Fußfessel gegen häusliche Gewalt: Alltag ohne Angst
In Spanien müssen viele Männer, die Frauen gegenüber gewalttätig wurden, Fußfesseln tragen. Auch Deutschland will das einführen. Doch bringt es etwas?

Vor etwas mehr als einem Jahr wurden ihrem Mann die Fußfesseln angelegt, erinnert sich die 44-jährige Lola, Mutter von vier Kindern. Aus Sicherheitsgründen will sie ihren echten Namen nicht gedruckt sehen. Ihr Mann war damals völlig außer sich um ihr Haus mitten im Feld außerhalb Madrids umhergelaufen und hatte schließlich Feuer gelegt. Wie durch ein Wunder konnte Lola mithilfe der Nachbarn sich und ihre Kinder retten und das Feuer löschen. Dieser „Verstoß gegen das vom Gericht angeordnete Kontaktverbot in besonders schwerem Fall“ hatte die Fußfessel zur Folge und damit verbunden das Verbot, das Dorf, in dem beide leben, zu betreten.
Cometa heißt das System, das Frauen vor Gewalt schützen soll. In einer Zentrale wird Alarm ausgelöst, sollte der Betroffene sich der Frau nähern oder die Fußfessel manipulieren. Die Frau trägt zudem einen elektronischen Empfänger, der Alarm schlägt. Außerdem verfügt der Empfänger über einen SOS-Knopf. Je nach Fall und Wohnumfeld wird die Ausschlusszone größer oder kleiner programmiert.
Die Bundesregierung in Deutschland plant, dieses „Spanische Modell“ auch in Deutschland zu etablieren. Noch in diesem Jahr will Justizministerin Stefanie Hubig ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen.
Ohne flaues Gefühl
In Spanien ist die Fußfessel seit 2009 Realität. „Die Fußfessel gibt mir Ruhe, auch wenn ich nach wie vor bei jedem ungewohnten Geräusch zittere“, sagt Lola, die jahrelang von ihrem Mann misshandelt wurde, bevor sie ihn schließlich anzeigte. Bis zum ausstehenden Gerichtsverfahren wurde ein Kontaktverbot verhängt, gegen das er dann brutal verstieß. „Dank der Fußfessel kann ich jetzt die Kinder wieder zur Schule bringen, ohne ständig hinter mich zu schauen“, sagt Lola. „Sogar das Einkaufen, das früher so einfach war, war zu einem angespannten Moment geworden. Jetzt gehe ich ohne dieses flaue Gefühl im Magen in den Supermarkt und ohne die Angst, ihm irgendwo im Gang über den Weg zu laufen“, erklärt sie.
Lola, deren Mann eine Fußfessel trägt
Sie trägt ständig den Empfänger bei sich, der einem Handy ähnelt. Das helfe ihr, gelassener zu leben. „Ich weiß, dass der Alarm losgeht, wenn er die markierte Distanz überschreitet. Es gibt mir die Freiheit, den Alltag zu genießen, ohne dass mich ständig die Angst packt.“
„Seit der Einführung 2009 wurde dieser Dienst erheblich weiterentwickelt“, erklärt die Regierungsbeauftragte gegen geschlechtsspezifische Gewalt, Carmen Martínez Perza. Die Zahl der Installationen sei in den letzten Jahren exponentiell gestiegen, auf 4.310 Ende März dieses Jahres. „Die Installation der Geräte hängt von einem richterlichen Beschluss ab, der auf einer Bewertung des Risikos für die Frau basiert“, erklärt Martínez Perza.
Das Gerät dokumentiert alle Verstöße gegen die verhängten Annäherungsbeschränkungen. Diese Listen werden beim Gerichtsverfahren hinzugezogen und können zu härteren Strafen führen. Das habe einen abschreckenden Effekt auf den Angeklagten, ist sich Martínez Perza sicher.
Fallzahlen gehen zurück
In Spanien gibt es seit 2004 ein Gesetz zur Bekämpfung der geschlechtsspezifischen Gewalt. Und es zeigt Wirkung. Von 2003 bis 2024 gingen die Fallzahlen um 30 Prozent zurück. 2024 war das Jahr mit den wenigsten geschlechtsspezifischen Morden – ausgeführt von Partnern oder Ex-Partnern: 24 im Vergleich zu 71 im Jahr 2003. „Dies liegt an einem institutionellen System, das auf der Koordination aller Verwaltungen – national, regional und lokal – basiert, um die Frauen zu schützen“, erklärt Martínez Perza.
Eine Telefonhotline funktioniert seit 2007 rund um die Uhr und ist auf der Telefonrechnung nicht zu sehen. Weit über eine Million Anrufe gingen seither ein. Die Frauen, die Anzeige wegen geschlechtsspezifischer Gewalt erstatten, erhalten – egal wie hoch ihr Einkommen ist – kostenlosen Rechtsbeistand und psychologische Unterstützung.
Natalya Chaban Savchuk ist eine der Anwältinnen, die auf geschlechtsspezifische Gewalt spezialisiert sind. „Die Fußfessel ist wirklich der allerletzte Schritt“, sagt die aus der Ukraine stammende Frau, die in Spanien Jura studierte und seit zehn Jahren als Anwältin arbeitet. Meist wird sie als Pflichtverteidigerin ihren Mandantinnen zur Seite gestellt. Derzeit hat Chaban Savchuk nur zwei Fälle, in denen das System Cometa zum Einsatz kommt. „Normalerweise halten sich die Männer an die Auflagen und nähern sich ihren Opfern nicht. Alleine die Tatsache, dass ein Verstoß strafverschärfend ist, reicht als Abschreckung“, weiß sie aus Erfahrung.
Nicht so bei Lola. Und auch nicht so bei Lucia. Der Ex der 21-Jährigen, die eine Lehre als Tierarzthelferin macht und in einem Supermarkt arbeitet, missachtete das Annäherungsverbot, drang in die Wohnung in einem Vorort von Madrid ein, in der Lucia mit ihrer Mutter lebt, schlug Lucia und verwüstete ihr Zimmer. Anwältin Chaban Savchuk beantragte im Juli 2024 mit Erfolg die Fußfessel, um Lucia zu schützen. Ihre Mandantin hatte ihren krankhaft eifersüchtigen gleichaltrigen Ex ein Jahr zuvor angezeigt, nachdem er sie schwer verprügelt hatte. Das Gerichtsverfahren steht noch aus.
Zermürbende Alarme
„Anfänglich war ich sehr beruhigt, als er die Fußfessel verpasst bekam“, erinnert ich Lucia. Doch dann wurde es zum regelrechten Albtraum. Ihr Ex begann die Fußfessel zu manipulieren, nahm extra nach der Arbeit in einer Diskothek in den frühen Morgenstunden den Bus, der durch Lucias Straße fährt, näherte sich auch sonst immer wieder der Wohnung und dem Supermarkt, in dem sie arbeitet. Die Folge: „Ständig ging der Alarm los, ich hatte Panik“, sagt Lucia. Bis sie schließlich merkte, dass dies eine Taktik war, um sie zu zermürben.
Anfänglich rief die Alarmzentrale sofort an, um sich nach Lucias Befinden zu erkundigen. Doch dann verzögerten sich die Anrufe, die Techniker gingen davon aus, dass das Gerät einen Defekt habe. „Ich konnte so nicht mehr leben. Alarme zu Hause mitten in der Nacht, Alarme bei der Arbeit, bei der Lehre, beim Ausgehen mit Freundinnen.“ Sie bat ihre Anwältin, bei Gericht den Antrag zu stellen, die Fußfessel zu entfernen. Anwältin Chaban Savchuk kam dem nach – „wenn auch mit ungutem Gefühl“.
Bisher ging es gut. Der Ex lässt Lucia in Ruhe. „Vermutlich deshalb, weil er weiß, dass ich bei dem geringsten Vergehen einen Antrag auf Haft stellen werde und diesem – mit seiner Vorgeschichte – sicher stattgegeben wird“, sagt Chaban Savchuk.
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