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Albanisches RegierungsmitgliedDiella, die KI im Kabinett

Sie trägt Tracht und soll gegen Korruption helfen – in Albanien ist erstmals eine künstliche Intelligenz Regierungsmitglied. Doch nicht alle feiern das.

KI Diella: Ihr Name bedeutet Sonne und sie schläft nie Foto: Vlasov Sulaj/ap

Athen taz | Erst mal herrschte Funkstille. Keine Reaktion, keine Rückfrage, kein Hinweis, ob ein Interview aus Anlass ihres Amtsantritts zugesagt wird. Asgjë. So sagt man auf Albanisch „nichts“. Dabei soll Albaniens neue KI-Ministerin doch rund um die Uhr ansprechbar, ortsunabhängig, blitzgescheit und womöglich ehrlicher sein als der Papst. Der ist ja nur ein Mensch aus Fleisch und Blut. Überdies hat die Ministerin einen vor Energie und Lebensfreude strotzenden Namen: Diella, auf Deutsch „Sonne“.

In Albaniens Parlament brachen vorige Woche Tumulte aus, als die weltweit erste KI-Ministerin erstmals per Videobotschaft das Wort ergriff. „Hallo, ich bin Diella!“, sagte der KI-Avatar lächelnd in Richtung der Abgeordneten. „Dank meiner zuvor geleisteten harten Arbeit bin ich in der neuen Regierung zur Staatsministerin für KI ernannt worden. Meine Mission ist es, die Regierungsarbeit Tag für Tag zu erleichtern.“

Manche fanden das gar nicht lustig. Die Lage im Parlament eskalierte, als Abgeordnete der Opposition auf ihre Sitze schlugen und den Vertretern der Regierung unter dem sozialistischen Premier Edi Rama zuriefen: „Machen Sie das Parlament nicht lächerlich!“ Zwei Abgeordnete schleuderten dem Premier Exemplare der albanischen Verfassung und der Geschäftsordnung des Parlaments entgegen. Sicherheitskräfte griffen ein, die Sitzung wurde unterbrochen.

Doch Rama hielt an Diella fest, trotz des Widerstands. Seine Sozialistische Partei holte bei den Parlamentswahlen im Mai die absolute Mehrheit, die Volksvertretung billigte das Kabinett Rama – und Diella als neue KI-Ministerin. Diella sei „ein mutiger Schritt Albaniens zur Institutionalisierung fortschrittlicher Technologien“, wird die Staatsministerin auf der Regierungswebsite seither gepriesen. Sie positioniere das Land „an der Spitze der Innovation in der Region und darüber hinaus“.

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Diella schläft nie

Langzeitpremier Rama hatte Diellas Ernennung damit angekündigt, dass sie „mit allen Entscheidungen über öffentliche Ausschreibungen betraut“ werde. Diella werde dafür sorgen, dass diese „zu 100 Prozent frei von Korruption sind“. Das Motto der Vergabe öffentlicher Gelder laute „Totale Transparenz“. Und: „Diella schläft nie. Sie muss nicht bezahlt werden, sie hat keine persönlichen Interessen, sie hat keine Cousins. Und Cousins sind in Albanien ein großes Thema“ – eine Anspielung auf das omnipräsente Problem der Vetternwirtschaft und Korruption.

Diella ist sehr jung. Entwickelt wurde sie von AKSHI, der albanischen Nationalen Agentur für die Informationsgesellschaft. Am 19. Januar 2025 avancierte sie zur virtuellen Assistentin einer Behördenplattform. Dort hilft sie Bürgern bei der Nutzung öffentlicher Dienste und der Ausstellung von E-Dokumenten. Bis September verzeichnete Diella laut offiziellen Angaben knapp eine Million Interaktionen, 36.000 ausgestellte Dokumente sind mit ihrem digitalen Siegel versehen. Unstrittig ein Quantensprung in Albaniens Verwaltung.

Nach nur acht Monaten ist Diella nun KI-Ministerin im 17-köpfigen Kabinett, dem acht Frauen angehören. Zur menschlichen Staatsministerin für öffentliche Verwaltung und Korruptionsbekämpfung hat Rama die 41-jährige Adea Pirdeni ernannt. Ihre Kollegin Diella ist der beliebten albanischen Schauspielerin Anila Bisha nachempfunden. Anders als die übrigen Kabinettsmitglieder trägt Diella eine albanische Volkstracht: Kopftuch, langes Hemd, Schärpe statt Armani-Anzug. Trotzdem bringt sie die Opposition auf die Palme.

Innovation oder PR-Coup?

Ex-Premier und Oppositionsführer der konservativen Demokratischen Partei (PD), Sali Berisha polterte: „Wer kontrolliert Diella? Wir bringen die Sache vor das Verfassungsgericht!“ PD-Fraktionschef Gazment Bardhi befand, Diella sei „Propagandafantasie“ und „virtuelle Fassade“. Rama habe sich „eine Frau geklont, eine digitale Illusion, um seine korrupte Macht zu erhalten“.

Neue Autobahnen, Tunnel, Brücken: Albanien ist eine einzige Baustelle. EU-Gelder fließen reichlich nach Tirana. Viel Schwarzgeld ist im Umlauf, aus dem Kokainhandel oder wer weiß woher. Immer wieder sind albanische Politiker in Korruptionsskandale verwickelt. In der Weltrangliste der Korruption liegt Albanien auf Platz 80 – hinter Benin, Senegal und Timor-Leste.

Rama strebt an, sein Land mit 2,8 Millionen Einwohnern bis 2030 in die EU zu führen. Zentral dafür ist die Korruptionsbekämpfung. In Ramas Augen kann Diella dabei helfen.

Oder ist sie doch bloß ein PR-Coup? Der albanische IT-Experte Erjon Curraj sagt: „Wie jede KI hängt sie völlig von der Beschaffenheit und Qualität der Daten sowie der Zuverlässigkeit der ihr zugrunde liegenden Modelle ab.“ Nach wie vor sei unbekannt, wie genau Diella funktioniere, monieren Kritiker. Vermutlich stütze sich Diella bei der Beantwortung von Anfragen auf sogenannte Large Language Models (LLM).

„Wir Menschen werden zu Sklaven degradiert“

Der Haken: Seien die Eingabedaten veraltet, unvollständig oder voreingenommen, spiegelten die KI-Entscheidungen diese Mängel wider, sagt Curraj. Schlimmstenfalls könnte Diella „Dokumente falsch interpretieren, Lieferanten fälschlicherweise markieren oder Absprachen übersehen“. Der albanische Politologe Lutfi Dervishi warnt: „Füttert ein korruptes Politsystem die KI mit manipulierten Daten oder richtet Filter dafür ein, was die KI auf keinen Fall sehen soll, wird Diella nur die alte Korruption mit neuer Software legitimieren.“

Ähnlich klingt der französische KI-Spezialist Jean-Gabriel Ganascia. „LLMs spiegeln die Gesellschaft wider: Sie sind voreingenommen. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass sie das Problem der Korruption lösen“, sagt Ganascia. „Wenn öffentliche Entscheidungen einer Maschine anvertraut werden, bedeutet dies, dass es keine Rechenschaftspflicht mehr gibt. Wir Menschen werden zu Sklaven degradiert.“

Premier Rama hat dieses Problem zumindest erkannt. Per Dekret trägt er „die Verantwortung für die Schaffung und den Betrieb des virtuellen KI-Ministeriums“. Rama pocht auf das Prinzip „Mensch geht vor Maschine.

Unterdessen pries die deutsche Bundesregierung in dieser Woche „einen spektakulären KI-Auftritt“ im Kanzleramt. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer stellte den „Weimatar“ vor. Er sei „der erste Avatar eines Regierungsmitglieds in Deutschland“, stimmte Weimer das Hohelied auf seine virtuelle Schöpfung an.

Derweil hüllt sich Diella, die frisch gekürte KI-Ministerin, über die Interviewanfrage der taz beharrlich in Schweigen. Dabei gäbe es viele Fragen an sie.

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