Afghanistan unter den Taliban: Zwei Frauenrechtlerinnen frei
Das Taliban-Regime hält weiterhin viele Aktivistinnen in Haft und schüchtert sie und ihre Familien immer noch massiv ein. Zwei aber sind jetzt frei.
Beide waren vor etwa drei Monaten in ihren Wohnungen in Kabul verhaftet worden, Parwani am 19. und Parsi am 27. September. Beide mussten auch jeweils ein Kleinkind ins Gefängnis mitnehmen.
Parsi hatte als Leiterin der „Spontanen Bewegung der Afghanischen Frauen“ in Kabul mehrere Straßenproteste gegen die Entrechtung der weiblichen Bevölkerung Afghanistans durch das Taliban-Regime mitorganisiert. Auch Parwani gehörte zur Führung dieser Bewegung. Mit ihr kam auch ihr Ehemann in Haft und jetzt wieder frei. Anfang Dezember waren Meldungen nach außen gedrungen, dass sich Parsis und Parwanis Gesundheitszustände verschlechtert hätten und die Taliban beide in ein Krankenhaus verlegt hätten.
Bereits im Oktober war nach einmonatiger Haft ein drittes führendes Mitglied der Bewegung, Manizha Sediqi, nach einmonatiger Haft freigekommen. Im selben Monat entließen die Taliban nach fast siebenmonatiger Haft auch den Bildungsaktivisten Matiullah Wisa.
Auch Bildungsaktivist frei, der Taliban kritisierte
Er hatte seit 2009 mit seinem Verein Pen Path Bildungsaktivitäten in entlegenen Gebieten Afghanistans organisiert und die Taliban öffentlich wegen ihres Verbots von Frauen- und Mädchenbildung kritisiert.
Eine vierte Aktivistin der spontanen Frauenbewegung, Parisa Azada, befindet sich weiter in Taliban-Haft. Human Rights Watch teilte Ende November mit, dass die Organisation über viele Fälle verhafteter Frauen nicht berichten könne. „Familien fürchten sich und verschleiern ihre Verhaftungen, in der Hoffnung, dass Schweigen ihre Freilassung erkaufen oder Misshandlungen in der Haft verhindern können“, erklärte die Organisation.
Keine der freigelassenen Frauen äußerte sich bisher selbst öffentlich, auch nicht zu ihren jeweiligen Haftumständen. Es ist bekannt, dass sich Freigelassene schriftlich verpflichten müssen, künftig von ihren Aktivitäten abzulassen. Halten sie sich nicht daran, können Familienangehörige belangt werden.
Auch die Taliban äußern sich weder zu solchen Freilassungen noch zu Verhaftungen. Es gibt kein offizielles Verfahren; den Verhafteten werden keine Haftgründe mitgeteilt, und sie haben keinen Zugang zu einer anwaltlichen Verteidigung.
Die jüngsten Freilassungen signalisieren keine Kursänderung des Taliban-Regimes, sondern zeigen mutmaßlich das „Strafmaß“, das die Taliban für solche „Vergehen“ zumessen. Für sie dürfte es das wichtigste sei, die Entlassenen so einzuschüchtern, dass sie nicht mehr erneut protestieren – und ihre Familien dafür sorgen.
Frauenhäuser geschlossen
Die ebenfalls im Exil tätige Plattform für Frauennachrichten Ruchschana hingegen veröffentlichte jüngst den Bericht von drei Frauen, die im März 2022 bei einer Razzia in einem Frauenhaus verhaftet worden waren, nach ihrer Freilassung aber das Land verlassen konnten. Sie sprachen von Schlägen während nächtlicher Vernehmungen, mentaler Misshandlung wie Bedrohungen und Beschimpfungen. Es gebe erzwungene und auf Video aufgezeichnete Geständnisse, dass sie vom Ausland finanziert würden, und sie berichten von der Aufforderung, vom Schiitentum zur Mainstream-Islam, der Sunna zu konvertieren. Sie sind weiterhin traumatisiert.
Anfang Dezember interviewte der Afghanistan-Dienst der Deutschen Welle den sichtlich traumatisierten Bildungsaktivisten Ismail Maschal, einen früheren Universitätsprofessor, der in Kabul eine mobile Lastenfahrrad-Bibliothek betrieben hatte. Er musste ab Anfang Februar anderthalb Monate in Taliban-Haft verbringen und erhielt inzwischen Asyl in Deutschland.
Seit März gab es wegen der Taliban-Repression in Afghanistan keinen Straßenprotest von Frauen mehr. Allerdings versammelten sich im August mehrere Frauen zur Gründung einer weiteren Frauenorganisation. Acht von ihnen wurden festgenommen, nach 24 Stunden aber wieder auf freien Fuß gesetzt.
Zuletzt berichtete die UNO, dass unter den Taliban Fälle von genderbezogener Gewalt nur noch von männlichem Polizei- und Justizpersonal bearbeitet werde. Viele davon seien der Auffassung, Frauen „zu ihrem eigenen Schutz“ ins Gefängnis zu bringen, sei die einzig mögliche Gegenmaßnahme, wenn es keine männlichen Angehörigen gebe, die sich schriftlich verpflichteten, die Frauen zu schützen.
Seit dem Sturz der Vorgängerregierung hätten die Taliban 23 staatlich geführte Frauenhäuser geschlossen, da sie ein „westliches Konzept“ seien.
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