Ahmadiyya-Konferenz „Jalsa Salana“: 40.000 Muslime in Mendig
Zum 48. Mal treffen sich die Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde in Deutschland. Diesmal findet die „Jalsa Salana“ in Mendig, Rheinland-Pfalz, statt.
Nach einer gründlichen Sicherheitskontrolle erreichen die Besucher:innen das Gelände auf dem ehemaligen Bundeswehr-Heeresflugplatz. Heute dient er als Testgelände für Fahrzeuge. Ein massiver Zaun trennt die Bereiche in einen für Männer und einen für Frauen. Kontrolleurinnen lassen die Frauen in ihren Bereich, während tausende Männer in weißem Gewand, dem traditionellen Thawb, über das Gelände spazieren. Die weißen Zelte reihen sich aneinander: rund 200 für Veranstaltungen, Ausstellungen und Gebete, weitere 800 als Unterkünfte. Das alles ist in wenigen Wochen entstanden, vor allem durch die ehrenamtliche Arbeit von Hunderten von Gemeindemitgliedern.
„Das ist das größte Zelt Europas“, erklärt Wahaj bin Sajid stolz und zeigt auf eines der riesigen Zelte. „Liebe für alle, Hass für keinen“, steht auf großen Bannern an der Decke. Vor dem gemeinsamen Freitagsgebet lauschen Hunderte Männer gespannt der auf vielen Bildschirmen übertragenen Ansprache des Kalifen genannten Oberhaupts der Ahmadiyya-Gemeinschaft, Mirza Masroor Ahmad. Viele tragen Kopfhörer, denn die Rede wird simultan in 13 Sprachen übersetzt.
Einige sind enttäuscht, dass der Kalif nicht persönlich anwesend ist, sondern sich krankheitsbedingt aus einem britischen Dorf zuschalten lässt. „Islamabad, UK“, steht unter seinem Bild. „Das ist ein Anwesen in England, nicht die Hauptstadt Pakistans“, flüstert der 42-jährige Jurist mit dem schwarzen Bart. Das Grundstück gilt als Hauptsitz der Ahmadiyya-Gemeinde.
„Ein großes Familientreffen“
Dass das Gelände nach der pakistanischen Hauptstadt benannt wurde, ist jedoch kein Zufall. Ein Großteil der Ahmadiyya-Gemeinde stammt aus Pakistan, wo sie durch die Verfassung als nicht-Muslim:innen anerkannt und verfolgt werden. Viele flohen schon in 1970er nach England oder Deutschland. So kamen auch die Eltern von Rameza Monir nach Deutschland. Die Jalsa Salana, die in diesem Jahr zum 48. Mal in Deutschland stattfindet, sei ein wichtiger Teil ihrer Kindheit gewesen, erinnert sich die 28-jährige Politikstudentin freudig.
Jetzt ist sie mit ihrem dreijährigen Kind und ihrem Mann da und freut sich, dass auch ihr Kind diese Erfahrung machen kann. „Jalsa Salana war schon immer ein Höhepunkt für unsere Familie. Es ist wie ein großes Familientreffen.“ Man merkt, wie sehr sie das Gemeinschaftsgefühl schätzt: „Wir freuen uns vor allem auch auf viele Leute, die man sonst ein Jahr lang nicht sieht“. Nach dem Wochenende habe man ein besonderes Gefühl der Gemeinschaft und „einen spirituellen Boost – man kommt gemeinsam Gott näher“.
Monir ist eine von vielen Frauen, die das Wochenende auf dem Flugplatz verbringen. Viele engagieren sich bei dem selbstorganisierten Treffen ehrenamtlich. Für die Frauen sei es empowernd, an diesem Wochenende neue Rollen zu übernehmen, die sie sonst nicht ausprobieren würden, erzählt Monir – so arbeiten die Frauen als Sicherheitskräfte, in der Anmeldung oder im Presseteam, wie zum Beispiel Rabea Rehman. „Oh, das sind ja meine Kinder!“, ruft die 29-Jährige freudig aus, als sie ihren Mann und ihre Kinder auf dem Gelände sieht. Frauen können sich im Männerbereich frei bewegen, umgekehrt ist dies jedoch nicht erlaubt.
Die Ahmadiyya-Gemeinschaft, die sich als liberal, aber wertekonservativ bezeichnet, wird häufig für ihre strikte Geschlechtertrennung kritisiert. Die Gemeinde betont jedoch die Gleichwertigkeit von Mann und Frau und sieht „Women-Only-Spaces“ als förderlich für die persönliche und berufliche Entfaltung von Frauen. So nutzen an diesem Wochenende auch verschiedene Berufsgruppen der Gemeinde, wie Ärztinnen oder Architektinnen, die Gelegenheit, sich zu vernetzen.
Unpolitisch ist die Gemeinde nicht
Tatsächlich hat die Ahmadiyya-Gemeinde liberalere Ansichten zum Islam als viele andere muslimische Gruppen. Sie befürwortet eine säkulare Regierungsform und betont die klare Trennung von Staat und Religion. Inzwischen ist die Gemeinde in Deutschland so etabliert, dass das Land Hessen ihr 2013 den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen hat. Damit ist sie bislang die einzige in Deutschland ansässige muslimische Religionsgemeinschaft, die den gleichen Rechtsstatus wie die christlichen Kirchen hat. Die Gemeindemitglieder betonen daher immer wieder, völlig frei von ideologischer Einflussnahme und unpolitisch zu sein. Doch so unpolitisch sind sie nicht.
„Eine Antwort auf die Vorwürfe der AfD“ steht auf einem blauen Heft im Pressezelt. Auf 70 Seiten äußert sich ein Pressesprecher der Gemeinde zur AfD. Die Gemeinde gehört schon lange zu den Feindbildern der AfD. Wer Mitglied bei der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland ist, darf kein Mitglied der AfD sein, steht beispielsweise auf der Unvereinbarkeitsliste der Partei. Der Vorsitzende der Gemeinde, Abdullah Uwe Wagishauser, sagt, dass man auch mit der AfD reden müsse und mit ihren Anhängern in den kritischen Diskurs gehen sollte.
Rabea Rehman und Wahay bin Sajid sehen Parallelen zur Verfolgung ihrer Eltern in Pakistan. „Auch wenn es hier nicht so extrem ist, spüren wir eine zunehmende Fremdenfeindlichkeit im Alltag“, sagt Rehman. Die Gemeinde versuche, Aufklärungsarbeit zu leisten und sich in die Gesellschaft zu integrieren. Doch man erwarte auch Unterstützung von der Politik. „Der Staat, auch die Regierung, muss gerade in Orten, wo die AfD immer weiter Zuwachs gewinnt, mehr tun und aktiv Aufklärungsarbeit leisten“, fordert sie.
Auch Sajid erwartet mehr von der Politik. „Manchmal hat man das Gefühl, dass man sich nur auf die AfD konzentriert, aber die Stimmen, die man von anderen politischen Parteien oder von Einzelpersonen in den sozialen Medien hört, sind genauso schlimm“, so Sajid. Die AfD sei sicherlich nicht die einzige oder entscheidende Kraft. „Rassismus ist leider mitten in der Gesellschaft angekommen“, meint der Frankfurter Jurist. Trotzdem wolle man in die Offensive gehen, denn das Thema Rassismus spiele eine Hauptrolle in der verfolgten Gemeinde.
Frieden in Gaza und der Ukraine
Auch der Nahostkonflikt ist an diesem Wochenende ein zentrales Thema. „Waffenstillstand jetzt – in Gaza und in der Ukraine“, steht auf einem blauen Sticker der Gemeinde, der auf vielen Autos zu sehen ist. Die Mitglieder betonen stets ihren Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit, was die Lösungen für die Konflikte in der Ukraine oder in Gaza betrifft, habe die Gemeinde keine konkreten Vorschläge, dies sei Aufgabe der Politik, erzählt Sajid.
Dennoch gehen ihre Forderungen über das Unpolitische hinaus: „Wir fordern die Vereinigten Staaten und andere einflussreiche Nationen auf, sich jeglicher Handlungen oder Erklärungen zu enthalten, die die instabile Situation weiter anheizen könnten“, hieß es vor einigen Monaten von der Gemeinde zum Nahostkonflikt. „Weil die alten Deutschen oder die alte deutsche Regierung, die Hitler-Regierung, Unrecht an den Juden begangen haben“, glaubten manche, dies gebe den Juden die Lizenz, es anderen Nationen gleichzutun, sagte der Kalif im April der Berliner Zeitung. „Wenn sie sich rächen wollen, dann an Deutschland, nicht an den Palästinensern.“
Am Sonntag neigt sich die Jalsa Salana dem Ende entgegen, doch die gute Stimmung auf dem Gelände wird von dem Anschlag in Solingen überschattet. „Solche Angriffe, die das Leben und die Sicherheit unschuldiger Menschen bedrohen, dürfen und werden wir nicht hinnehmen“, heißt es von der Gemeinde. Deutschland müsse weiterhin entschlossen und mit aller Härte gegen jegliche Form von Gewalt und Terrorismus vorgehen, um den Schutz und die Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene