Afghanistan-Abzug der USA: Schlagabtausch statt Aussprache
Republikaner werfen US-Außenminister Antony Blinken im Senat „Inkompetenz“ und „Verrat“ im Zusammenhang mit dem US-Abzug aus Afghanistan vor.
Bei zwei Hearings am Montag und Dienstag im Senat und im Repräsentantenhaus dreschen Republikaner auf Außenminister Antony Blinken ein. Sie nennen ihn einen „Lügner“, werfen ihm „Inkompetenz“ und „Verrat“ vor, verlangen, dass er zurück tritt und fallen ihm ins Wort. Der oberste Diplomat bleibt im Ton höflich. Aber in der Sache lehnt er die Verantwortung für das Kriegsende ab. „Wir haben eine Deadline geerbt“, antwortet er, „keinen Plan“.
Es ist einer seiner zahlreichen Hinweise auf Donald Trump, dessen Emissäre im vergangenen Jahr den Truppenabzug mit den Taliban ausgehandelt haben.
Die Wut der Republikaner konzentriert sich auf die 100 US-Staatsangehörigen, die nicht evakuiert worden sind. „Amerika lässt bei Kriegsende keine Leute hinter feindlichen Linien zurück“, sagt Senator James Risch aus Idaho. „Es war ein überstürzter Abzug“, befindet der Abgeordnete Ronny Jackson.
Fehleinschätzung der Geheimdienste
Ihre Vorwürfe richten sich gegen einen Außenminister, der seit acht Monaten im Amt ist. Nicht gegen einen 20jährigen Krieg, den ein republikanischer Präsident begonnen hat und den zwei Nachfolger – ein Demokrat und ein Republikaner – trotz anderslautender Ankündigungen nicht beendet haben. Anstelle einer Antwort wiederholt Blinken wie ein Mantra einen Satz von Präsident Joe Biden: „Es war Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden“.
Für die Fehleinschätzungen der US-Geheimdienste, die nicht damit gerechnet haben, dass die afghanische Regierung und das Militär zusammenbrechen könnten, während die US-Truppen noch im Land sind, liefert Blinken keine Erklärung. „Dieser unerwartet schnelle Kollaps hat alles verändert“, sagte er bloss.
Die beiden Hearings bilden den Auftakt zu weiteren Sitzungen, bei denen es um die Verantwortung für Fehler beim Abzug aus Afghanistan gehen soll. Auch Demokraten kritisieren das Vorgehen beim Abzug. Aber sie schlagen nachdenklichere Töne an als ihre republikanischen Kollegen.
„So etwas wie Reform-Taliban gibt es nicht“, mahnt der demokratische Senator Robert Menendez. Sein Kollege Tim Kaine aus Virginia befasst sich mit dem gescheiterten Versuch, „ein System einzuführen, das Afghanistan nicht wollte“. Für ihn geht es um die Grenzen der Macht der USA. „Wir schaffen es nicht, 30 Prozent der Amerikaner zu einer Impfung bewegen. Wir können ebenso viele nicht davon überzeugen, das Ergebnis einer Präsidentschaftswahl anzuerkennen“, sagt er, „glauben wir allen Ernstes, wir könnten entscheiden, wie die Kultur eines anderen Landes sein sollte?“
Al-Qaida spielt keine Rolle
In Außenministerium der USA soll es demnächst eine Stelle geben, die sich schwerpunktmäßig mit der Lage von Frauen in Afghanistan befasst. Der Außenminister strebt „punktuelle Kooperationen“ mit den Taliban an, um US-Staatsangehörige herauszuholen. Und er wird die humanitäre Hilfe um 64 Millionen Dollar aufstocken.
Aber jede weitere Unterstützung macht er abhängig vom Vorgehen der Taliban: „Wir erwarten Reisefreiheit, Respekt der Anti-Terror-Absprachen und der Grundrechte für Afghanen, insbesondere Frauen, Mädchen und Angehörigen von Minderheiten und ein Ende der Repressalien“.
Am Tag, an dem das Hearing im Senat stattfindet, heben drei ehemalige US-Präsidenten – Bush, Clinton und Obama – eine Organisation aus der Taufe, die Afghanen in den USA begrüßen soll und Geld für sie sammelt. Rund 124.000 Personen (davon rund 118.000 Afghanen) sind in dem Chaos der letzten Tage aus Kabul ausgeflogen worden.
Mehrere Republikaner, die bei den Hearings über die zurückgelassenen Staatsangehörigen geklagt haben, bremsen, wenn es um Flüchtlinge geht. Senator John Barrosso will sich bei einem Interview nicht zu der Frage äußern, ob heimatliches Wyoming afghanische Flüchtlinge aufnehmen wird. „Haben sie tatsächlich unseren Soldaten geholfen?“, will er wissen: „sind sie vor der Evakuierung sorgfältig durchleuchtet worden“.
Al-Qaida, die Organisation, deren Attentate im Herbst 2001 zum Afghanistan-Krieg führten, kommt bei den Hearings nur am Rande vor. Außenminister Blinken glaubt, dass Al-Qaida zumindest vorerst so geschwächt ist, dass sie keine Bedrohung für die USA darstellt. Aber mehrere US-Geheimdienstler warnen bereits wieder vor Al-Qaida. Am Dienstag teilt der Vize Chef des CIA, David Cohen, mit, dass Al-Qaida-Kämpfer nach Afghanistan unterwegs seien. Nach seiner Einschätzung könnten sie sich „in ein bis zwei Jahren“ so weit umstrukturieren, dass sie eine Bedrohung werden könnten.
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