Aktivist über Hamburger Gedenkpolitik: „Profit ist oft wichtiger“
Die Stadt Hamburg überlässt die Gestaltung von Gedenkorten in lukrativen Innenstadt-Immobilien gern Investoren. Ulrich Hentschel will das ändern.
taz: Herr Hentschel, Sie werden über „Profit versus Gedenken“ diskutieren. Aber könnte der Profit das Gedenken nicht finanzieren?
Ulrich Hentschel: Wir machen die Erfahrung, dass Profitinteressen das Gedenken marginalisieren. Es zeigt sich, dass die Privatisierung der Erinnerung an die Nazi-Verbrechen der falsche Weg ist.
Sie schreiben, in Hamburg etabliere sich eine Praxis der erinnerungspolitischen Entwürdigung. Sie meinen den Hannoverschen Bahnhof?
Zum Beispiel. An diesem einstigen Deportationsbahnhof soll ein Dokumentationsort entstehen – in einem neuen Gebäude, in das als Hauptmieter Wintershall einziehen wird. Wintershall war dem NS-Regime eng verbunden, und diese Nähe ist vor allem für die Opferverbände eine Zumutung.
Auch beim Stadthaus, der Ex-Gestapo-Zentrale, hatte die Stadt den Investor verpflichtet, einen Gedenkort einzurichten.
71, Pastor im Ruhestand, ist in der Initiative „Gedenkort Stadthaus“ aktiv.
Ja, auf 750 Quadratmetern. Stattdessen gibt es eine 50 Quadratmeter kleine Gedenk-Ecke in einer Buchhandlung mit Café – einem privaten Unternehmen. Und der Kultursenator akzeptiert, dass das ein angemessener Dokumentationsort für NS-Verbrechen sei.
Warum schließt die Stadt für solche Orte oft unzulängliche Verträge?
Ich glaube nicht, dass das so abgesprochen ist. Aber es gibt die Beobachtung, dass man in die Verträge zwar ab und zu das Gedenken hineinschreibt, diese Verträge dann aber zu Ungunsten des Gedenkens ausgelegt werden. Dahinter steckt vielleicht halb bewusst das Bedürfnis, das Stadtzentrum, wo die erwähnten Orte liegen, rein zu halten von verstörenden Erinnerungen.
Das klingt nun doch nach Verschwörungsmythos.
„Profit versus Gedenken. Eine erinnerungspolitische Intervention“ – mit Ulrich Hentschel, Wolfgang Kopitzsch, Miriam Rürup, Arnold Weiß: Fr, 29. 10., 19 Uhr, Hamburg, Apostelkirche Eimsbüttel. Die Veranstaltung ist leider ausverkauft.
Nein, es ist vielmehr der Versuch, Erkenntnis zu gewinnen, wenn wir als erinnerungspolitische Bewegung keine Niederlagen erleiden wollen. Das ist eine bleibende Aufgabe, denn der Wunsch nach einem „glatten“ und schönen Stadtzentrum wird vermutlich von der Mehrheit der Bevölkerung getragen.
Vermuten Sie, dass die Stadt die erinnerungspolitischen Initiativen gezielt spaltet?
Nein. Ich sehe einfach nur eine hartleibige Ignoranz. Aber auch wenn die Gedenkinitiativen zu Gesprächen eingeladen werden, bleiben sie in den Entscheidungen unberücksichtigt.
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