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Aktivist über „Tag ohne Bundeswehr“„Unsere Wirkung hat uns überrascht“

Auch 2023 gibt es keinen „Tag der Bundeswehr“ in Berlin. Das sei ein Erfolg des kreativen Protestes, sagt die Kampagne „Tag ohne Bundeswehr“.

Nur auf den ersten Blick ähnlich: Als Werbung getarnte Bundeswehr-Kritik Foto: Kampagne „Tag ohne Bundeswehr“
Interview von Claudius Prößer

taz: Eure Kampagne heißt „Tag ohne Bundeswehr“ – was hat es damit auf sich?

Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg: Die Kampagne ist 2021 gestartet – damals haben wir haben zum ersten Mal einen Aktionsaufruf gegen den sogenannten Tag der Bundeswehr gemacht, der seit 2015 jährlich stattfindet. Dabei veranstaltet die Bundeswehr in ihren Liegenschaften bundesweit Werbeaktionen. Geplant war das in den letzten Jahren auch in Berlin, das wollten wir verhindern.

Ist die Kampagne eine Aktion der pazifistischen Organisation DFG-VK?

Wir sind ein Kollektiv von rund 20 Leuten in Berlin, an der bundesweiten Aktion 2021 haben sich 15 oder 16 Kollektive beteiligt. Unser Aufruf wurde damals zu unserer Überraschung vom Bundessprecherkreis der DFG-VK unterstützt.

Im Interview: Klaus-Theodor zu Schlechtenzwerg

ist der nom de guerre von SprecherInnen der Kampagne „Tag ohne Bundeswehr“ (tob21.noblogs.org).

Warum war das überraschend?

Die DFG-VK ruft zwar selbst regelmäßig zu Aktionen am „Tag der Bundeswehr“ auf, auch dieses Jahr übrigens. Allerdings sind die gewählten Aktionsmittel dann eher so etwas wie Infostand und Flyer in der Nähe der Kaserne. Das finden wir auch gut und wichtig, und umso schöner finden wir, dass sie auch ein bisschen krawalligere Aktionen wie unsere unterstützen.

Tatsächlich hat bislang noch nie ein „Tag der Bundeswehr“ in Berlin stattgefunden.

2020 ist der erste Versuch wegen der Corona-Pandemie gescheitert. Für 2021 haben wir dann Geld gefundraist und damit Poster gedruckt, die die Werbung der Bundeswehr leicht abgewandelt haben.

Die Neuen bei der Bundeswehr

Der Krieg Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs im Jahr 2022 haben 536 Frauen und Männer in Berlin ihren Dienst als Soldaten und Soldatinnen bei der Bundeswehr angetreten. Damit waren es rund 150 mehr als im Jahr davor, wie das Bundesverteidigungsministerium in Berlin mitteilte. 455 Männer und 81 Frauen stellten sich in Berlin 2022 in den Dienst der Bundeswehr. Deutschlandweit begannen 18.775 Menschen ihre Karriere bei der Bundeswehr – davon waren 15.586 Männer und 3.189 Frauen.

Die Jungen Das Vor-Corona-Niveau wurde in Berlin aber noch nicht erreicht: Vor vier Jahren lag die Anzahl der Einstellungen noch bei 679. 2020 und 2021 nahm die Anzahl der Einstellungen ab. Im Vergleich zum Vorjahr 2021 traten außerdem mehr Minderjährige den Dienst bei der Bundeswehr an. Waren es 2021 36 17-Jährige, erhöhte sich die Zahl im Jahr 2022 auf 68. Das Verteidigungsministerium betonte, dass die unter 18-Jährigen keinen Dienst leisten, „der den selbstständigen Gebrauch der Waffe fordern könnte“. (dpa)

Da standen dann vor dem bekannten Tarnfleck-Hintergrund Sprüche wie „Ausbeutung gewaltsam verteidigen“ oder „Jeder Tote ist ein kleiner Schritt zum Weltfrieden“.

Genau. Auch 2021 wurden die Veranstaltungen wegen Covid abgesagt, trotzdem war unser Adbusting landauf, landab zu sehen. Das hat auf Social Media eingeschlagen und der Bundeswehr die Show gestohlen. In Berlin gab es übrigens die Besonderheit, dass die Bundeswehr ihren Tag mit dem Tegeler Hafenfest zusammenlegen wollte. Der damalige CDU-Bürgermeister von Reinickendorf, Frank Balzer, hat das mit vorangetrieben, der sitzt ja heute als rechter Scharfmacher im Abgordnetenhaus. Wir fanden diese Idee besonders schlecht, denn bei so einem Fest laufen der Bundeswehr ja alle möglichen Leute in die Hände. Da gab es aber offenbar schon erste Risse im Konzept: Schon vor der Absage hatten sie beschlossen, sich mit ihrer Aktion in die Julius-Leber-Kaserne zurückzuziehen.

Protest gab es trotzdem?

Auch da haben Leute das Adbusting wieder aufgenommen und rund um das Ministerium in Tiergarten Poster aufgehängt. Aber fiese ChaotInnen haben auch Flyer gedruckt und damit einen Kommunikationsguerillakrieg vom Zaun gebrochen. Mal hat da eine „Kriegsministerin Annegret Krupp-Knarrenbauer“ erklärt, dass sie sich mehr Protest wünsche, weil die Bundeswehr ja auch dafür kämpfe, dass man gegen sie sein könne, mal lehnte Frank Balzer vermeintlich den „Tag der Bundeswehr“ ab, weil er in der Pandemie erkannt habe, dass es viel besser sei, das Gesundheitswesen aufzurüsten.

Was passiert eigentlich konkret bei diesen Veranstaltungen, wenn sie denn stattfinden?

Auf den Bundeswehr-Stützpunkten im Land gibt es Tage der offenen Tür, mit Erbsensuppe und Panzer-Showfahrten. Regelmäßig kommt es zu peinlichen Szenen, wo Soldaten Kindern Knarren in die Hand drücken. Wo die Bundeswehr einen höheren Rückhalt hat, kapert sie auch Stadtfeste und militarisiert sie durch. Dieses Jahr ist das zum Beispiel in Brandenburg an der Havel geplant.

Ihr sagt, der Berliner Staatsschutz habe „freigedreht“ und gegen euch ermittelt – was ist da passiert?

Sie haben meines Wissens niemanden geschnappt, und die Staatsanwaltschaft hat am Ende gesagt: Das ist Quatsch, es gibt kein besonderes öffentliches Interesse daran, solche Aktionen zu verfolgen. Was wohl auch daran lag, dass die Bundeswehr es selbst herunterspielen wollte, um noch mehr Öffentlichkeit zu vermeiden.

Im Juni steht der erste „Tag der Bundeswehr“ nach Covid an – aber Berlin steht wieder nicht auf der Liste, die gerade öffentlich wurde.

Ja, das hat uns auch überrascht. Dass wir mit dem bisschen Poster-Protest so viel Wirkung haben würden, konnten wir uns gar nicht vorstellen. Aber wir freuen uns natürlich darüber.

Ihr denkt, dass ihr das verhindert habt?

Politische Veränderungen haben immer mehrere Faktoren. In diesem Fall war die Pandemie in den letzten Jahren auf die Kampfmoral gegangen, und in Tegel gab es 2022 nach dem zeitweiligen Aus für die CDU im Bürgermeisteramt keine Unterstützung mehr. Wenn dann noch nervige satirische Aktionen hinzukommen, kann das der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Seit Ukrainekrieg und „Zeitenwende“ scheint alles anders zu sein, militärische Gewalt und Aufrüstung genießen neue Legitimation.

Die Stimmung in der Bevölkerung hat das natürlich nicht einfacher gemacht. Aber ich denke nach wie vor, dass Aufrüstung es nicht bringt – die ganze Rüstung hat Putin nicht davon abgehalten, in die Ukraine einzumarschieren. Und wenn wir uns nicht jahrelang eingeredet hätten, dass das ein lupenreiner Demokrat ist, sondern schon vor Jahren gewaltfreie Mittel wie Sanktionen ausgespielt worden wären, hätte eine gute Chance bestanden, dass alles nicht so schlimm kommt. Das haben wir aber wunderbar vermasselt. Ich glaube weiterhin, dass gewaltfreie Mittel ausreichend Druck machen können und Rüstung nicht das ist, was abschreckt. Mal abgesehen davon, dass das Geld für die Bundeswehr am Ende in irgendwelchen Gorch Focks versickert.

Lässt sich künftig noch Protest gegen militaristische Werbung organisieren, oder hat sich der Wind gedreht?

Ich kann nicht hellsehen. Ich befürchte, dass es schwieriger wird, aber ich würde es schade bis katastrophal finden, wenn wir noch mehr Geld in Rüstung verschwenden, statt endlich ein Sondervermögen Klimaschutz aufzulegen. Und nur weil die Stimmung schlechter wird, ist das ja kein Anlass, die Hände in den Schoß zu legen.

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Auch wenn ich nicht direkt die Bundeswehr ablehne, so misfallen mir auch diverse heutige Werbekampagnen. Bei uns in der bösen Stadt mit C fuhr oder fährt eine komplett in Fantansie-Dreiecks-Tarn gefärbte Straßenbahn herum. Oder Jet-Piloten grüßen überlebensgroß von der Werbetafel aus dem Cockpit. Gefällt mir nicht!

    Auch ich sollte als Obergefreiter der Instandsetzung an so einem Tag der offenen Tür in Gotha 2004 Kindern Infanteriewaffen wie Pistolen, Maschinengewehre, Panzerfäuste, Handgranaten, Minen und derlei präsentieren. Diesem Auftrag habe ich mich verweigert, das einzige Mal während meiner Grundwehrdienstzeit. (ohne Konsequenzen immerhin)



    Wie pervers muss man sein, Kinder von echtem Kriegsgerät begeistern zu wollen... zumal der Umgang oder gar Einsatz dieser Mittel im normalen realen Militäralltag eher selten vorkommt. Die Motivation zur Armee zu gehen sollte bestens nie darin bestehen, mit möglichst dicken Knarren ballern zu wollen!

  • Die Kampagne verdreht hier im Inteview die Fakten. Nur ganz wenige haben behauptet, Putin sei ein "Lupenreiner Demokrat". Dieser Standpunkt war so selten, dass er tatsächlich als Witz diente. Zwischen der Annektion der Krim und dem Überfall auf die Ukraine wurden dutzende von Sanktionen verhängt. Nach dem Überfall auf die Ukraine übrigens mehrere Tausend. Laut Statista sind momentan über 6.000 verschiedene Sanktionen gegen Russland verhängt. Man kann also nicht davon sprechen, dass auf gewaltfreie Mittel verzichtet wurde.

  • Man kann die Bundeswehr mitgestalten oder den rechten überlassen. Da ist sie und wird es auch auf langer Sicht.

  • Mir gefällt Klaus und seine humorvolle Art, Militarisierung in Frage zu stellen. :3

  • - die ganze Rüstung hat Putin nicht davon abgehalten, in die Ukraine einzumarschieren…

    Diese Woche war es in der Presse, die Bundeswehr hat Probleme 30 funktionierende Leopard-Panzer zusammenzuklauben, für die schnell einsetzbare Truppe der NATO. Nach mehrjähriger Planung. Und die Munition reicht für 2 Monate.

    -Wo die Bundeswehr einen höheren Rückhalt hat, kapert sie auch Stadtfeste und militarisiert sie durch.



    Was bedeutet das? Uniformzwang und Marschmusik oder einen Stand der Bundeswehr mit Infomaterial? Schön wenn man ein klares Feindbild hat. Die Bundeswehr erscheint im Leben der meisten Menschen nicht und ist für sie völlig bedeutungslos. Wir haben hier keine militaristische Gesellschaft. Das ist in den meisten Ländern in Europa aber auch sonst deutlich anders. Militarismus mitten in der Gesellschaft findet man insbesondere dort, wo kommunistische/sozialistische Parteien den Staat besitzen.

  • Nun, ich würde es gut finden, wenn bei der Bundeswehr nicht nur lauter Rechte sind.

    Aus dem Grund braucht sie Werbung.

    Seit einem Jahr wirken solche Aktionen antquiert.

    Klar hat "die ganze Rüstung" Putin nicht davon abgehalten, in die Ukraine einzumarschieren.

    Sie hält ihn aber gerade davon ab, in der Moldau, in Estland, Litauen und Lettland, in Polen und Georgien einzumarschieren.

    Sie hält ihn außerdem davon ab, mal kurz alle nicht russlandfreundlichen Ukrainer zu massakrieren.

    Ist ja auch schon mal was.

    Und den Ukrainern beim Sterben zuzusehen, ist ja auch nicht wirklich eine Lösung.

    Wenn Putins Generalität mit dem Fernglas über die Oder guckt, wünsche ich mir eine Bundeswehr, die mehr zu bieten hat als Sanktionen.

    Imperialisten wussten selten,. wann es Zeit ist aufzuhören. Es gibt wenig Hinweise, dass Putin eine Ausnahme wäre.

    • 3G
      32051 (Profil gelöscht)
      @rero:

      Genau das ist der Punkt Demokratische Menschen werden von der Bundeswehr abgehalten, Rechtsextreme füllen das Vakuum.

      Super gelaufen...

    • @rero:

      Ich würde mal die steile These aufstellen, dass die Bundeswehr so viel Werbung machen kann, wie sie will - Linke werden da trotzdem nicht hingehen.

      In Moldau und Georgien sind übrigens russische Truppen stationiert.

      • @Piratenpunk:

        Dass Linke dort "trotzdem" nicht hingehen, ist ein Problem.

        Es ist ja nicht so, dass Linke grundsätzlich etwas gegen Militär hätten.

        Dass russische Truppen in Georgien und der Republik Moldau bereits stationiert sind, ist mir bewusst.

    • @rero:

      "Sie hält ihn aber gerade davon ab, in der Moldau, in Estland, Litauen und Lettland, in Polen und Georgien einzumarschieren."

      Belege bitte.

      • @Kawabunga:

        Lesen Sie sich einfach durch, was Putin, Lawrow und viele andere so von sich geben.



        Drugin ist auch sehr spannend.