ein Insekt noch Beine hat. „Hier schau, da sind noch welche dran“, sagt er. „Die gehen aber ganz leicht ab.“ Einfach abknicken und weg damit, ebenso die Vorder- und Hinterflügel. Der Kopf bleibt dran.

Entflügelte Heuschrecken warten

In der Küche hat Dammann schon sechs entbeinte und entflügelte Heuschrecken in einem weißen Schälchen neben dem Herd bereitgestellt. Salz steht auch da. Wenn Dammann aus dem Küchenfenster schaut, fällt sein Blick über den kiesbedeckten Hof mit grau-weißer Katze, die sich in der Sonne putzt, direkt auf den Eingang zu seinem Produktionsraum. Fünf Schritte bis zur Arbeit. Über der Tür sitzt eine Heuschrecke aus Metall, drinnen werden die Insekten probiert, gekocht und verpackt.

Aber nun soll es ja nur eine kleine Kostprobe sein, das geht ebenso gut in der privaten Küche. Dammann holt eine Pfanne aus dem Schrank, gibt großzügig Erdnussöl hinein und stellt sie auf den Herd. „Welches Öl man nimmt, ist reine Geschmackssache“, sagt er. Als das Öl heiß ist, lässt er die sechs Heuschrecken ins Fett gleiten, lautlos landen sie, es zischt nicht.

Die Insekten werden in den Farmen, in denen sie gezüchtet werden, erst so weit heruntergekühlt, dass sie in die Winterstarre fallen, und dann gefriergetrocknet. Bei diesem Prozess wird ihnen die Feuchtigkeit entzogen und darum brutzelt und spritzt auch nichts. Das gilt nicht nur für die Heuschrecken, sondern auch für die kleineren Grillen, die Mehlwürmer und die Buffalowürmer, die Dammann ebenfalls im Sortiment hat. Das Geschäft mit den Insekten läuft ganz gut, er kann mittlerweile davon leben.

Es krabbelt nichts herum

„Bei uns krabbelt nichts herum, wir bekommen die Tiere schon tot“, sagt Dammann und dreht die Heuschrecken vorsichtig, eine nach der anderen mit einer schlanken Zange um. Eine rutscht ihm ein paar Mal ab, „na komm schon“, sagt er. „Die dürfen nicht zu lange drin bleiben, sonst werden sie zu hart.“ Wahrscheinlich auch schlecht fürs Mundgefühl.

Er legt ein Schälchen mit Küchenpapier aus, nimmt nach vielleicht drei, vier Minuten die Heuschrecken mit der Zange aus der Pfanne und verteilt sie auf dem Papier, das überschüssiges Fett aufnehmen soll. So wie beim Kartoffelnfrittieren, Pommes sind ja auch eher widerlich, wenn sie vor Fett triefen. Küchenpapier weg, ein bisschen Salz drübergestreut und zwei Zahnstocher dazugelegt, schon sind die Heuschrecken zum Verzehr bereit.

„Ich mach mal den Anfang“, sagt Dammann, der selbst erst vor zwei Jahren seine erste Heuschrecke gegessen hat. Er weiß um den anerzogenen Ekel. Insekten sind bei uns nur Ungeziefer, bis auf Bienen vielleicht, die sind okay. Aber alle andere Insekten empfinden die meisten als abstoßend. Da nützt es auch nichts, dass Insekten für mindestens rund zwei Milliarden Menschen etwa in Thailand, Laos oder Vietnam zur täglichen Ernährung gehören und dass die UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft 2013 einen Bericht vorgelegte, in dem Insekten als klimaschonende Alternative zu tierischen Nahrungsmitteln empfohlen wurden. Ekel ist eben Ekel. Dammann piekst mit dem Zahnstocher eine Heuschrecke auf und steckt sie in den Mund. Es knirscht.

Rein, zerkauen und runterschlucken

Der Zahnstocher bohrt sich ganz leicht durch die Heuschrecke. Ein bisschen mehr Widerstand ist auf dem Weg zum Mund zu überwinden. Aber was soll‘s, rein, zerkauen und runterschlucken. Dammann kennt diesen ersten Moment. Seit er Ende 2013 seine Firma Snack-Insects gründete, geht er mit seinen Insekten raus zu potenziellen Kunden, bietet Verkostungen an, zuletzt war er am vergangenen Samstag mit seinem Stand in Hamburg auf dem Parkplatz einer Globetrotter-Filiale. Das Camping-Wandern-Natur-Publikum darf ja fast nicht Nein zu Insekten sagen. Es kamen auch rund 400 Leute und die meisten haben probiert.

„Viele kneifen die Augen zu, wenn sie das erste Mal ein Insekt in den Mund nehmen“, sagt Dammann. „Die Gesichtszüge entspannen sich aber, sobald sie merken: Das ist ja gar nicht eklig!“ Ist es auch nicht. Es ist trocken, krümelig, der zerkaute Chitinpanzer hängt noch lange zwischen den Zähnen herum. Auf der Rückfahrt nach Hamburg geht fast eine Flasche Wasser drauf, um alles wegzuspülen. Geschmacklich kommt die frittierte Heuschrecke der knusprigen Haut eines Brathühnchens recht nahe. Aber das liegt an der Zubereitungsart, man kann die Heuschrecken auch karamellisieren oder in Schokolade tauchen, dann ist es vorbei mit Brathühnchen.

Die bis zu 15 Millimeter langen, beigen Buffalowürmer sind die Larven des Getreideschimmelkäfers und gefriergetrocknet auch knusprig. Pur schmecken die aber nach gar nichts. Den nussigen Geschmack, der Insekten nachgesagt wird, muss man sich wohl dazudenken. Dammann schmilzt Milchschokolade in einem Topf, gibt die Würmchen dazu, setzt die Masse mit dem Löffel portionsweise auf Backpapier und schiebt alles in den Kühlschrank. Ausgekühlt schmecken die Schoko-Wurm-Haufen wie Mandeln oder krosse Flakes mit Schokolade überzogen, das ist gar nicht so übel.

Mehlwurm-Quiche und Insekten-Paste

„Schoko-Berge mit Mehlwürmern“ heißt ein Dessert in dem gerade erschienenen Insekten-Kochbuch, an dem Dammann mitgearbeitet hat. Es gibt darin auch Mehlwurm-Quiche, Insekten-Paste oder Spaghetti mit Grillen in Manchego-Sauce. „Ich will zeigen, wie leicht zuzubereiten und wie vielseitig Insekten sind“, sagt er. Bei fast allen Rezepten könnte man die Insekten aber auch einfach weglassen, und hätte ein leckeres vegetarisches Gericht – ohne Ekelfaktor. Das gilt aber ja nicht nur für Insekten, bei Würmern oder Grillen stellt sich die Muss-das-da-wirklich-rein-Frage nur drängender als bei Shrimps oder Speck.

„Das ist eine reine Kopfsache“, sagt die Kellnerin im Mongo‘s, Hamburgs einzigem Restaurant, das Grillen, Heuschrecken, Mehlwürmer und Buffalowürmer anbietet. „Einfach mal probieren, ist gar nicht schlimm.“ Die Vorspeise aus gegrillten Heuschrecken, gebratenen Grillen in fruchtig-gelber Soße und in Teig gebackenen Mehlwürmern wird in der Karte mit „Sind sie mutig genug?“ anmoderiert. Am Tisch kramt jeder Geschichten raus, etwa über frittierte Vogelspinnen, und es werden Insektenwitze erzählt. Drei von vier Leuten probieren alles. Leer wird das Holzbrett dennoch nicht. Es schmeckt schlicht nicht lecker genug, um darüber hinwegzusehen, dass aus dem Tempurateig Würmer ragen. Der Heuschrecken-Brownie zum Nachtisch bleibt in der Küche.

Sinnvolle und effiziente Proteinquelle

„Wir sitzen jetzt auch nicht abends mit einer Schale Mehlwürmer auf dem Sofa“, sagt Dammann. Aber er sieht Insekten als alternative, sinnvolle und effiziente Proteinquelle: „Wo ein Rind im Schnitt acht Kilo Futter braucht, um ein Kilo Körpermasse zu produzieren, liegt dieses Verhältnis bei Insekten bei zwei Kilo Futter zu einem Kilo Insektenmasse“, sagt er. Noch sind Insekten in Deutschland aber viel zu teuer, als das Otto-Normal-Verbraucher sich daran satt essen könnte. 100 Gramm gefriergetrocknete Heuschrecken kosten bei Dammann 79,95 Euro. Das Insekt ist also mehr Delikatesse denn normales Lebensmittel und für ihn ein Geschäft. Ein Produkt, das sich in den USA immer besser verkauft und darum früher oder später auch hierher schwappen wird.

Er geht an den Kühlschrank und holt vorsichtig einen seiner Insektenriegel aus dem Kühlschrank, der dort in Backpapier gewickelt lagert. Sieht aus wie ein normaler Müsliriegel aus Früchten, Nüssen, Mandeln. Ist auch alles drin, nur eben auch fein gemahlene Grillen und Mehlwürmer. Und der Riegel schmeckt gut, weich und fruchtig. Er hat bereits versucht, einen Produzenten zu finden. Aber bisher hat er nur Absagen bekommen. Theoretisch müssten die Hersteller auf alles, was über die gleiche Produktionslinie läuft wie die Insektenriegel, „Kann Spuren von Insekten enthalten“ drauf schreiben. Nicht sehr verkaufsfördernd.

Den ganzen Schwerpunkt über das Insekten essen unter anderem mit dem Essay „Sie sind die Lösung, nicht das Problem“ lesen Sie in der gedruckten Norddeutschland-Ausgabe der taz.nord oder hier.

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