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Alleinerziehende über Demo in Berlin„Kinder als politischer Streichelzoo“

Viele Alleinerziehende fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Bloggerin Fee Linke erklärt, warum sie am Samstag in Berlin auf die Straße geht.

Sozialpolitik für Alleinerziehende? Darum ist es in Deutschland derzeit schlecht bestellt Foto: Unsplash/Tam Wai
Heide Oestreich
Interview von Heide Oestreich

taz am wochenende: Frau Linke, die Alleinerziehenden demons­trie­ren heute in Berlin. Gerade erst wurde der Un­ter­haltsvorschuss verlängert. Die Kitas ­werden ausgebaut. Reicht das nicht?

Fee Linke: Nein. Fast 40 Prozent der Alleinerziehenden müssen von Hartz IV leben oder aufstocken. Der Unterhaltsvorschuss wird damit verrechnet, ebenso wie das Kindergeld. Eine Erhöhung oder Erweiterung hilft diesen vielen Menschen also überhaupt nicht. Wir demonstrieren für eine Kindergrundsicherung, die nicht mit Hartz IV verrechnet wird: 600 Euro für alle Kinder, die dann mit steigendem Einkommen abgeschmolzen werden.

Das wird teuer. Haben Sie auch einen Finanzierungsvorschlag dabei?

Wenn das Ehegattensplitting abgeschafft würde, hätten wir schon viel gewonnen. Wir brauchen ein Steuerrecht, das Kinder fördert, nicht Ehen. Alleinerziehende werden im Moment wie Singles besteuert – mit einem kleinen Extrafreibetrag. Sie haben weniger als Ehegatten, obwohl sie Kinder erziehen. Das geht nicht. Eine unserer Mitstreiterinnen, die Steuerberaterin Reina Becker, hat deshalb vor dem Verfassungsgericht geklagt.

Der letzte politische Vorschlag zum Thema Alleinerziehende kam von der FDP: Man solle doch das Wechselmodell als Regel verankern: Kinder und damit auch das Armutsrisiko würden auf beide Elternteile gleich aufgeteilt werden. Wären damit die Probleme gelöst?

Nein. Die FDP ist den Väterrechtlern auf den Leim gegangen. Beide Elternteile müssten dann die volle Ausstattung inklusive Kinderzimmer bereit halten, das ist erst einmal teurer. Man braucht dafür auch extrem flexible Arbeitszeiten: In der einen Woche kann man mehr arbeiten, in der nächsten weniger, das ist oft wirklich nicht praktikabel. Das Armutsrisiko ist übrigens auch nicht gleich verteilt, solange Frauen 21 Prozent weniger verdienen als Männer. Im Prinzip ist das ein Modell für Besserverdienende.

Im Interview: Fee Linke

Fee Linke, 46 Jahre, Bloggerin und Angestellte, ruft mit anderen Bloggerinnen und Verbänden heute um 14 Uhr zur Demo am Brandenburger Tor, Motto: #esreichtfürunsalle

Warum demonstrieren Sie gerade jetzt?

Wir sind enttäuscht, weil die neue Regierung so gar nichts von sich hören lässt, was uns weiterhelfen würde. Im Gegenteil, CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn findet Hartz IV ausreichend, sein Kollege Peter Tauber lästert über MinijobberInnen: Das zeugt von großer Empathielosigkeit gegenüber uns und unserer Lebenswirklichkeit. Kinder sind für diese Leute eine Art politischer Streichelzoo: Ja, die Armen, für die müssen wir was tun. Aber konkret passiert gar nichts.

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9 Kommentare

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  • Meine Petition unterstützen zum Thema Abschaffung des Ehegattensplittings, tun die agierenden aber nicht, weil? Ja warum eigentlich nicht?

    change.org/alleinerziehend

  • Finde ich super! Alleinerziehend & Arm macht wesentlich weniger Freude als nur arm zu sein.

     

    Allerdings finde ich die Argumentation zum Wechselmodell (50/50) nicht so gelungen:

    Zwar löst das Wechselmodell keine ökonomischen Probleme (wie könnte es auch?), aber es ist falsch, dass ein Modell der Besserverdienenden zu nennen.

    Ich würde es das 'Modell der sich sorgenden Eltern' nennen. Auch als armer Vater möchte ich gerne die Kinder die Hälfte ihrer Zeit bei mir haben.

    • @pitpit pat:

      'Modell der sich sorgenden Eltern' grenzt sich nur nicht vom Klassiker ab; Ja es wäre sogar eine Unterstellung gegenüber diesem.

       

      Mein Vorschlag: `Modell der sich sorgenden Eltern, auch wenn diese sich getrennt haben, aber in relativem Einvernehmen, was die Kinderfürsorge betrifft`

      Ist jetzt noch nicht jeder Aspekt enthalten, doch es muss ja bisschen kurzgefasst sein.

      • @lions:

        Einverstanden! Irgendwann hätte ich gerne, dass dieses schwer zu benennende Modell mal der gesellschaftliche Normalfall würde. Und zwar, weil die Menschen das mehrheitlich sinnvoll finden, Vater und Mutter gleichermaßen zu haben.

         

        Vor nicht allzulanger Zeit habe ich wieder einen klassischen Jedes-Zweite-Wochenende-Papa getroffen. Bei der Unterhaltung wurde mir klar, dass wir zwar beide Väter sind, aber unsere Vaterschaft sich absolut unterscheidet: Er platzt bald vor Liebe für sein Kind, versucht ihm an seinen Tagen ein Paradies zu schenken und jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.

        Dagegen habe ich einen ganz normalen Alltag mit den Biestern. Finde ich (auch für die Kinder) besser. Elternschaft ist ja keine Wochenendaffäre.

         

        Liebe Grüße

         

        pit

  • Nur so geht´s. Wer was will, muss es für sich selbst erstreiten. Ansonsten wird dieser in seiner stillen Hoffnung nur instrumentalisiert.

  • Oh, klar, die ach soo ungerechte Zusammenveranlagung von Ehegatten soll es richten.

    Dabei ist das nun mal eine wirklich soziale Einrichtung. Denn Ehen zwischen wirtschaftlich stark unterschiedlichen Gatten werden gefördert. Da heiratet die Anwältin vielleicht doch den Anwaltsgehilfen oder der Manager seinen Referenten.

    Übrigens beträgt der Steuervorteil des Splittings maximal (Zahlen von 2013) mit SolZ 16.600 Euro ab einem Einkommen von 500.000€ pro Jahr. Bei durchschnittlichen Einkommen beträgt die Steuerersparnis unter 4000€ pro Jahr. Der Steuerausfall ist also überschaubar. (https://de.wikipedia.org/wiki/Ehegattensplitting#/media/File:ESt_D_Auswirkung_Splitting.png).

  • "Wir brauchen ein Steuerrecht, das Kinder fördert, nicht Ehen. Alleinerziehende werden im Moment wie Singles besteuert – mit einem kleinen Extrafreibetrag. Sie haben weniger als Ehegatten, obwohl sie Kinder erziehen. Das geht nicht."

     

    Absolut richtig. Haushalte die Kinder versorgen, sollten steuerlich begünstigt werden. So war das bei der Ehe einst auch gedacht. Im Großen und Ganzen konnte davon ausgegangen werden, dass

    Kinder kommen. Heute ist das bei Ehen längst nicht mehr die Realität. Warum jemand steuerlich begünstigt werden soll, nur weil er verheiratet ist - noch dazu bei den hohen Scheidungsraten- erschließt sich mir nicht.

     

    Das ist aber ein Thema, das Linke so gut wie gar nicht interessiert.

  • Dem Interview zufolge richtet sich die Demo auch gegen das Wechselmodell?!

     

    Sind sich Interviewte und Interviewerin darin einig, dass das Wechselmodell eine zu verunglimpfende Angelegenheit der FDP sei? Und nicht vielmehr auch eine Angelegenheit vieler taz-LeserInnen, die in "wilder Ehe" lebten und heute das Wechselmodell praktizieren?

     

    Auch im Internet ist nicht zu erfahren, wer zu der Demonstration aufruft. Als Unterstützer tritt der Verband alleinerziehender Mütter auf: VAMV (Väter stehen nur zur Tarnung mit im Namen) - Das ist der hauptsächliche Lobbyist gegen das Wechselmodell in Deutschland.

     

    Es geht bei der Demo nicht um Kinder! Sondern es geht darum, meiner Tochter mich als Papa wegzunehmen, für die ich seit über 10 Jahren in einem Wechselmodell halbe-halbe sorge. Die Gegnerinnen des Wechselmodells wollen wieder die Zustände einführen, die bis vor 10 Jahren noch üblich waren. Erst die europäische Rechtssprechung konnte grundlegende Menschenrechte der Kinder und Väter gegen uralt-deutsches Mutterkultdenken durchsetzen.

     

    Es geht nicht um Kindeswohl, sondern um die Mütter: Alleinerziehende wollen sich die Knete ihres Lebensmodells von den Vätern besorgen - und zwar auch von solchen, die sich um ihre Kinder kümmern, aber es künftig (wieder) nicht mehr tun sollen.

     

    Zu dieser tiefkonservativen Einstellung (viel konservativer als von der Leyen und Merkel mit dem Elterngeld) passt auch ein #Tag, der im Internet zu dieser Demo kursiert: #muttertagswunsch - Wenn das "der Führer" noch hätte erleben dürfen...

     

    Zurück zu dem Interview: Selbstverständlich müssen sich im Wechselmodell beide Elternteile ein Kinderzimmer leisten. Was ist gegen ein Kinderzimmer beim Vater einzuwenden?

     

    Warum setzen sich Mütter und Väter nicht zusammen dafür ein, dass beide Kinderzimmer als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden (und z. B. wie Ehegatte, Auto, Eigenheim, Arbeitszimmer von der Steuer absetzbar sind). Aber nein, eine solche Forderung zusammen mit Vätern - ausgeschlossen.

  • So nachvollziehbar das Anliegen der Frau Linke auch sein mag, ihr Gegenfinanzierungsvorschlag ist nicht tragbar.

     

    Dem Ehegattensplitting stehen die ehelichen Unterhaltspflichten entgegen. Falls beispielsweise mein Einkommen vollständig ausfallen sollte, haftet zunächst meine Frau und ich erhalte mittelfristig keinerlei staatliche Leistungen solange sie ein Einkommen hat. Dieser Nachteil müsste im Falle eines Wegfalles des Ehegattensplittings ebenfalls behoben werden. Ferner sind eine Vielzahl von Finanzierungen auf der Basis des Ehegattensplittings getroffen. Eine kurzfristige erhebliche Steuererhöhung bedroht dann schnell das Bankdarlehen.

     

    Ein praktikabler Mittelweg wäre ein dauerhafter Bestandsschutz für bereits geschlossene Ehen. Da sollte alles bleiben wie es ist. Bei zukünftig geschlossenen Ehen kann dann sowohl das Ehegattensplitting (oder andere Vorteile beispielweise im Erbschaftsteuerrecht) wie auch die gegenseitige Unterhaltspflicht ersatzlos entfallen.