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Aktion gegen Polizisten in NiedersachsenBrutales Ende eines Protests

Die Polizei berichtet von 60 Vermummten vor dem Haus eines Beamten. Die Aktivisten sprechen von einem Straßenkonzert und unangemessene Polizeigewalt.

Auch 2011 gab es eine musikalische Protestaktion in Hitzacker: Damals ging es um Atomtransporte Foto: dpa

Hannover/Hitzacker dpa/taz | Nach dem Protest von 60 Menschen vor dem Haus eines Polizisten nahe Hitzacker widersprechen Aktivisten der Darstellung der Polizei. Während in dem Polizeibericht von einem Aufmarsch von 60 Vermummten gesprochen wurde und von Einschüchterung die Rede war, sprechen Demonstranten von einem Straßenkonzert und von einem brutalen Vorgehen der Polizei.

Dem Polizeibericht zufolge hatte die Gruppe „gezielt das Grundstück und private Wohnhaus eines örtlichen Polizeibeamten in der Samtgemeinde Elbtalaue heimgesucht“. Durch lautstarke Stimmungsmache, Anbringen von Bannern und durch ihre Vermummung hätten die Teilnehmer versucht, dessen Familie einzuschüchtern, die allein Zuhause war.

Nach dem Eintreffen von Polizeikräften soll es zu „Handgreiflichkeiten und Widerstandshandlungen“ gekommen sein. Die Polizei erteilte Platzverweise und nahm mutmaßliche Täter in Gewahrsam. Vorausgegangen sein soll dem am Nachmittag eine friedlich verlaufene Demonstration in Gorleben. Der Ort ist als Kulminationspunkt der Anti-Atomkraft-Proteste bekannt.

Aus Sicht der Aktivisten stellt sich der Vorfall etwa anders dar. In einer Pressemitteilungen erklären sie, auf einem Wendeplatz vor dem Grundstück des betroffenen Beamten gemeinsam mit den Musikern der „Rotzfrechen Asphaltkultur“ ein Straßenmusikkonzert veranstaltet zu haben. Sie hätten die „Protestaktion gegen repressive Aktivitäten des übermotivierten Staatsschutzbeamten“ nach Eintreffen der Polizei beendet und den Platz verlassen.

Eine vermummte Hundertschaft der Polizei habe anschließend auf die abziehenden Aktivisten eingeprügelt. Auch der kritisierte Polizeibeamte sei darunter gewesen und habe als einziger Unvermummter auf am Boden liegende Aktivisten eingetreten. Die Aktivisten wären über fünf Stunden in einem Polizeikessel festgehalten worden. „Das Vorgehen der Polizei war absolut unverhältnismäßig, der Kessel in meinen Augen gesetzeswidrig“, so eine Musikerin.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte die Protestaktion scharf kritisiert. „Ich bin absolut davon entsetzt. Das ist eine unfassbare Grenzüberschreitung“, schrieb er bei Facebook. „Wenn der Name und die Adresse dieses Beamten aus Hitzacker auf einschlägigen Seiten der linksautonomen Szene veröffentlicht werden und er dann zuhause mit seiner Familie Opfer einer solchen Bedrohungslage wird, können wir das nicht hinnehmen und müssen reagieren.“

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28 Kommentare

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  • Die Polizei kümmert sich in erster Linie um sich selbst und muss Herr der Lage werden, auch wenn es noch so überflüssig ist.

    Nur zur Strafe

    nicht zur Übung.

  • Egal worum es geht, jedesmal kommt unter Garantie der Einwand "Damit treibt man die Menschen nur in die Fänge der AfD!".

     

    Damit wird inzwischen jede Art von Protest und Widerstand und jede Debatte bereits im Vorfeld gekillt. Dass "friedliches Demonstrieren" in der Spätphase der neoliberalen Transformation zum schlechten Scherz verkommen ist, dürfte doch wohl den Letzten der moralischen Zeigefingerheber und streng gesetzestreuen Prediger klar geworden sein.

     

    Die Rechten schüchtern doch längst ein, mit ihren Fackel- und Trommelmärschen, auch die Polizei schüchtert längst ein mit ihrer martialischen Aufrüstung, ihrer allumfassenden Überwachung, ihrer kaum noch verhohlenen rechten und rassistischen Gesinnung und selbst die brachial-bürgerlich Konservativen schüchtern ein, mit ihren lauten Schützenfestumzügen im militärischen Dress oder ihrer grausigen Humorvereinnahmung namens Karneval, ihrer völkischen Schunkelschlager- und Marschmusik allerorten.

     

    Es geht ganz marginal darum, den öffentlichen Raum zu besetzen, Präsenz, Masse und Stärke zu zeigen. Wer aus vermeintlich höheren moralischen Erwägungen heraus solche Aktionen ablehnt, kann sich und seine Ziele gleich begraben lassen. Es gab aus der selben Ecke ja auch Kritik an der Betonquader-Aktion vorm Haus des Ober-AfD-Politikers, aber es kommt sonst nichts, was die große rechte Walze aufhält.

  • Ob die Aktion klug bzw. legitim war, sei mal dahin gestellt. Aber es wäre zumindest angebracht, sich über deren Charakter zu verständigen, bevor Ku Klux Klan- und ähnlich abwegige Vergleiche gezogen werden. In diesem Sinne sei auf ein Video hingewiesen, das allenthalben im Internet kursiert: https://vimeo.com/271084602

    • @Olaf Bernau:

      Ein ganz klar gewaltbereiter Mob!

       

      Die hatten sogar einen Tacker dabei.

      Einen Tacker!

      • @danny schneider:

        OMG! Womöglich auch eine Klobürste?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    "Unter jedem Mindeststandard" hieß der Artikel von Anja Maier zu den Geschehnissen in Hitzacker.

     

    In der Annahme, dass die darin dargestellten Sachverhalte der Realität entsprechen, habe ich das Verhalten der Demonstrant*innen entschieden kritisiert.

     

    Was ich hier und bei anderen Quellen nun lese, deutet auf erhebliche Widersprüche in der Berichterstattung hin.

     

    Sollte Anja Maier einen Polizeibericht ohne eigene Recherche ungeprüft übernommen haben, so wäre dies "unter jedem Mindeststandard".

  • MIr scheint das Eintreten auf am Boden liegende Demonstranten dann doch Bände zu sprechen. Was tut die Polizei, um diejenigen aus ihren eigneen Reihen zu entfernen, die extremen Hass auf alles Linke haben?

    • @Celsus:

      Vielleicht einfach mal versuchen sich in den Menschen hineinzuversetzen... 60 Personen stehen vor dem eigenen Haus in dem die Familie ist. Skandieren irgendwelche Gesänge und schwenken Plakate. Betreten dabei sogar noch das Grundstück... Ist ja überhaupt nicht bedrohlich.

      Das dem da die Sicherungen durchbrennen ist auch garnicht nachvollziehbar.

       

      Das der allerdings da mitgehen durfte ist eher das Problem. Jemanden der persönlich involviert ist, den lässt man aus solchen Aktionen genau deshalb raus. Der denkt nicht klar

  • "„Das Vorgehen der Polizei war absolut unverhältnismäßig, der Kessel in meinen Augen gesetzeswidrig“, so eine Musikerin."

     

    Wie gut, dass sie Musikerin ist!

     

    Mit ein paar dutzend Menschen vor dem Privathaus eines Polizeibeamten zu "musizieren" und Banner zu hiessen ist Einschüchterung von der übelsten Sorte!

     

    Die Dame sollte sich einmal vorstellen, wie sie sich in dieser Situation fühlen würde, stünde eine gleiche Menge Rechter vor ihrer Haustüre und würden "musizieren"!

    • @Jens Frisch:

      Absolut zutreffende Bemerkung. Aber gleich ist eben nicht gleich, bei gewissen Leuten hier wie da.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Na ich weiß nicht. Das Markieren von einzelnen Beamten in ihrer Privatsphäre finde ich fragwürdig.

     

    Und die Familie wird in eine Art Sippenhaftung genommen. Gar nicht gut.

     

    Der Protest sollte sich gegen den Arbeitsplatz, also das Revier richten.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      man soll sich halt vorher überlegen ob Gewalt gegen den Bürger nicht zurückkommen kann. Ist doch noch sehr harmlos davongekommen bisher.

       

      Aufgrund des Berichtes habe ich jetzt kein Mitleid.

       

      Am Revier? Darüber lachen so Subjekte doch nur!

  • Das geht nicht und ist Wasser auf die Mühlen derer, die PAG's verschärfen wollen. So können wir die Demokratie nicht gegen ihre Feinde verteidigen, gerade und ganz besonders, wenn diese die hier angedprochenen Positionen bekleiden.

  • Trifft immer noch auf Alle und Jeden zu:

    Wer Wind säht, wird Sturm ernten.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Da haben wohl wieder ein paar Spießer moralische Überlegenheit morgens ins Müsli gerührt.

  • "Hausbesuche" bei Personen, die nicht im Lichte der öffentlichen Wahrnehmung stehen, ordnete ich bislang eher dem rechtsextremen Spektrum zu. Vollkommen egal, was genau vor Ort abgelaufen ist - sie sollten solche Aktionen sein lassen. Die öffentliche Meinung wird so etwas - zu Recht - nicht als legitimen Protest, sondern als Versuch der Einschüchterung und Drohung wahrnehmen, der oftmals Gewalt als logische Stufe der Eskalation folgt.

    • @Cerberus:

      Und was schlagen Sie vor, wie man sowas verhindern kann?

       

      Mehr als 10 Personen dürfen dort, wo Häuser stehen, in denen jemand wohnt, nicht mehr gemeinsam gehen oder stehen? Öffentliche Straßen und Plätze sind zum Leben da.

      • 8G
        82741 (Profil gelöscht)
        @Age Krüger:

        "nicht mehr gemeinsam gehen oder stehen"

         

        Sie vergessen "gemeinsam bedrohen".

      • @Age Krüger:

        Stelle Dir Deinen dummen Erklärungsversuch mal andersherum vor (rechte Gesellen versammeln sich vor linkem Familien-Domizil).

  • Tja Boris, wer Gewalt säet erntet auch Gewalt. Vielleicht sollten sich rechte Politiker wie du erst mal Fragen ob es nicht berechtigte Gründe gab diesem Subjekt in Uniform mal einen Besuch zuteil werden zu lassen. Die Aktion war ja wohl selektiv.

     

    Who watches the watchmen?

    • 8G
      82741 (Profil gelöscht)
      @danny schneider:

      "berechtigte Gründe ", der Familie eines "Subjekt" einen Droh-"Besuch" abzustatten?

       

      Gibt es keine.

      • @82741 (Profil gelöscht):

        eine Band und Leute die n paar Schilder hoch halten sind kein Drohbesuch.

         

        Außerdem könnte das Subjekt ja im Dienst auch mal an die Familie denken wenn er auf Demonstranten am Boden tritt...

         

        Und eine Anzeige gegen den würde eh im Sande verlaufen, Kollegen zu seinen Gunsten aussagen... kennt man ja. Ohne die Demo wär der Fall niemals öffentlich geworden.

  • POLIZISTEN ALLER LÄNDER...

    vereinigt euch: das ist doch glatte rebellion, wenn das volk gegen seine beschützer aufsteht und konzertant laut gibt - jetzt helfen nur noch schärfere gesetze, aussetzung der bürgerrechte, handgranaten und sturmgewehre, um den staat - vulgo: die polizei - gegen dieses aufmüpfige volk zu verteidigen mit mitteln, den euch diese störer dummer weise auch noch in form von steuern bezahlen, damit ihr sie - aber nur mit 60 % eigensicherung - verprügeln könnt. dann man tau!

  • Druck auf eine Person auszuüben, indem man dessen Familie einschüchtert, um gegen "repressive Aktivitäten" zu demonstrieren, - na das spricht für sich.

  • Auch ein laut trällerndes "Strassenfest" vor dem Wohnhaus kann Psychoterror sein. Erinnert an Methoden des Ku Klux Klans. Ein Witz, da von Unverhältnismäßigkeit zu sprechen. Sind wohl alle Sicherungen durchgebrannt.

    • @Alkibraut:

      Klasse, ich lasse beim nächsten Schützenfest in meinem Dorf den Spielmannszug zusammenknüppeln von der Polizei, wenn der an meinem Grundstück vorbei kommt, weil das ja Psychoterror sein KANN.

       

      Verhältnismäßig ist bei einer Lärmbelästigung, dass man diejenigen, die den Lärm verursachen, erstmal darum bittet, den Lärm zu reduzieren oder einzustellen.

      • @Age Krüger:

        nicht alles was hinkt ist ein Vergleich...

        Vielleicht nochmal drüber nachdenken ob es nicht doch einen Unterschied macht ob ein öffentliches Fest (üblicherweise sind Straßenfeste nicht unangekündigt) einen Straßenumzug irgendwo vorbei führt, oder ob sich 60 Personen vor einem Gebäude versammeln und da herumproleten.

  • Ich weiss nicht. Mir erscheint die Antifa und deren "kulturschaffender" Arm immer mehr als fünfte Kolonne des Geheimdienstes. Was können die eigentlich noch schlimmer machen, um stetig verschärfte staatliche Repression in den Augen der Normalbevölkerung zu legitimieren?