Aktivist über Zwangsräumungen: „15 Räumungen haben wir verhindert“
Das Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ versucht seit zwei Jahren genau das. Ein Gespräch über erfolgreiche Verhandlungen und den Nutzen von Blockaden.
taz: Herr Schuster, nach einem gescheiterten ersten Versuch ist die Polizei am Mittwochmorgen ein zweites Mal angerückt, um den Kölner Kalle aus seiner Wohnung zu räumen, Anfang April gab es gleich drei Mobilisierungen zu Blockaden von Zwangsräumungen in Berlin. Steht diese Häufung der Fälle für den Erfolg oder Misserfolg des Bündnisses in den vergangenen zwei Jahren?
David Schuster: Insgesamt waren wir erfolgreich, weil sich nach den größeren Mobilisierungen bei den Räumungen der Familie Gülbol und von Rosemarie Fliess sehr viele Menschen bei uns gemeldet haben, die von drohenden Räumungen betroffen sind. 15 dieser Räumungen konnten wir durch unsere Arbeit verhindern. Dabei waren wir letztlich nie durch Blockaden erfolgreich, sondern durch Verhandlungen im Vorhinein und mit Blockadedrohungen.
Steigt denn die Zahl der Zwangsräumungen oder melden sich nur mehr Betroffene?
Weil die Gerichtsvollzieher in Berlin privatisiert wurden, gibt es keine genauen Zahlen über die Häufigkeit von Räumungen, sondern nur Schätzungen. Diese gehen davon aus, dass sich die Problematik im vergangenen Jahr noch einmal verschärft hat. Auch bei uns melden sich immer mehr Menschen. Bis jetzt haben wir etwa 60 Betroffene unterstützt, allein im Moment haben wir mit zehn Fällen zu tun, womit wir auch langsam an die Grenze dessen kommen, was wir bewältigen können. Die Räumungen sind aber nur die Spitze des Verdrängungs-Eisbergs. Die meisten Mieter lassen es nicht bis zur Räumung kommen und ziehen vorher aus. Leider gibt es sehr zielgerichtete Strategien der Vermieter, um alte Mieter loszuwerden und neue Zahlungskräftige in die Häuser zu holen – und die Gerichte spielen dabei oft mit.
Wie kommt es dazu, dass das Berliner Bündnis gegen eine Zwangsräumung in Köln protestiert?
Im Anschluss an unsere Initiative haben sich in einigen Städten Aktionen entwickelt. In Hamburg, Freiburg und im Ruhrgebiet ist wahrgenommen worden, was wir in Berlin machen und sich der Thematik ebenfalls angenommen worden. Zu der Initiative, die Kalle unterstützt, haben wir direkten Kontakt. Beim ersten Räumungsversuch waren wir vor Ort, auch der Zwangsgeräumte Ali Gülbol war mit dabei.
Ein Aufgebot von etwa 100 Polizisten hat am Mittwoch die Zwangsräumung der Wohnung des Kölners Kalle Gerigk durchgesetzt. Etwa 20 Demonstranten hatten im Vorgarten und im Treppenhaus mit einer Sitzblockade versucht, die Räumung zu behindern. (dpa)
Ein zweiter Blockadeversuch war bislang stets erfolglos. Wieso wird es dennoch versucht?
Es ist klar, dass man die Maßnahmen durch Blockaden meistens nicht verhindern kann. Aber es geht darum, eine Öffentlichkeit herzustellen, in der über das Problem diskutiert wird. Dafür sind Blockaden viel besser geeignet, als die Arbeit im Hintergrund. Auch wollen wir den Menschen, die mit der Mietentwicklung unzufrieden sind, eine Möglichkeit für ihren Protest bieten.
ist Politikwissenschaftler und einer der Initiatoren des Berliner Bündnisses „Zwangsräumungen verhindern“.
Wie wird vor diesem letzten Schritt versucht, die Betroffenen zu unterstützen?
Ein typisches Beispiel hatten wir im Januar vergangenen Jahres in Berlin-Kreuzberg. Ein älteres Ehepaar, 70 und 80 Jahre alt, sollte von der Wohnungsbaugesellschaft WBM vor die Tür gesetzt werden. Als erste Gespräche nicht fruchteten, gab es bei der WBM ein Go-in, bei dem wir uns eine Stunde ins Foyer gesetzt haben. Anschließend haben wir uns an den damaligen grünen Bezirksbürgermeister Schulz gewandt, der dann Gespräche aufgenommen hat. Weil auch diese erfolglos blieben, haben wir auf eine Pressekonferenz mit einer Blockade gedroht. Es waren dann noch drei weitere Verhandlungsrunden zwischen der WBM, Politikern und uns nötig, bis eingelenkt wurde. Das Ehepaar lebt heute immer noch in ihrer Wohnung.
Sind Blockade-Androhungen also das Erfolgsrezept?
Besonders bei Wohnungsbaugesellschaften funktioniert das ganz gut, gerade bei den öffentlichen. Da sitzen Staatssekretäre und andere Politiker in den Aufsichtsräten, die sich im Zweifel für die unsoziale Politik verantworten müssen. Schwieriger ist es bei privaten Vermietern.
Bei den Räumungsprotesten sind überwiegend Aktivsten aus der linken Szene beteiligt. Wieso gelingt es mit dem Thema nicht, auch darüber hinaus zu wirken?
Das stimmt nur für zwei oder drei der kleineren Blockaden, aber bei anderen keineswegs. Sowohl bei den größeren Mobilisierungen als auch bei zwei Räumungen vergangenen Sommer in Spandau waren sehr viele lokale Leute vor Ort. Das ist auch stets unser Ziel, die Nachbarschaft mit einzubeziehen und im Vorfeld zu sensibilisieren.
Die Blockade gegen die Räumung der Familie Gülbol war mit 1.000 Beteiligten die bislang größte. Doch seit über einem Jahr gab es keine vergleichbare Mobilisierung mehr. Zieht das Thema nicht mehr?
Für den Fall hatten wir einfach eine lange Vorbereitungszeit, die haben wir selten. In Neukölln gab es vergangenen Sommer einen ähnlich gelagerten Fall. Da klebten schon die Plakate und wären wieder so viele Menschen gekommen, doch dann hat die Wohnungsbaugesellschaft kurzfristig einen Rückzieher gemacht. Manchmal müssen wir dagegen innerhalb von 24 Stunden mobilisieren, aber auch da kommen dann 100-200 Menschen.
Welche Aktionen sind vom Bündnis demnächst zu erwarten?
Diesen Donnerstag kommt es in Berlin zum Prozess gegen einen Demonstranten, der vergangenes Jahr auf einer Demo nach dem Tod von Rosemarie Fliess von der Polizei bewusstlos geschlagen wurde. Das werden wir solidarisch begleiten. Ansonsten haben einige der Mieter, die wir schon lange betreuen, zuletzt ihre Gerichtsprozesse verloren. Die werden in den nächsten Monaten ihre Räumungstermine bekommen. Insofern steht da noch einiges an.
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