Steigende Zahl von Affenpocken-Fällen: „Wir müssen sehr wachsam sein“

Die Verbreitung der Affenpocken erreicht neue Dimensionen, auch hierzulande. Doch die Impfungen mit dem verfügbaren Vakzin laufen nur schleppend an.

Frau mit Mundschutz und einer Pippette in einem Labor.

Madrid: Eine Krankenschwester bereitet im Krankenhaus einen PCR-Test auf Affenpocken vor Foto: dpa

BERLIN taz | Während sich die Affenpocken weltweit in unerwartet hohem Tempo verbreiten, haben in Deutschland die ersten Impfungen gegen das Virus begonnen. Wie das Landesgesundheitsministerium in Hannover am Sonntag mitteilte, können sich Kontakt- und Risikopersonen in Niedersachsen jetzt in HIV-Schwerpunktpraxen impfen lassen. Niedersachsen hatte am 22. Juni die ersten 1.200 Dosen eines modernen Pockenimpfstoffs erhalten, der auch gegen die Affenpocken wirkt. Geimpft wird zudem bereits an den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen.

Laut dem jüngsten Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 27. Juni gehört Deutschland neben Spanien und Großbritannien weltweit zu den drei am stärksten vom Ausbruch betroffenen Ländern. Das Robert-Koch-Institut meldete am Freitag neue Zahlen, demnach sind in der Bundesrepublik inzwischen mehr als 1.050 Fälle von Affenpocken bestätigt. Etwa zwei Drittel dieser Fälle wurden aus Berlin gemeldet. Die grüne Gesundheitssenatorin Ulrike Gote hatte am vergangenen Dienstag angekündigt, in der nun anbrechenden Woche mit Impfungen in der Hauptstadt zu beginnen. Die erste Lieferung des Impfstoffs ist bereits in Berlin angekommen. Ein genauer Termin für den Impfstart steht aber nicht fest.

Eine weltweit ungewöhnliche Häufung von Affenpocken-Fällen war zuerst Ende Mai aufgefallen. Und obwohl die Krankheit in den meisten Fällen nicht schwer verläuft, warnen ExpertInnen seit Wochen davor, den Ausbruch auf die leichte Schulter zu nehmen. Das Virus könnte, nachdem es außerhalb West- und Zentralafrikas bisher nur sporadisch aufgetreten war, im Zuge seiner globalen Verbreitung in vielen Ländern heimisch werden und immer neue Ausbrüche verursachen – auch in Deutschland.

Immunschwache, Schwangere und Kinder wären dann ebenfalls betroffen, sie haben ein erhöhtes Risiko für teils gefährliche Komplikationen wie Hirnhaut- und Lungenentzündungen. Denkbar ist zudem, dass sich das eigentlich stabile Virus in neuen tierischen Wirten verändert und mit veränderten Eigenschaften wieder auf Menschen übergeht.

Kann zwischen alle Geschlechtern weitergegeben werden

Viele Fachleute hätten es deshalb begrüßt, wenn ein unabhängiges BeraterInnengremium der WHO den Affenpockenausbruch am 25. Juni zu einem PHEIC, einer gesundheitlichen Notlage mit internationaler Tragweite, erklärt hätte. Eine solche Alarmstufe gibt der WHO mehr Möglichkeiten zur Eindämmung des Ausbruchs und gilt zudem als ein Weckruf für die Öffentlichkeit.

Die ExpertInnen des Gremiums entschieden aber dagegen. Eine US-Expertin mutmaßte, das Kriterium der Außerordentlichkeit sei nicht erfüllt gewesen, weil das Virus kein völlig neues Problem darstellt. „Es wäre ungerecht und unfair festzustellen, dass ein Ereignis nur deshalb außerordentlich ist, weil es jetzt in wohlhabenden Industrienationen stattfindet“, sagte Alexandra Phelan von der Georgetown University in ­Science. Die Affenpocken sind in west- und zentralafrikanischen Staaten endemisch, dort kommt es immer wieder zu meist begrenzten Ausbrüchen. Verfügbaren Daten zufolge sind Männer und Frauen gleich häufig betroffen.

Außerhalb Afrikas und auch in Deutschland breitet sich das Virus derzeit jedoch fast ausschließlich in Communitys aus, in denen Männer Sex mit Männern haben. Häufige Partnerwechsel spielen einer vorveröffentlichten Studie zufolge die zentrale Rolle für die rasche Verbreitung des Erregers. Experten betonen jedoch, dass die Krankheit nicht allein durch Sex und unabhängig von der sexuellen Orientierung übertragen wird. Sie kann zwischen allen Geschlechtern und durch jede Art von engem Körperkontakt weitergegeben werden. Eine Infektion lässt sich daher – anders als etwa bei HIV – nicht sicher durch Safer Sex verhindern. Die Deutsche Aidshilfe rät dennoch dringend, Kondome zu benutzen.

Menschen mit höherem Risiko wird Impfung empfohlen

Offen ist derzeit, wie groß der Ausbruch noch werden kann – und welchen Effekt die Impfungen haben. Das Bundesgesundheitsministerium hat zunächst 40.000 Dosen des modernen Pockenimpfstoffs Jynneos bestellt, in den kommenden Wochen sollen insgesamt bis zu 200.000 Dosen des identischen Impfstoffs Imvanex geliefert werden.

Er ist zusätzlich zur üblichen Immunisierung als sogenannte Post-Expositions-Prophylaxe geeignet. Das heißt, das Vakzin schützt Kontaktpersonen von Infizierten kurzfristig auch dann noch, wenn eine Übertragung schon stattgefunden hat. Neben diesen Kontaktpersonen sollen sich laut Ständiger Impfkommission vor allem Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko vorsorglich impfen lassen – also Männer, die Sex mit Männern haben und dabei oft die Partner wechseln.

Lars Schaade, Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts, geht aber davon aus, dass es noch einige Wochen dauern wird, bis die Infektionszahlen wieder abnehmen. Der Funke-Mediengruppe sagte Schaade, er sei zwar optimistisch, dass dies passiere, wenn „gut informiert und der Impfstoff vernünftig eingesetzt“ werde. „Ich glaube aber, dass wir auch in den Monaten danach immer mal wieder Fälle sehen werden. Wir müssen sehr wachsam sein.“

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