Airline-Lobbyist über Flugscham: „Klimaschutz ist die Zukunftsfrage“
Weniger Flüge? Nichts für Matthias von Randow vom Lobbyverband der deutschen Luftverkehrswirtschaft. Er setzt auf CO2-neutralen Treibstoff.
taz: Herr von Randow, im ersten Halbjahr 2019 haben die Fluggastzahlen in Deutschland erneut zugelegt, die Preise für Tickets sind weiterhin niedrig. Ist der deutschen Luftverkehrswirtschaft das Klima egal?
Matthias von Randow: Das Gegenteil ist der Fall. Die Nachfrage steigt weltweit enorm. In China, Indien, Brasilien und anderen Ländern, in denen große Bevölkerungsgruppen zu Wohlstand kommen, wird mehr Luftverkehr nachgefragt. Wie wir Luftverkehr in Einklang mit Klimaschutz bringen, ist für uns deswegen eine der zentralen Zukunftsfragen.
In Skandinavien sind die Inlandsflüge stark zurückgegangen. In Deutschland ist die Nachfrage stabil. Gibt es hier keine Flugscham?
Das kann ich nicht beurteilen. Seit 2004 sind die Flüge im innerdeutschen Luftverkehr um 22 Prozent reduziert worden. Mit dem Ausbau von Hochgeschwindigkeitsstrecken auf der Schiene gibt es auf einzelnen Strecken ein Angebot, das es dem Passagier ermöglicht, auf die Bahn umzusteigen. Darüber hinaus bieten unsere Fluggesellschaften den Passagieren bei internationalen Flügen auch an, dass sie nicht mit dem Flugzeug zum Startflughafen reisen, sondern mit der Bahn oder dem Bus, und stellen entsprechende Tickets aus.
Mit der Konkurrenz?
Wir haben das Interesse, dass die Schiene und der Busverkehr Verkehr aufnehmen können. Das geschieht in einem bestimmten Rahmen bereits seit einigen Jahren. Bei der Bahnneubaustrecke München–Berlin gibt es den Effekt, dass auf der Strecke zwischen Berlin und Nürnberg eine Verlagerung auf die Schiene stattgefunden hat und wir den Luftverkehr einstellen konnten. Innerdeutsch wird faktisch nur noch auf den längeren Strecken geflogen und dort, wo es sich um Umsteiger auf Langstreckenflüge etwa nach Asien oder Amerika handelt. Aber man muss sehen, dass die wesentlichen Emissionen nicht im relativ kleinen Segment des inländischen Luftverkehrs entstehen. So liegt der CO2-Anteil des innerdeutschen Luftverkehrs an den gesamten CO2-Emissionen in Deutschland bei 0,3 Prozent. Im internationalen Luftverkehr, das heißt auf den Langstrecken, ist der Anteil mit 2,8 Prozent an den weltweiten CO2-Emissionen deutlich höher.
60, ist seit 2011 Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Von 1996 bis 1998 war er Referatsleiter beim SPD-Parteivorstand, dann bis 2008 im Bundesverkehrsministerium und danach bis 2011 bei Air Berlin tätig.
Kann Fliegen klimafreundlich werden?
Es gibt im Wesentlichen zwei Stellschrauben. Die eine ist, massiv in die Anschaffung energieeffizienterer Flugzeuge zu investieren. Die deutsche Luftfahrtbranche hat durch die Investition in energieeffizientere Flugzeuge seit 1990 die CO2-Emissionen um 43 Prozent reduzieren können. Aufgrund der steigenden Nachfrage nach Luftverkehr weltweit bedarf es weiterer Anstrengungen. Das derzeit einzige Mittel, das Fliegen CO2-neutral hinzubekommen, wäre der Ersatz des fossilen Treibstoffs durch einen regenerativen. Da gibt es Biokraftstoffe oder die elektrisch produzierten Power-to-Liquid-Kraftstoffe. Die Bundesregierung hat auch Sympathien dafür, das kann man aber nicht national organisieren.
Ist das schnell umsetzbar?
Technisch ist das keine Frage. Den Kraftstoff gibt es bereits, allerdings nicht in erforderlichen Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen. Hierzu bedarf es mindestens einer breiter angelegten Initiative der EU zum Aufbau entsprechender Produktionsanlagen und zu einer wettbewerbsneutralen Markteinführung.
Was würde eine CO2-Abgabe für die Luftfahrt bedeuten?
Im Luftverkehr gibt es das längst. Die CO2-Bepreisung findet über die Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel statt, wie das auch in der Energiewirtschaft und im verarbeitenden Gewerbe ist.
Trotzdem ist der Luftverkehr extrem privilegiert, es gibt keine Kerosinsteuer und keine Mehrwertsteuer auf Tickets bei grenzüberschreitenden Flügen.
Das ist ein Irrtum. Die Diskussion hat eine totale Schieflage. Die Kerosinsteuer bei uns heißt Luftverkehrssteuer. Sie ist im Volumen doppelt so hoch, wie eine Kerosinsteuer wäre. Von daher haben wir nicht nur eine Kerosinsteuer, sondern eine doppelte Kerosinsteuer in Deutschland. Zudem ist der Luftverkehr in den Emissionshandel einbezogen. Von daher haben wir keine Privilegierung, sondern eher eine Doppelbelastung.
Wieso kann man dann für 12,50 Euro von Berlin nach Köln fliegen?
Alle Wirtschaftsbereiche arbeiten mit Sonderangeboten. So ist das auch im Luftverkehr. Mit einem Ticketpreis von 19,99 Euro kann man natürlich keinen Flug finanzieren. Die Durchschnittspreise liegen deswegen ja auch deutlich höher. Das macht auch Sinn, denn unsere Unternehmen müssen ja auch Geld verdienen, um Mitarbeiter zu bezahlen, Investitionen tätigen zu können und das Flugangebot zu finanzieren.
Die SchülerInnen von Fridays for Future und viele andere halten die Flugbranche für einen der großen Verursacher des Klimawandels. Was sagen Sie ihnen?
Die Schülerinnen und Schüler und Studierenden von Fridays for Future fordern schnellere Fortschritte beim Klimaschutz in allen Bereichen. Ich teile diese Ansicht. Auch wenn der Luftverkehr nur einen begrenzten Anteil an den Klimaemissionen hat, wollen wir trotzdem schnelle Fortschritte erreichen. Daraus resultieren auch unsere Vorschläge für deutlich gesteigerte Aktivitäten zur Entwicklung eines regenerativen Kraftstoffs.
Leser*innenkommentare
Uranus
"Ersatz des fossilen Treibstoffs durch einen regenerativen. Da gibt es Biokraftstoffe"
Tolle Idee! Wälder (Regenwald!) abholzen, um sogenannte Energiepflanzen anzubauen. Yay! Sehr "klimaneutral"!
- Biosprit fürs Auto ist bereits eine üble Sache. Sozial wie ökologisch. -
Wie formulierte jüngst TAZ-Autorin Simone Schmollack? "Einmal im Jahr MUSS ich nach Asien". (die Hervorhebung ist von mir) Hoffentlich dann aber mit Bus zum Startflughafen... oha.
Peter Goretzki, Dr.
CO2 ist bei weitem nicht das wichtigste Treibhausgas sondern Wasserdampf! Ein Blick zum Himmel (oder auf morgendliche Satellitenbilder z.B. bei „sat24.com“) zeigt, wie sich Kondensstreifen zu Dunstschleiern und Wolkenstreifen erweitern. 9/11 hat die Wirkung deutlich aufgezeigt: In dem nachfolgenden dreitägigen Flugverbot über den USA gingen bei unveränderter Wetterlage insbesondere die Nachttemperaturen (!) in den USA deutlich zurück, um nach Wiederaufnahme des Flugverkehrs sofort wieder auf das vorherige Niveau anzusteigen. Der alleinige Blick auf CO2 führt in die Irre! Im Flugverkehr sind der Aerosol- und Ruß-Ausstoß in großer Höhe als Kondensationskerne das klimarelevante Hauptproblem.
tomás zerolo
Aalglatter Lobbysprech.
"[regenerative Treibstoffe] Den Kraftstoff gibt es bereits, allerdings nicht in erforderlichen Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen. Hierzu bedarf es mindestens einer breiter angelegten Initiative der EU zum Aufbau entsprechender Produktionsanlagen und zu einer wettbewerbsneutralen Markteinführung"
Also "bittebitte Subventionen statt Steuern".
Na denn.
the real günni
ich hatte mal versucht, etwas dilettantenhaft den CO2 ausstoss von gereisten 100km auszurechnen. mir schien, dass bei einem vollbesetzten flugzeug der pro-kopf-verbrauch geringer ist als bei einer autofahrt mit benzin oder diesel. kann das jemand mal verifizieren? nicht, dass ich der flugbranche beispringen moechte. aber vielleicht kann man in deutschland der diskussion den begriff autoscham hinzufuegen?
Tom Farmer
@the real günni Nein , da ist der Luftverkehr nicht so vorteilig, zumindest wenn man die gleichen Dinge vergleicht.
Fluggesellschaften operieren gerne mit der Zahl von ca. 3,5 l/100 Passagierkilometer.
Das klingt zunächst nach einem Vorteil gegenüber z.B. einem Spritverbrauch eines Diesel PKWs von ca. 5-6 l/100 km.
Tatsächlich geht die Industrie hier aber von voll besetzten Fliegern aus. Wenn man also den PKW mit 4-5 Leuten vollpackt ist das nat.sofort rechnerisch viel besser.
Frage nat. auch: Wie kommen Sie zum Flughafen? Auto und Umweg; wie wird der eingerechnet? Gar nicht!.
Und dann noch: Wie weit fliegen Sie? Allein beim Start werden pro Passagier (auf den ersten drei bis fünf Kilometern) so 3-5 Liter / Passagier rausgeblasen. Kurzstrecke ist also unter diesem Aspekt ein Desaster. Bis zum Erreichen der Flughöhe wären Sie schon CO2 seitig mit dem PKW am Ziel.
Weiterer Punkt ist, wie bodennahe Abgase wirken im Vergleich zu denen in höheren Luftschichten.
95309 (Profil gelöscht)
Gast
@Tom Farmer Ein A350 verbraucht 6to/h. 300 Paxe. Macht 20kg/h/Pax/h. Pro Stunde legt er ca. 900Km zurück. Macht 2.2Kg/100km.
Die Flieger sind voll. Langstrecke immer. Sonst lohnt es sich nämlich nicht eine Strecke regelmässig zu fliegen.
Für Ihre Fahrt von A nach B brauchen Sie Strassen, Zubringer, Tankstellen, versiegelten Boden, Reifenabrieb, you name it. Alles beim Auto nicht eingerechnet. Aber beim Flieger erst mal schön mit dem Faktor 3 multipliziert, weil man es eben nicht weiss.
@Herr Dr. Goretzki, wo haben Sie den so eine Aussage her. Das ist doch auf Chemtrails Niveau.
Tom Farmer
@95309 (Profil gelöscht) Ich habe das relativ differenziert beschrieben und wir sollte dann Henne und Ei mal klar haben!
Es geht nicht um einen jungfräulichen PLaneten bzw, Verkehrsinfrastruktur die wir jetzt mal optimal aufsetzen können von einem Nullpunkt weg.
Ed ergo sind Straßen, die bereits da waren aber der Flugverkehr - Hype sich erst in den letzten 20 oder 30 Jahren entwickelt hat zu vergleichen. Tankstellen/Straßen/versieglter Boden scheinen daher schwer berücksichtigbar im Vergleich. Das ist der Vergleichsansatz derzeit und auch meiner.
Ihr Thema: Ganz neu bei Null anfangen und jeder fliegt ab Hausdach und wir renaturieren die Straßen und danach wird ökobilanziert ist derzeit nicht die Diskussionsgrundlage. Oder ist mir was entgangen?
95309 (Profil gelöscht)
Gast
@95309 (Profil gelöscht) Und noch was...
Richtig, zum Steigen brauch es mehr Energie. Was dabei leider unterschlagen wird, ist daß die letzten 30 Minuten im Sinkflug die Triebwerke im Leerlauf sind und eine Verkehrsflugzeug genauso wie ein Segelflieger die Strecke im Segelflug hinter sich bringt. Und dann ist der Spritverbrauch eben nur noch 600kg/h.
Snip Snap
@the real günni Siehe den Beitrag oben von Peter Georetzki. Oder hier:
www.theguardian.co...6/aviation-q-and-a
"The CO2 emissions are straightforward enough, but plane engines also generate a host of other "outputs", including nitrous oxide, water vapour and soot. At flying altitudes in the upper troposphere and lower stratosphere, these outputs produce a range of climatic effects, multiplying the plane's environmental impact.
...
Today, most experts favour an aviation "multiplier" of around two. In other words, they believe that the total impact of a plane is approximately twice as high as its CO2 emissions. The exact multiplier, however, will always depend on the individual plane, the local climate and the time of day."
the real günni
@Snip Snap also mir scheint: das thema muss mal ordentlich beleuchtet werden, da keine klarheiit herrscht.
also bis jetzt schlussfolgere ich: wer einen flug von hamburg nach mailand nimmt verbraucht ca. 2kg kerosin/100km, entsprechend ca. 2,5l benzin im CO2-verbrauch. das heisst ein auto, welches 7,5l auf 100km verbraucht, muss mit drei personen besetzt sein, damit es die gleiche CO2-bilanz aufweist. der flug daeurt 90min, die fahrt im auto zu dritt 10h.
die durchschnittliche belegung von autofahrten liegt nach meiner einschaetzung unter 2 personen. der durchschnittliche spritverbrauch scheint auch bei immer groesseren und schwereren wagen zu steigen.
95309 (Profil gelöscht)
Gast
@the real günni So wird eben nicht gedacht.
Da man nicht sicher weiss, wie sich die z.B. Cirren auswirken, sprich erhitzen sie die Atmosphäre, weil sie die Wärme Abstrahlung verhindern, oder kühlen sie die Atmosphäre ab, weil sie weniger Sonne durchlassen, und viele andere Faktoren unklar sind, fakturiert man den CO2 Ausstoss von Flugzeugen mit dem Wert von 2.7.Das Umweltbundesamt nimmt gleich einen Index von 3-5.
Gesichert ist das nicht, sondern eben ein konservativer Faktor. Bei den anderen Verkehrsmitteln, wird aber aber alles was an zusätzlichen CO2 Faktoren zur eigentlichen Bewegung hinzukommt nicht mit eingerechnet. Beim Auto ist das z.B. die immense Infrastruktur die benötigt wird, und wenn man die Bahn im Detail betrachtet wird man auch da auf andere Werte kommen.
Das Problem der Diskussion ist nicht, der Einfluss der Verkehrsmittel auf das Klima, sondern, die einseitige Betrachtung der des Flugverkehrs. Und da geht es um prinzipielle politische Ziele, und für deren Durchsetzung wird letztlich die Diskussion ideologisiert.
Das Bundesumweltamt beruft sich auch gerne auf
" Auswirkungen des globalen Luftverkehrs auf die Klimaentwicklung – eine Einschätzung, Robert Sausen,"
siehe auch
de.wikipedia.org/w...tive_Forcing_Index
Die Schrift ist von 2002. Die Triebwerkstechnologie hat aber seitdem Quantensprünge gemacht.
Vierstrahlige Flugzeuge sind am aussterben und die B777x wird ziemlich zügig die Nachfolge der B747 antreten, sie operiert einfach deutlich billiger.
Flugzeuge dieser Generation, alle nur mehr mit 2 Triebwerken, wie auch die A350 verbrauchen 25% weniger als ihre Vorgängertypen, wobei der Wirkungsgrad, also die Ausnutzung des verbrannten Treibstoffes genauso zunimmt. Hier sind diese Triebwerke an der Grenze dessen was technisch möglich ist. Und dieser Trend geht natürlich weiter.
Bei der Berechnung des zukünftigen Weltluftverkehrs findet das aber keinen Eingang.
Ich sähe gerne ein ehrlichere Diskussion.
the real günni
@95309 (Profil gelöscht) ja danke fuer die wertvolle info.
zudem saehe ich auch gerne noch eine diskussion ueber das autofahren. wo jetzt gerade nur ueber das schaedliche fliegen gesprochen wird, ist das thema auto / autoindustrie / dieselskandal ganz schnell passé. ich gehe mal davon aus dass mindestens 30$ der autofahrten in staedten ueberfluessig sind bzw. leicht durch eine oekologischere alternative zu ersetzen waeren