: Alte Pannen, neues Jahr
Dem Bundeskriminalamt gelingt auch zum Jahreswechsel kein erfolgreicher Testlauf seines geplanten neuen Computersystems. BKA und Ministerium schweigen vereint
BERLIN taz ■ Weihnachten, das ist bekanntermaßen die hohe Zeit des Glaubens. Vielleicht ist darin der Grund zu suchen, warum die deutschen Sicherheitsbehörden noch wenige Tage vor dem Fest ihr neues Computerfahndungssystem INPOL-neu beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden einem weiteren, entscheidenden Testlauf unterziehen wollten. Es soll das 1972 in Betrieb genommene Informationssystem Polizei (INPOL) ersetzen, das unter Fachleuten als hoffnungslos veraltet und technisch nicht zu reformieren gilt.
Die neue Datenbank soll die Computersysteme aller 16 Länderpolizeien, des Bundesgrenzschutzes, des Bundeskriminalamtes und einige externe Dateien wie das Ausländerzentralregister oder das Schengener Informationssystem (SIS) untereinander verbinden. Doch ebenso wie über der gesamten Weihnachtsgeschichte, so liegt auch über der so genannten Performanceanpassung von INPOL-neu ein Schleier von Geheimnissen.
Offizielle Verlautbarungen lehnt BKA-Pressesprecher Dirk Büchner kategorisch ab, und selbst der Vorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP) beim BKA muss bekennen, dass er keine „definitiven Informationen“ besitzt. Das Bundesinnenministerium mag nicht einmal bestätigen, dass überhaupt ein Probelauf stattgefunden habe. „Wir testen doch laufend“, heisst es lapidar.
Das Verwirrspiel ist verständlich, denn um das ehrgeizige Projekt, an dem seit gut zehn Jahren gewerkelt wird, steht es nicht gut. Ursprünglich hatte das veraltete INPOL-System bereits am Ostersonntag als Europas modernstes Fahndungssystem auferstehen sollen. Doch das Wunder blieb aus.
Schon kurz nach dem Start musste man den Testlauf abbrechen, weil immer wieder zum Teil schwere Fehler auftraten. Planungsfehler, mangelnde Koordination sowie eine offenbar noch nicht weit genug ausgereifte Technik hatten die hochfliegenden Pläne in wenigen Minuten zunichte gemacht.
Mit dem von der DaimlerChrysler-Tochterfirma Debis erarbeiteten Konzept für INPOL-neu, so ergab der Prüfbericht einer externen Unternehmensberatung, gehe man bis an die Grenze dessen, was derzeit technisch möglich sei. Doch gerade diese Kompliziertheit sei eine Quelle für Funktionsfehler.
Die Hauptursache für die Probleme liege darin, dass es sich um ein „selbst optimierendes System“ handele, das sich teilweise automatisch programmieren soll. Es sei „nicht auszuschliessen“, heisst es weiter, dass „das Projekt mit dem heutigen Entwicklungsansatz nicht erfolgreich abgeschlossen werden kann“.
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gab INPOL-neu trotzdem bis zum dritten Advent eine neue Chance, die Hoffnungen der Sicherheitsbehörden doch noch zu erfüllen. Von lautem Hurra und Korkenknallen ist allerdings nichts zu hören.
Ohnehin hatte wohl kaum noch jemand an ein Wunder in Wiesbaden geglaubt, längst nämlich ist der Termin für eine eventuelle Inbetriebnahme auf frühestens Ende 2004 verlegt. Schon jetzt ist das System ein Millionengrab. Aus den ursprünglich vorgesehenen Entwicklungskosten von rund 40 Millionen Mark sind nach „groben Schätzungen“ der GdP schon mehr als 100 Millionen Mark geworden. Die Prüfer des Bundesrechnungshofes befürchten sogar, dass das ehrgeizige System am Ende rund 280 Millionen Mark verschlingen wird, und sprechen von einer Verschwendung von Steuermitteln.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, fordert denn auch seit längerem, einen „Neustart von INPOL-neu zu beschliessen, statt weiterhin an den Problemen des gescheiterten Projekts herumzudoktern“. Doch bisher steht nicht einmal fest, wann eine Entscheidung über den weiteren Weg des Projekts fallen soll. „Kann gut sein, im Januar, aber ich weiß es nicht“, sagt Schilys Sprecher mürrisch. Zunächst will das Ministerium zu einem Mittel greifen, das INPOL-neu schon wiederholt hatte retten sollen: Noch im Januar soll ein neuer Projektleiter her. OTTO DIEDERICHS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen