Aktuelle Lage im Westjordanland: Proteste und Generalstreik
Nach dem Tod von Hamas-Führer Saleh al-Aruri demonstrieren Hunderte Palästinenser. Wegen eines Generalstreiks bleiben Schulen geschlossen.
Am Protest nehmen Männer und Frauen unterschiedlichen Alters teil, traditionell gekleidete Frauen mit Kopftuch sowie Teenager auf Fahrrädern. „Ich bin hier, weil Israel Saleh Aruri, Führer des palästinensischen Widerstandes, getötet hat“, sagt etwa eine 48-jährige Demonstrantin aus Ramallah, ohne Schleier und im Regenmantel, die Suhara genannt werden will. „Wir wollen von der israelischen Besatzung befreit werden, wollen so leben wie jeder andere Mensch auch und den Genozid in Gaza stoppen.“
Ein 28-jähriger Demonstrant erklärt am Rande des Protestzuges: „Wir sind alle aufgebracht. Wir sind hierhergekommen, um der Welt zu zeigen, dass wir zu den Menschen in Gaza stehen, dass wir ein einziges Volk sind.“ Er habe in den sozialen Netzwerken vom Protest erfahren und sei sofort herbeigeeilt. Die Demonstration in den leeren Straßen von Ramallah bleibt friedlich. In einem Flüchtlingslager nahe Hebron meldet die Fatah-nahe Nachrichtenagentur Wafa hingegen, israelische Streitkräfte hätten einen Protest gegen die israelischen Angriffe mit Tränengas aufgelöst. Eine entsprechende Anfrage an das israelische Militär blieb unbeantwortet.
Wegen der Tötung al-Aruris ist am Mittwoch im gesamten Westjordanland ein Generalstreik ausgerufen worden. Schulen, Universitäten, Banken, Restaurants und Regierungsbüros blieben geschlossen. Im Zentrum von Ramallah sind gegen Mittag nur einige Dutzend Demonstrant*innen im Nieselregen unterwegs, die Rollläden vor den Schaufenstern der Geschäfte überall zugezogen. Verschiedene Parteien haben zum Protest aufgerufen.
44 Prozent unterstützen Hamas
Issam Bakr, politischer Koordinator der Parteien im Bezirk Ramallah und Mitveranstalter der Demonstration, sagt zu den jüngsten Ereignissen: „Wir verurteilen diese Tötung, es ist ein Kriegsverbrechen und überschreitet alle roten Linien. Und persönlich denke ich, dass sie niemals den Kampf der Palästinenser*innen für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung beenden wird.“ Das Westjordanland sei bereits davor unruhig gewesen, der Tod al-Aruris könnte die Lage zusätzlich destabilisieren, so Bakr.
Ähnlich sieht es Ibrahim Dalalsha, Direktor des palästinensischen Thinktanks „Horizon Center“: „Die Sicherheitslage im Westjordanland wird wahrscheinlich auf zwei verschiedenen Ebenen davon beeinflusst.“ Zum einen könnte es für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland schwieriger werden, die Kontrolle zu behalten.
Nach jüngsten Umfragen unterstützen inzwischen 44 Prozent der Menschen im Westjordanland die Hamas, vor drei Monaten waren es 12 Prozent. „Gestern Abend haben wir Hunderte Menschen gesehen, die mit Hamas-Flaggen marschiert sind, trotz des PA-Verbots, Hamas-Flaggen zu hissen“, sagt Dalalsha. Zum anderen könnte die Tötung al-Aruris Angriffe auf israelische Soldat*innen und Siedler*innen befeuern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“