Airline-Lobbyismus beim Emissionshandel: Ganz schön dünne Luft
Auch Flugreisen werden Teil des EU-Emissionshandels. Doch ausgerechnet die besonders klimaschädlichen Langstreckenflüge sind davon ausgenommen.
M ichael O’Leary, der Chef von Ryanair, bekommt nicht oft die Möglichkeit, sich als Klassenkämpfer und Klimaschützer zu inszenieren. Im Dezember 2022 nutzte er sie und veröffentlichte sein Statement auf der firmeneigenen Website: „Ein weiteres Mal lässt Ursula von der Leyen Europas Bürger und die Umwelt im Stich.“
Damit hatte er nicht unbedingt Unrecht. Kurz zuvor hatte die EU-Kommission die neuen Luftfahrt-Klimaschutzregeln verabschiedet, auf die sich EU-Rat und -Parlament schon einige Monate zuvor geeinigt hatten. Diese betreffen vor allem den Emissionshandel. Doch die neuen Regeln gelten nur für Flüge innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR), also den Ländern der EU plus Liechtenstein, Norwegen und Island, sowie für Flüge aus dem EWR in die Schweiz und nach Großbritannien. Was auch O’Learys plötzliches Umweltbewusstsein erklärt, denn das ist im Wesentlichen der Markt, auf dem Ryanair agiert.
Alle anderen Flüge von den in der EU ansässigen Airlines sind hingegen von den Regeln ausgenommen. Das betrifft also sämtliche Interkontinentalflüge und damit eben auch alle Langstreckenflüge, die je nach Definiton ab einer Distanz von 3.000 Kilometern beginnen.
Die seien jedoch deutlich schädlicher für die Umwelt als Kurzstreckenflüge, sagt Thomas Peter, emeritierter Professor der ETH Zürich und einer der weltweit führenden Experten zur Physik der Atmosphäre. Nicht nur wegen des Kohlenstoffdioxids, sondern auch wegen der am Himmel entstehenden Kondensstreifen. „Wie eine Plane“, sagt Peter, wirken diese in den höheren Schichten der Atmosphäre. Sie verhindern, dass Wärmestrahlung die Atmosphäre verlassen kann.
Doppelt schädlich für die Umwelt
Laut Peter sind diese sogenannten Non-CO2-Effekte des Flugverkehrs sogar noch schädlicher für die Atmosphäre als der CO2-Ausstoß selbst. Langstreckenflüge sollten deshalb „erheblich teurer werden, anstatt sie billiger zu machen“, sagt Peter. Dass ausgerechnet sie von den neuen Klimaschutzregeln ausgenommen sind, kann er nicht nachvollziehen: „Da wird die Rechnung gemacht, ohne auf zukünftige Generationen Rücksicht zu nehmen.“
Die Akteure
Das Wissen über die Klimakrise ist da, das gesellschaftliche Bewusstsein auch. Was fehlt, sind Konsequenzen: Politische Entscheidungen, die die nötigen Veränderungen zügig vorantreiben. Für diese Blockade sind nicht „die Verhältnisse“ verantwortlich, es gibt konkret Verantwortliche. Das sind Akteure, die die Interessen klimaschädlicher Industrien vertreten, an diesen verdienen und nötige Veränderungen verhindern oder verschleppen.
Die Serie
In der vom Weltklimastreik am 3. März bis Ende 2023 laufenden Serie „Klimasabotage“ fragt die taz: Wer sabotiert die Entscheidungen, die das Klima und unsere Lebensgrundlagen retten? Wer blockiert, was nötig ist – und warum? Wer führt uns in die Krise?
Der Schwerpunkt
Die Schwerpunktseite Klimasabotage auf taz.de versammelt bereits zahlreiche Texte zum Thema. Zuletzt haben wir uns unter anderem der fossilen SPD gewidmet: Das Blockieren von Klimaschutz ist schon in der Struktur der Partei angelegt – durch Verflechtungen mit der Wirtschaft, durch Gewerkschaftsnähe und durch Traditionen.
Um die Tragweite des Ausklammerns von Interkontinental- und Langstreckenflügen zu begreifen, lohnt sich ein Blick auf eine Statistik der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt, der 41 europäische Staaten angehören. Von deren Flughäfen waren im Jahr 2020 nur 6,2 Prozent der Abflüge Flüge mit mehr als 4.000 Kilometern Distanz – doch diese waren für 51,9 Prozent der Emissionen verantwortlich. Weitere 19,2 Prozent der Flüge hatten eine Distanz von 1.500 bis 4.000 Kilometern, was in Europa in den allermeisten Fällen bedeutet, dass man den Kontinent verlässt. Auf sie entfielen weitere 23,2 Prozent des Kerosinverbrauchs.
Auch wenn die Zahlen nicht mit dem EWR-Raum deckungsgleich sind, wird klar: Ein bedeutender Anteil des Kerosinverbrauchs bleibt vorerst ausgenommen vom EU-Emissionshandel-System (EHS), dessen verstärkte Version im kommenden Jahr in Kraft tritt. Airlines dürfen dann schrittweise weniger und ab 2026 gar kein CO2 mehr gratis emittieren. Die Fluggesellschaften müssen stattdessen Rechte für den CO2-Ausstoß ersteigern. Die EU will so den Ausstoß von Treibhausgasen auch im Flugverkehr verringern, denn die Menge an Emissionsrechten ist begrenzt, und so steigt auf Dauer der Preis dieser Rechte. Den Fluggesellschaften soll das Anreiz sein, in CO2-ärmere Technologien zu investieren, weil sie so Geld sparen können. Und die Kunden sollen weniger fliegen, weil die Tickets teurer werden. Das ist die Idee.
Das EHS bringe „unser Ziel, die verkehrsbedingten Emissionen bis 2050 um 90 Prozent zu senken, in greifbare Nähe“, behauptet entsprechend Tschechiens Umweltminister Marian Jurečka. Der Emissionshandel sei das „Herzstück der Klimapolitik“, sagte kürzlich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Der CO2-Ausstoß muss einen Preis haben. Die Natur kann ihn nicht mehr zahlen.“
Erfolgreiche Lobbyarbeit
Und doch hat die EU Langstreckenflüge und Privatjets von der neuen EU-Klimaschutzauflage ausgenommen. Für die Umwelt-NGO Robin Wood ist das „eine Folge der Lobbyarbeit der Industrie“. Denn die habe für die Ausnahmen gesorgt – allen voran die Lufthansa und der von ihr dominierte Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL).
Kurz nachdem die EU im Juni 2021 ihr ambitioniertes Klimaschutzpaket „Fit for 55“ vorlegte, erklärte der BDL, die Vorschläge für den Emissionshandel gehörten „zurückgewiesen“, jene für die Beimischung sauberer, klimafreundlicher Kraftstoffe müssten „vermieden“ werden. Ansonsten drohe „Wettbewerbsverzerrung“: Airlines von außerhalb der EU könnten die Langstreckenflüge billiger anbieten, der CO2-Ausstoß werde nicht reduziert, sondern nur verschoben. Ein Jahr später hatten die Airlines sich mit dieser Linie durchgesetzt.
Während sich Fluggesellschaften wie die Lufthansa öffentlichkeitswirksam zur Klimaneutralität verpflichtet haben, lobbyieren sie also auf politischer Ebene gegen Maßnahmen wie den Emissionshandel. Dafür schicken sie Dachverbände wie den BDL oder die International Air Transport Association (IATA) vor. Bewaffnet mit Positionspapieren, voll mit ökonomischen Argumenten warnen die Verbände die EU-Kommission und das Parlament vor Wettbewerbsverzerrung und Marktungleichgewichten. Es ist eine klassisch liberale Argumentation, wenn es um Klimaschutz durch Marktregulierung geht. Um progressiver zu klingen, ist dann die Rede von einer bloßen Verschiebung der Emissionen – genannt „Carbon Leakage“. Wer so argumentiert, kommt als Klimaschützer daher – und bläst weiter nach Kräften CO2 in die Luft.
Die Lösung der Luftverkehrsindustrie für den CO2-Ausstoß auf Langstreckenflügen lautet indes: CORSIA. Das steht für Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation und ist ein CO2-Kompensationssystem, das von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO aufgezogen wurde. Demnach sollen Fluggesellschaften ab 2024 freiwillig ihren CO2-Ausstoß auf maximal 85 Prozent des Basisjahres 2019 begrenzen.
Selbstverpflichtung oder Greenwashing?
CORSIA verlangt von den Airlines, den Ausstoß an Treibhausgas zu reduzieren – oder diesen auszugleichen, indem sie Klimaschutzprojekte finanzieren. Verpflichtend wird es erst ab 2027. Dass sich Firmen von ihren Emissionen freikaufen können, sehen jedoch nicht nur Klimaschützer kritisch. Selbst der Chef von United Airlines, Scott Kirby, bezeichnete das System als „Greenwashing“ – Etikettenschwindel.
CORSIA ist zu schwach, um Fliegen klimaneutral zu machen. Es gibt kein CO2-Limit vor, ist nicht verpflichtend, große Luftverkehrsmärkte wie Russland, China und Brasilien sind nicht dabei. So werden laut einer Studie von T&E, dem europäischen Dachverband von NGOs, die sich für nachhaltigen Verkehr einsetzen, nur rund 35 Prozent der weltweiten, durch Luftverkehr entstehenden Emissionen durch das CORSIA-System abgedeckt werden.
Eine EU-eigene Studie von 2022 kommt zu dem Schluss, dass CORSIA „die direkten Klimaauswirkungen des Luftverkehrs nicht wesentlich verändern wird“. Es gebe „keine ausreichenden Anreize“ für die Airlines, „ihre Emissionen wesentlich zu reduzieren.“ Die EU hielt die Studie monatelang zurück – und ignorierte sie am Ende.
Denn für die Luftverkehrswirtschaft hat die europäische Politik ein offenes Ohr. Eine Studie der Londoner NGO InfluenceMap ergab, dass EU-Politiker*innen bis zum Entscheidungszeitraum des EU-Parlaments über das EHS im Juni 2022 43-mal Vetreter*innen der Luftfahrtindustrie empfingen. Umweltverbände hingegen genießen so einen einfachen Zugang zur Politik nicht.
Hinter verschlossenen Türen
Und die Lobbyisten leisteten in Brüssel ganze Arbeit. So kam es am 6. Juni 2022 zu einem „closed-door dinner event“ mit EU-Parlamentariern und der Lobbyorganisation Aviation For Europe, die in Brüssel sitzt und der auch Lufthansa und KLM angehören. Direkt am nächsten Tag stand im EU-Parlament die Abstimmung zum Emissionshandelssystem für die Luftfahrt an, bei dem eine Ausweitung der Klimaschutzmaßnahmen keine Mehrheit fand.
Der führende Lobbyist der deutschen Luftfahrtindustrie ist Matthias von Randow. Einst war er Referatsleiter des SPD-Parteivorstandes, bis 2008 Staatssekretär im Verkehrsministerium, heute ist er Hauptgeschäftsführer des BDL. Sein Büro an der Berliner Friedrichstraße zieren Flugzeugmodelle der Lufthansa.
Das Wachstum der Luftverkehrswirtschaft sei wichtig für die deutsche Volkswirtschaft, sagt von Randow. Er betont die ökonomische Verantwortung, die sein Verband trägt. „Die Pandemie hat gezeigt, wie verflochten die deutsche Wirtschaft und die Luftverkehrswirtschaft sind.“
Zeit ist in der Klimakrise knapp
Und was ist mit der ökologischen Verantwortung? Von Randow prognostiziert, dass die Luftfahrt durch innovative Technologien und alternative Treibstoffe klimaschonender wird. Er spricht von optimierten Flugrouten, Flugzeugen mit Elektroantrieb, von „sustainable aviation fuels“ – nachhaltigen Flugtreibstoffen also, etwa tierischen Fetten und Speiseöl. Die Lösung der CO2-Emissions-Problematik durch Mechanismen des freien Marktes – das ist seine Lieblingsgeschichte. Doch anders als der bereits etablierte Emissionshandel brauchen diese Ansätze noch Zeit, um flächendeckend eingesetzt zu werden. Zeit, die in der Klimakrise knapp ist.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Auf dem Klimaschutz-Portal, einer Webseite des BDL, steht über den Emissionshandel, mit ihm habe „jede Fluggesellschaft einen Anreiz, möglichst kraftstoffsparende Flugzeuge einzusetzen, da diese zugleich weniger CO2 ausstoßen“. Zugleich setzt sich der BDL aber auch dafür ein, mehr kostenlose Zertifikate für Langstreckenflüge zu sichern, und schwächt so die Anreize für Unternehmen, sich klimaschonend aufzustellen. Für die Naturschutz-NGO Robin Wood ist das Portal eine „absurde Greenwashing-Seite“, die „angeblich klimaneutrales Wachstum“ propagiere. Um Wachstum geht es dem BDL allemal, das ist allerdings nicht klimaneutral. Fluggesellschaften könnten ohne Einbindung in den Emissionshandel so viel emittieren, wie sie wollen. Für die Luftfahrtindustrie ist das gut – denn wer unbegrenzt emittieren kann, kann auch unbegrenzt wachsen.
„Der Markt hat das perfekt geregelt und verteilt Emissionsrechte effizienter als jede Regierung“, sagt von Randow über die marktbasierte Klimaschutzmaßnahme der EU. Merkwürdig, dass trotzdem eine Abneigung gegen die Ausweitung dieses „perfekten“ Systems besteht.
„Erst nicht wir, dann nicht jetzt“
Die grüne EU-Abgeordnete Jutta Paulus sitzt im ENVI-Ausschuss des EU-Parlaments – jenem Gremium, das über den Emissionshandel abgestimmt hat. Paulus weiß, wie Industrievertreter aus der Airline-Industrie Politiker beeinflussen. „Der Luftfahrt wird in Europa der rote Teppich ausgerollt“, sagt Paulus – vor allem mit Blick auf die EU-Kommission. Die Airlines hätten sich seit Langem gegen Klimaschutzmaßnahmen gewehrt, nach dem Motto: „Erst nicht wir, dann nicht jetzt“.
Dass die EU und die Fluglinien sich auf dem CORSIA-System ausruhen, sei bedauerlich – es sei ein „schwacher Bezugsrahmen“, so Paulus. „Die EU verfahre nach der Devise: Wir kümmern uns um eine internationale Lösung und machen dann erstmal gar nichts, obwohl alle Beteiligten wissen, dass das nicht reichen wird.“ Solange die Pläne zur Klimaneutralität der Luftfahrt den Unternehmen selbst überlassen blieben, würden sie ins Leere laufen.
Die überwiegend staatlichen Anbieter von Interkontinentalflügen wie Lufthansa konnten sich durch „geschickte Lobbyarbeit“, wie Paulus es nennt, enorme Wettbewerbsvorteile gegenüber den meist innereuropäisch agierenden Billigfluganbietern sichern. Das kritisieren diese auch selbst. Ryanair-Chef Michael O’Leary nennt es eine „große Ungerechtigkeit“, dass die meist wohlhabenderen Langstreckenpassagiere nicht von den höheren Kosten durch den Emissionshandel betroffen sind. „Wir haben nichts gegen die Abgaben. Wir fordern aber, dass alle Flüge in der EU gleich behandelt und keine Ausnahmen gemacht werden“, so ein Ryanair-Sprecher zur taz.
2026 will die EU-Kommission CORSIA neu bewerten und auf den Beitrag zu den Pariser Klimazielen testen. Der Airline-Lobby bleiben also drei weitere Jahre, um die EU-Kommission erneut von ihren Interessen zu überzeugen.
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