Affenpocken in Deutschland: Kein Anlass für ein Affentheater
Warum die Affenpocken besser Riesenhamsterrattenpocken heißen sollten – und was Sie sonst noch über das Virus wissen müssen.
Nach Corona kommen jetzt die Affenpocken. Sitzen wir bald alle im Lockdown?
Mit Sicherheit nicht. Der Erreger der Affenpocken ist ein Virus, aber damit enden schon die Gemeinsamkeiten mit Sars-CoV-2. Der wichtigste Unterschied ist die Übertragbarkeit: Während sich das Coronavirus sehr effektiv durch Tröpfchen und Aerosole in der Luft ausbreitet und eine Infektion schon vor dem Auftreten erster Symptome durch gemeinsame Aufenthalte in geschlossenen Räumen möglich ist, steckt man sich mit Affenpocken weniger leicht an. Ein genereller Lockdown des öffentlichen Lebens im Sinne öffentlicher Einschränkungen wäre deshalb für dieses Virus unpassend.
Wie viele nachgewiesene Fälle von Affenpocken gibt es bislang überhaupt?
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts wurden in Deutschland bis zum Mittwoch insgesamt zehn Erkrankungen bestätigt. Am Dienstag waren es noch fünf. Da die sogenannte Inkubationszeit relativ lang ist, dürften in den kommenden Tagen noch zahlreiche weitere Fälle gemeldet werden. Auch eine Dunkelziffer von unerkannten oder nicht gemeldeten Erkrankungen ist anzunehmen, da die Infektion selten schwer verläuft und die Bestätigung eines Falls allein mit Spezialmikroskopen und einer virusgenetischen Analyse im Labor möglich ist. Sprich: Wer Symptome hat, sich aber nicht bedrohlich krank fühlt, wird womöglich gar nicht zum Arzt gehen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Wo kommen Affenpocken her? Und warum heißen sie Affenpocken?
Der Erreger der Affenpocken ist ein alter Bekannter. Entdeckt wurde das Virus vor fast 75 Jahren in einer Gruppe von Javaneraffen, knapp zwei Monate, nachdem die Tiere für Laborexperimente nach Dänemark gebracht worden waren. Der abgeleitete Name ist bis heute geblieben, aber irreführend. Nicht Affen stellen das natürliche Reservoir für das Virus dar, sondern Nagetiere wie zum Beispiel die afrikanische Riesenhamsterratte oder verschiedene Hörnchenarten, die in West- oder Zentralafrika heimisch sind. Dort ist das Virus endemisch, also im Hintergrund immer vorhanden. Der erste Fall von Affenpocken bei Menschen wurde Anfang der 1970er Jahre bei einem kongolesischen Kleinkind dokumentiert. Die Affenpocken gelten seither als klassische Zoonose, also als Krankheit, die von Tieren auf Menschen übertragen werden kann.
Wie werden Affenpocken überhaupt auf den Menschen übertragen?
Die Ansteckung beim Tier erfolgt über Körpersekrete. Vom Tier weiter auf den Menschen gelangt das Virus dann meistens durch Bisse, außerdem durch die Verarbeitung von rohem Fleisch von infizierten Affen oder Ratten. Von Mensch zu Mensch wird das Virus vor allem durch Kontakt mit den Pockenpusteln übertragen, also über die Flüssigkeit oder den Schorf der Hautveränderungen. Da die Pusteln unter anderem im Mund und im Genitalbereich auftreten, sind Körpersekrete wie Speichel meist ebenfalls sehr ansteckend. Küsse und enge Umarmungen mit einem Infizierten sind daher riskant.
Was für Symptome haben Menschen, die sich mit dem Virus infizieren?
Die ersten unspezifischen Krankheitszeichen wie Kopfweh, Fieber und Gliederschmerzen können fünf Tage bis drei Wochen nach der Infektion spürbar werden, normal sind gut zwei Wochen. Wenige Tage nach Beginn des Fiebers zeigen sich auf Handflächen, Fußsohlen und im Gesicht erste Flecken, die sich im weiteren Krankheitsverlauf zu Bläschen und Pusteln entwickeln. Bis sie vollständig abheilen und die – oft immer noch ansteckenden – Krusten abgefallen sind, kann es einige Wochen dauern.
Aber wie gefährlich ist die Krankheit denn für den Menschen?
In den allermeisten Fällen heilen die Affenpocken von alleine aus und hinterlassen keine bleibenden Schäden. Trotzdem gibt es selten Komplikationen. So können sich Bakterien in offenen Pusteln ansiedeln und gefährliche Infektionen auslösen. Es kann zu Lungen-, Bindehaut- und sogar zu Hirnhautentzündungen kommen. Das bleibt dann auch langfristig nicht ohne Folgen. Entstellende Narben und der Verlust des Augenlichts sind möglich. In West- und Zentralafrika sterben 1 bis 10 Prozent der Infizierten an den Affenpocken. Diese teils hohe Sterblichkeit ist auf Europa und andere westliche Industrieländer aufgrund der besseren Hygiene, Gesundheitsversorgung und Ernährung nicht übertragbar. Allerdings gibt es auch unter guten Lebensbedingungen Gruppen mit einem erhöhten Risiko für schwere Verläufe. Dazu zählen Kinder, Schwangere und immunsupprimierte Menschen wie Krebskranke, Transplantat-Empfänger:innen und HIV-Infizierte.
Gibt es schon Medikamente oder andere Therapien gegen die Affenpocken?
Verläuft eine Infektion schwer, können Ärzt:innen das Medikament Tecovirimat verabreichen. Das Mittel ist seit vier Jahren auf dem Markt, entwickelt wurde es allerdings nicht gegen die Affenpocken, sondern gegen einen möglichen Biowaffenangriff mit den echten Variola-Pocken. Diese oft tödliche Form der Pockenkrankheit beim Menschen gilt seit 1979 als weltweit ausgerottet, allerdings werden letzte Proben des Virus in Russland und den USA aufbewahrt. Wie gut Tecovirimat gegen Affenpocken wirkt, ist nicht wissenschaftlich untersucht. Bei gleichzeitiger Einnahme kann es zudem die Wirkung anderer Arzneien vermindern oder die Nebenwirkungen dieser Mittel verschlimmern. Alternativ zu Tecovirimat gibt es für Kontaktpersonen noch die kurzfristige Möglichkeit, sich mit einem modernen Pockenimpfstoff immunisieren zu lassen. In der Medizin spricht man von Postexpositionsprophylaxe.
Sind Männer, die mit Männern Sex haben, besonders gefährdet ?
Die Affenpocken zählen nicht zu den sexuell übertragbaren Krankheiten. Zwar ist nicht abschließend geklärt, ob Samen- oder Vaginalflüssigkeit in Abwesenheit von Pusteln mit Viren belastet sein können. Doch der Hauptübertragungsweg bleibt der direkte körperliche Kontakt durch Berührungen oder Küsse, und zwar unabhängig von Sex und sexueller Orientierung. Die Annahme, dass es sich bei den Affenpocken um eine „Schwulenkrankheit“ handeln würde, ist also falsch und gefährlich, weil sich Kinder, Schwangere und andere Risikogruppen in falscher Sicherheit wiegen.
Ich habe eine Narbe am Oberarm und glaube, die kommt von einer Pockenimpfung.
Falls Sie älter als 45 Jahre sind und damals zweifach geimpft wurden, haben Sie Glück. Denn die mithilfe einer sogenannten Bifurkationsnadel in den Oberarm geritzte Pockenimpfung schützt vermutlich auch vor den Affenpocken. Sie war bis zu den Achtzigern in beiden Teilen Deutschlands Pflicht. Laut Studien sollte ein Schutz vor einer Infektion, mindestens aber vor schwerer Erkrankung bis heute anhalten. Eine Studie von 2020 geht allerdings davon aus, dass weniger als 30 Prozent der Bevölkerung noch über einen solchen Schutz verfügen.
Könnte das Virus mutieren und gefährlicher werden?
Theoretisch wäre das möglich. Allerdings ist das Affenpockenvirus genetisch sehr stabil. Es enthält – im Gegensatz zu den rasch veränderlichen Grippe- oder Coronaviren – einen Doppelstrang DNA als Erbgut, der weniger anfällig ist für Mutationen. Erste Analysen von Virusproben aus dem aktuellen Ausbruch zeigen bislang keine Veränderungen im Vergleich zu älteren Proben aus West- und Zentralafrika.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen