AktivistInnen über Protest in Polen: „Das ist der Anfang vom Ende der PiS“
Das Abtreibungsverbot in Polen wurde zurückgezogen. Die Demos waren erfolgreich, doch für Karolina und Chris Niedenthal ist der Kampf längst nicht vorbei.
taz: Frau und Herr Niedenthal, das totale Abtreibungsverbot ist vom Tisch. So erfolgreich wie der große Frauenstreik letzte Woche war noch kein Protest seit den Wahlen 2015. Viele TeilnehmerInnen waren zum ersten Mal auf einer Demo. Was für ein Gefühl ist das?
Karolina Niedenthal: Wir sind sehr erleichtert und sehr stolz. So viele junge Frauen waren auf der Demo! Endlich begreifen die jungen Leute, dass Politik nicht nur eine Sache von „denen da oben“ ist, sondern sie persönlich betrifft. Aber die Schlacht ist noch nicht gewonnen. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) will nun ein eigenes Abtreibungsgesetz formulieren.
Hat sie noch nicht genug von den Protesten?
Chris Niedenthal: PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński weiß spätestens seit dem „schwarzen Montag“, dass seine Regierung keine Chance hat im Kampf gegen wütende Frauen. Aber er steht unter Druck der katholischen Kirche. Es sind vor allem die Bischöfe, die das Abtreibungsgesetz verschärfen wollen …
Karolina Niedenthal: … und die Pille verbieten und den Sexualkundeunterricht abschaffen. Kaczyński steht tief in der Schuld der katholischen Kirche. Ohne deren Wahlhilfe wäre er nicht an die Macht gekommen. Es sind Unsummen von Steuergeldern, die nun auf Kirchenkonten fließen. Aber dabei bleibt es ja nicht: Die Bischöfe wollen über die PiS kanonisches Recht in Polens Strafgesetzbuch verankern. Aber wir Frauen lassen uns nicht kampflos unsere Freiheit und Würde nehmen.
So könnte der „schwarze Protest“ noch zum Trauma der PiS werden?
Chris Niedenthal: Der Frauenstreik ist der Anfang vom Ende der PiS-Regierung.
Karolina Niedenthal: Wir werden so lange streiken und demonstrieren, bis wir unser Ziel erreicht haben. Und unsere Männer unterstützen uns dabei. Sie sind auf unserer Seite.
Aber es scheint insbesondere unter den rechten Publizisten Polens auch richtige Frauenhasser zu geben?
Karolina Niedenthal: Der Außenminister spricht uns Frauen die Fähigkeit ab, „ernsthaft“ über Fragen von „Leben und Tod“ zu sprechen. Für unseren Kampf um Menschen- und Frauenrechte hat er nur tiefste Verachtung übrig. Angeblich würden wir uns auf der Straße „vergnügen“. Ein katholischer Publizist empfahl den Frauen, Nazi-Armbinden überzustreifen, und Erzbischof Hoser faselte gar vom „Stress“, der Frauen bei einer Vergewaltigung vor einer Schwangerschaft schütze. Das soll wohl heißen, dass einer Frau, die dann doch schwanger wird, die Vergewaltigung Spaß gemacht hat.
66, lebt und arbeitet in Warschau als Fotograf. Er arbeitete unter anderem für Zeitschriften wie Newsweek, Time, Der Spiegel. Er ist Preisträger des World Press Photo Awards 1986 und zählt aufgrund seiner Arbeiten zum Kommunismus in Polen zu den bekanntesten Fotografen Europas.
Chris Niedenthal: Das alles schadet der katholischen Kirche enorm. Dabei hatte sie mal eine wirklich große Autorität. In den 1970er und 1980er Jahren, als die Arbeiter und die Intellektuellen gegen das kommunistische Regime kämpften, fanden wir alle – gläubig oder nicht – moralischen Rückhalt in der katholischen Kirche. Das war eine Oase der Freiheit für Andersdenkende und Künstler. Auch die Vorträge und Diskussionen der sogenannten Fliegenden Universität fanden oft in Kirchenräumen statt. Davon ist kaum etwas geblieben. Immer mehr Leute überlegen, wie sie auch offiziell aus dieser Kirche austreten können.
Ist Polens katholische Kirche weniger gespalten als die polnische Gesellschaft?
Karolina Niedenthal: Die Priester und Bischöfe sind durchgängig sehr konservativ, zum Teil auch reaktionär. Ein Lichtblick sind einige katholische Orden. Insbesondere die Dominikaner zeichnen sich durch große intellektuelle Unabhängigkeit aus. Doch auch Papst Franziskus hat, wenn es um Sexualmoral geht, Ansichten, die in Polen als geradezu revolutionär empfunden werden. Insgesamt aber ist die Kirche weniger gespalten.
Vielleicht denken sich Politiker wie Bischöfe, dass es nach dem Zurückziehen des totalen Abtreibungsverbots im Land nun wieder ruhiger wird?
Karolina Niedenthal: Nein, diese Illusion haben sie wohl schon verloren. Sobald sie den kleinsten Versuch machen, dieses Gesetz doch noch einzuführen, sind wir wieder alle auf der Straße. Denn jetzt ist die Jugend aufgewacht. Die jungen Frauen sind wirklich empört. Die Politiker wollen ihnen Menschenrechte wegnehmen, wollen sie ihrer Entscheidungsfreiheit und Würde berauben. Das ist unfassbar! In der empörten Jugend aber steckt das Potenzial für eine Revolution. Das ist unsere große Hoffnung.
Chris Niedenthal: Das war ja keine Pro-Abtreibungsdemo, sondern eine für die Freiheit der Wahl. Die Frauen wollen die Entscheidungshoheit über ihren Körper behalten. Die Politiker aber wollen schwangere Frauen entmündigen und sie zwingen, ihr Leben in einer Risikogeburt aufs Spiel zu setzen oder aber schwer missgebildete Säuglinge zur Welt zu bringen. Den Imageschaden wird die PiS so schnell nicht mehr los. Es war ein massiver Fehler, die Androhung drakonischer Haftstrafen gegen Schwangere und die sie behandelnden Ärzte zu unterstützen.
63, lebt und arbeitet in Warschau als Germanistin und Übersetzerin. Sie übersetzt zeitgenössische deutschsprachige Literatur ins Polnische, u. a.: Stefan Zweig, „Dziewczyna z poczty“, W.A.B. 2012 („Rausch der Verwandlung“, S. Fischer 1982).
Apropos Imageschaden: Stimmt es, dass in Poznań die Polizei einen Zwischenfall provozierte, um mit Schlagstöcken und Schäferhunden gegen Demonstrantinnen vorzugehen?
Karolina Niedenthal: Viele Leute, die dabei waren, sprechen von einer Provokation der Polizei. Tatsächlich sind dort an einer Stelle ein paar Anarchisten aufgetaucht. Sie waren anders angezogen und klar von den übrigen Demonstranten zu unterscheiden. Merkwürdig ist nur, dass die Polizei genau an dieser Stelle schon vorher zweireihig aufgestellt war, mit weißen Helmen, kugelsicheren Westen und Hunden. Nirgends sonst trat die Polizei so auf. Ja, und dann kam es angeblich zu Angriffen der Frauen auf die Polizisten, sodass diese „reagieren“ mussten.
Chris Niedenthal: Natürlich können wir nicht mit Sicherheit sagen, wie es war. Denn wir waren ja nicht dabei. Aber seltsam ist das schon. Die PiS-Regierung hat auch nichts dagegen, das Nationalradikale Lager (ONR) und andere Nationalisten auf die außerparlamentarische Opposition loszulassen, also beispielsweise auf KOD – das Komitee zur Verteidigung der Demokratie. Und wenn es dann kracht, werden Polizei oder PiS wieder von angeblichen „Provokationen“ sprechen. Natürlich nicht vonseiten der Hooligans, wie man sich denken kann. Das erinnert alles stark an die Zeit des kommunistischen Regimes in Polen. Nur dass sich heute die Rechten die Methoden der damals Herrschenden zu eigen gemacht haben.
Hat die katholische Kirche damals die Polinnen auch dazu zwingen wollen, schwerstkranke Kinder auf die Welt zu bringen, die kurz nach der Geburt sterben?
Karolina Niedenthal: Nein, das hat es nicht gegeben. Ein bekannter Gynäkologe erzählte aber vor Kurzem im Fernsehen, dass er ein „gerettetes Kind“ auf die Welt holen musste, das keinerlei Überlebenschance hatte. Als die Mutter das schwer missgebildete Kind nottaufen lassen wollte, war kein Bischof und kein Priester bereit, dies zu tun. Und das ist es wohl, was viele Menschen jetzt begriffen haben: Die Kirchenvertreter haben viele hochmoralische Forderungen, aber wenn es hart auf hart kommt, lassen sie die Frauen in der Not allein.
Chris Niedenthal: Die Frauen wissen selbst am besten, was für sie gut und richtig ist.
Karolina Niedenthal: Kein Vergewaltiger, Gynäkologe, Bischof oder Moralapostel hat das Recht, über Leben und Gesundheit einer Frau zu entscheiden.
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