Afghanistans Loja Dschirga: Feilschen um Verbleib von US-Truppen
Auf Wunsch von Präsident Hamid Karsai debattiert die Große Ratsversammlung über den Verbleib von US-Truppen nach dem Nato-Abzug 2014.
BERLIN taz | Ab Donnerstag beraten in Kabul 2.500 Delegierte einer „Konsultativen Loja Dschirga“ über den Entwurf eines Bilateralen Sicherheitsabkommens (BSA) zwischen Afghanistan und den USA. Der erste Tag dient der Orientierung. Professoren, Zivilgesellschaftsaktivisten und andere Experten sollen Arbeitsgruppen von je 50 Teilnehmern zunächst über den Entwurf informieren.
Die Loja Dschirga ist eine traditionelle afghanische Volksversammlung aller ethnischen und sozialen Gruppen. Sie triff sich laut Verfassung in „für die Nation“ lebenswichtigen Situationen. Das ist mit dem bevorstehenden Abzug der Nato-Kampftruppen 2014 gegeben.
Erst am letzten Samstag hatten der Nationale Sicherheitsberater Dadfar Rangin Spanta und Verteidigungsminister Bismillah Mohammadi das Parlament über den Entwurf informiert, über den seit mehr als einem Jahr hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde.
Die USA und die afghanische Regierung haben sich auf ein Sicherheitsabkommen geeinigt. Das sagte US-Außenminister John Kerry am Mittwoch in Washington. Das Abkommen soll die Präsenz von US-Truppen in dem Land am Hindukusch nach 2014 regeln.
Über die Vereinbarung muss allerdings noch die Große Ratsversammlung aus Stammesältesten in Kabul entscheiden, die am Donnerstag zusammentritt. Einzelheiten zu dem Abkommen nannte Kerry nicht. Besonders umstritten ist das Truppenstatut. Washington besteht darauf, dass US-Soldaten – wie bei Nato-Auslandseinsätzen üblich – Immunität im Gastland genießen.
Kerry versicherte, es gehe künftig lediglich um eine „sehr begrenzte Rolle“ von US-Militärs in Afghanistan. Es werde keine Kampftruppen geben, es gehe nur um Ausbildung und Unterstützung. Er habe sich persönlich mit Präsident Hamid Karsai über weite Teile des Wortlauts geeinigt.
Das BSA soll Grundlage für die weitere Stationierung einer verringerten Zahl von US-Soldaten am Hindukusch sein, wenn Ende 2014 das Mandat der Nato-geführten Schutztruppe Isaf ausläuft.
Bilateraler Streit um zwei Punkte
Beide Regierungen sind an einer weiteren Truppenstationierung interessiert. Doch bis gestern waren noch zwei Hauptpunkte strittig: die Immunität der US-Soldaten gegenüber afghanischer Gerichtsbarkeit und ihr Recht, bei Gefahr im Verzug ohne Beteiligung afghanischer Soldaten in Häuser Einheimischer eindringen zu können.
Die USA wollen militärisch präsent bleiben, um in der Region mit ihren Atommächten Pakistan, Iran und Indien handlungsfähig zu sein und in Afghanistan die Rückkehr der Taliban an die Macht zu verhindern.
Spanta teilte im Parlament mit, die USA dürften die Kontrolle über den Stützpunkt Bagram bei Kabul behalten und kleinere Einheiten auf acht weiteren afghanischen Basen stationieren.
Insgesamt ging Spanta von 10.000 bis 16.000 US-Soldaten aus. Zurzeit sind noch etwa 60.000 US- sowie etwa 17.000 verbündete Soldaten im Land. Hinzu kommen 85.500 private Sicherheitskräfte des Pentagon.
Afghanistans Präsident Hamid Karsai, der im April aus dem Amt scheiden wird, weiß, dass es seiner Regierung an Stabilität und Ressourcen mangelt, die nur von außen kommen können. Afghanistans Streitkräfte kosten 4,1 Milliarden Dollar im Jahr, von denen das Land 500 Millionen aufbringen soll.
Geld gibt es wohl nur bei Zustimmung zum Abkommen
Zwei Milliarden Dollar hat Washington zugesagt. Der Rest soll von Alliierten – darunter Deutschland – kommen. Aber der US-Kongress wird die Mittel nur freigeben, wenn die Dschirga dem Abkommen zustimmt.
Das ist angesichts der beiden noch offenen Streitpunkte aber nicht sicher. Beide sind nach einer Reihe von Übergriffen amerikanischer Soldaten gegen Zivilisten stark emotionalisiert.
Während Karsai schon früher signalisiert hatte, einer Immunität zuzustimmen, lehnte er Hausdurchsuchungen als Verletzung afghanischer Souveränität bisher strikt ab. Das ist auch der Grund, warum Karsai überhaupt die Dschirga einberuft: Er braucht Rückendeckung bei so einer heiklen Entscheidung.
Radikalislamistische Parteien, islamische Studentenverbände und nationalistische Jugendorganisationen lehnen das Abkommen ab. Teile der politischen Opposition sind gegen die Dschirga, wenn auch nicht gegen die Truppenstationierung.
Da auch die Amerikaner kaum Zugeständnisse machen werden, könnte sogar der Beginn der Dschirga noch infrage stehen, wenn es keinen Entwurf gibt, den man diskutieren kann. Das Votum wird erst für Samstag erwartet, so dass noch Zeit zum Verhandeln ist.
Leser*innenkommentare
Gustav
Gast
Das heißt, diese Fälle müssen der Allgemeinheit gegenüber sofort
offengelegt werden in verantwortungsvoller nicht reißerischer Form.
Das heißt nicht, dass systemtreue JournalistInnen
ein Komplott mit den Mächtigen bilden und die Straftaten verschweigen dürfen.
Gustav
Gast
Wenn die USA als Weltpolizist weiterhin arbeiten wollen,
sollen sie aufhören durch DU-Munition die Staaten zu verseuchen!
Sie sollen selbst auf jegliche Form von ABC-Waffen verzichten.
Afghanistan braucht weniger stationäres Militär, dass mit zum Drogenhandelsboom beiträgt. Die SoldatInnen naschen wohl selber
oder dealen mit oder legitimieren die warlords.
Eine leistungsfähige Verbrechensaufklärung, ein humanistischer Islam
und eine humanistische Staatskultur sind wichtig, um den Teufelskreis
der Gewalt zu überwinden. Soldaten sollten nur als Verstärkung
für Polizeieinsätze fungieren und auf jegliche Show verzichten.
Es gab Zeiten, da haben die Geheimdienste auch die Kultur-und
Geisteswissenschaften, Kunst und Musik gefördert. Das wäre auch hier einmal wieder Zeit. Auf jeden Fall müssen die Landstriche dekontaminiert werden und von Minen befreit werden und Abkommen mit Waffenlieferanten
der Taliban und der Al Quaida getroffen werden. Hausdurchsuchungen sollte man immer in Anwesenheit der örtlich erwachsenen Kinder der warlords
gegen Bezahlung durchführen und sie zur Mitarbeit verpflichten, wenn
die entsprechende Kommune eine einjährige finanzielle Unterstützung
haben will. Sie hätten sich dann auch in ständigen Bereitschaftsdienst
zu befinden. Verwüstungen darf es bei solchen Hausdurchsuchungen nicht geben. Alle Einsätze sollten per Videokamera an Helmen aufgezeichnet und
per Livestream an diverse Speichermedien unter staatlichen und
vertraulichen journalistischen Zugriff delegiert werden.
Der von Manning aufgedeckte Fall der Massentötungen an Zivilisten
darf nicht noch einmal möglich sein.