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Agrar-Expertin über Lidl-Fleischsiegel„Lidl ist weiter als die Politik“

Die Haltungsbedingungen der Tiere will Lidl bei seinen Fleischprodukten ausweisen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung, findet Stephanie Töwe-Rimkeit.

Bald nur noch gekennzeichnetes Fleisch bei Lidl Foto: reuters
Interview von Alexander Wenzel

taz am wochenende: Frau Töwe-Rimkeit, Lidl will ab April alle Frischfleischprodukte seiner Eigenmarken nach den Haltungsbedingungen der Tiere kennzeichnen. Es soll vier Stufen geben: Stallhaltung, Stallhaltung mit mehr Platz, Auslauf und Bio. Ist das eine gute Idee?

Stephanie Töwe-Rimkeit: Für uns ist das auf jeden Fall ein Erfolg. Wir haben jetzt seit neun Monaten eine Kampagne gegen Lidl geführt und ebendiese Transparenz eingefordert, dass der Verbraucher erkennen kann, aus welcher Haltung das Stück Fleisch stammt. Denn das war bisher nicht der Fall. Die Kriterien für die einzelnen Stufen gehen jedoch noch nicht weit genug, sie müssten noch verschärft werden.

Langfristig will Lidl kein Fleisch der untersten Stufe (Stallhaltung) mehr verkaufen – ist das realistisch?

Den Schritt, den Lidl da gehen will, den gesetzlichen Mindeststandard in der Fleischproduktion nicht mehr im Regal anzubieten – das ist realistisch und machbar. Langfristig erhoffen wir uns aber, dass immer mehr in Stufe 3, Auslauf, und Stufe 4, Bio, geht. Denn die Mindeststandards der zweiten Stufe reichen nicht aus, um mehr Tierschutz in die Ställe zu bringen. Da müsste noch mehr passieren.

Bild: Feck/Greenpeace
Im Interview: Stephanie Töwe-Rimkeit

Stephanie Töwe-Rimkeit, 45, ist Referentin für Nachhaltige Landwirtschaft, Lebensmittel und Konsum bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace.

Kann solch ein Kennzeichnungssystem eine gesetzliche Kennzeichungspflicht ersetzen?

Aus unserer Sicht nicht. Das ist ein Anstoß und zeigt, dass Lidl weiter ist als die Politik. Wir brauchen aber auf jeden Fall eine gesetzliche Haltungskennzeichnung, sonst verliert sich der Verbraucher irgendwann im Label-Dschungel an der Fleischtheke. Die Koalitionsparteien müssten das jetzt in den Koalitionsvertrag aufnehmen und sich von der freiwilligen Kennzeichnung verabschieden.

Werden jetzt auch andere Discounter nachziehen?

Wir hoffen sehr, dass Lidls Schritt eine große Wirkung auf den Markt hat, was die Transparenz angeht. Und letztendlich auch auf die Marktentwicklung hin zu besserer Tierhaltung. Auch Aldi zum Beispiel gab letzte Woche bekannt, dass sie mit einer eigene Marke Produkte, die aus besserer Tierhaltung kommen, promoten wollen. Wir sehen aber eine große Gefahr, wenn jeder Händler das jetzt auf seine eigene Art und Weise tut. Am allerbesten wäre deshalb dem politisch etwas vorzugeben.

Hat das staatliche Tierwohl-Label den Anstoß für Lidl gegeben?

Das staatliche Tierwohl-Label ist bis heute eine einzige PR-Maßnahme von Landwirtschaftsminister Schmidt gewesen. Im Prinzip weiß bis heute keiner genau, was für Kritieren sich dahinter verbergen. Man kann also nicht sagen, dass das Anstoß für Lidl war, sondern ich glaube eher, Lidl ist ihm da zuvorgekommen. Und hat eine Vorreiter-Rolle übernommen, die eigentliche der Minister hätte übernehmen müssen. Das ist tatsächlich ein Armutszeugnis für das Landwirtschaftsministerium.

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10 Kommentare

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  • @atalaya Apropos Naivität.... dass Unternehmen im Kapitalismus in erster Linie Gewinne machen wollen ist ja wohl eine Binsenweisheit. Dzu passt, dass sich Lidl von der Fleisch Klassifizierung sicher einen Wettbewerbsvorteil verspricht. Zumindest trägt das dazu bei, dass ich als Verbraucher mehr Möglichkeiten habe als die Entscheidung zwischen billigem Industriefleisch und teurem Biofleisch.

    Das ist nicht die Lösung aller Probleme, aber ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Politik wird - wie so oft - den Entscheidungen des Handels folgen und das als eigenen Erfolg verkaufen.

    • @Bürger L.:

      Ich denke auch, dass nur so ein Weg zum Erfolg im Sinne von bewusstem und damit vielleicht auch weniger Fleischkonsum führen kann.

       

      Die derzeitigen Alternativen zwischen billig, teurer ohne kontrollierte Kennzeichnung und teurerem, aber kontrolliertem Bio-Fleisch sind nicht ausreichend und für den/die gemeinen Käufer/in wenig plausibel.

       

      Letztendlich ist die Bioware auch erst richtig durch den Verkauf in Supermärkten und Discountern bei der Bevölkerung angekommen.

       

      Besser bzw. weniger geht immer, aber die meisten Menschen scheinen die kleinen, immer mehr gesellschaftsfähigen Etappen besser zu verkraften und somit auch erst step by step ihr Kaufverhalten ändern zu können. Das ist beim PKW genauso wie bei Bioprodukten oder dem Energieanbieter. Manche brauchen zum Stromanbieterwechsel Aldi oder die POST, warum auch immer.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @Bürger L.:

      Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass der "Jubel" darüber, LIDL sei weiter als die Politik, naiv sei. Wie Sie sagen: die versprechen sich einen Wettbewerbsvorteil, deswegen machen sie das und nicht, weil sie etwa weiter gedacht hätten oder gar ein moralisches Motiv für ihr Gebaren haben.

       

      Wenn Sie vom Schritt in die richtige Richtung sprechen, nehmen Sie jedoch diese moralische Position ein. Umso besser für LIDL, weil das legitime Interesse des Unternehmen an der Kundenkohle komplementär zum "moralischen" Interesse der Kunden ist. Eine wahre win-win-shituation, jedenfalls für LIDL und die "bewusster" einkaufen wollende Kunden.

  • Martin, sorry für den falsch geschriebenen Reichert.

  • ALDI baut Wohnungen überm Supermarkt, Lidl verkauft glückliches Fleisch. Fusionen im Sinne von Martin Reichard? Was ist denn schon Legislation?

  • In den Niederlanden werden schon sicher 20 Jahre z.B. auch Produkte mit Eiern aus Bodenhaltung offensiv gekennzeichnet "met scharreleieren".

    Das ist zwar im Tierwohlbereich nicht viel an Standardzuwachs, aber immerhin wesentlich mehr als Eier aus Legebatteriehaltung, die bei uns ja noch vorwiegend ungekennzeichnet in verarbeiteten Produkten stecken (Mayonaise, Nudeln, Eierlikör etc.).

     

    Auch wird in den Niederlanden bereits sog. "scharrelvlees" von Huhn, Schwein und Rind angeboten. Außerdem vergibt der niederländische Tierschutzbund auch (kontrollierte) Sterne unter dem Label "Besser Leben" (1 Stern= bessere Haltungsbedingungen als Industriefleisch, 2 Sterne=gute Tierhaltung, die Tiere können raus, 3 Sterne=nach Kriterien der biologischen Tierhaltung (entspricht EKO-Label)).

    Zu dem gibt es noch ein Umweltlabel, was aber nichts zu den Haltungsbedingungen aussagt (max. indirekt).

     

    Ich denke schon, dass in D da auch ohne Politik bzw. erlassene Gesetze was machbar ist. Ein erster Schritt wäre ja mal, das Billigfleisch "Industriefleisch" genannt wird.

  • Wahrscheinlich gibt es nur bei den Lebensmittel den Weg, dass der LEH Regeln aufstellt, ohne Gesetze dafür.

    Vergleichbar wäre, wenn Autohändler einen Grenzwert für Abgase selber einführen. Aber solange sich die Bevölkerung von Organisationen und LEH veraschen lassen, zahlen sie an der Kasse und der Erzeuger bei den Preisen, die sie bekommen.

  • schon vergessen? http://www.taz.de/!5026027/

    schwarzbuch lidl von verdi

    oder die peinlichen transfair preise fuer lidl.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Solange LIDL Fleisch aus den Stufen 3 und 4 teurer anbieten als Fleisch aus den Stufen darunter, ist das auch nur ein Werbegag um Besserverdienende zu LIDL zu schleusen. Wenn die es ernst meinten, würden sie die Preise für die Stufen mitteln oder Fleisch der Stufen 3 und 4 verbilligen und das darunter verteurer. Machen die doch auch sonst öfter, nennt sich, wenn ich das richtig sehe "Mischkalkulation".

     

    Ich wundere mich immer, wie naiv man sein kann. Den Konzernen geht es doch nicht um die Tiere, sondern allein um das Geld der Kunden. Insofern kann bei dem Dilemma auch nur der Gesetzgeber etwas ausrichten, aber der will ja wie unser Büttelminister der Fleisch- und Chemieindustrie Schmidt den Fleischexport am liebsten noch ausweiten. Dann (er)kaufen am Ende die Gutbetuchten hier das "Gütefleisch" und sich damit ein gutes Gewissen, während noch mehr Fleisch ins Ausland wandert.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Ob mit oder ohen Gesetzgeber, auf die Preisgestaltung hat Kennzeichnung keinen Einfluß.