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Affäre um antisemitisches HetzblattAiwanger wittert Kampagne

Auch nach der Entschuldigung des Freie-Wähler-Chefs hält die Kritik an. Der Antisemitismusbeauftragte sieht die Erinnerungskultur Deutschlands beschädigt.

Nach der Entschuldigung ins Bierzelt: Freie Wähler Chef Hubert Aiwanger am Donnerstag im Chiemgau Foto: Uwe Lein/dpa

München dpa/epd/taz | In der Affäre um ein antisemitisches Hetzblatt aus Schulzeiten bleibt Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) auch nach einer öffentlichen Entschuldigung unter Druck. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hielt Aiwanger vor, keinen Willen zu einer offenen Aufklärung zu zeigen. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, kritisierte, Aiwanger schade der Erinnerungskultur in Deutschland, weil er die Vorwürfe nicht vollumfänglich aufkläre.

Aiwanger hatte bereits am Samstag schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien „ein oder wenige Exemplare“ in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Am Donnerstag entschuldigte sich Aiwanger erstmals öffentlich. In Bezug auf die Vorwürfe blieb er bei der bisherigen Darstellung – insbesondere, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe und dass er sich nicht erinnern könne, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. Gleichzeitig ging der Freie-Wähler-Chef zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei.

„Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe“, sagte Aiwanger. „Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten und der wertvollen Erinnerungsarbeit.“ Von einem möglichen Rücktritt war keine Rede.

Missbrauch zu parteipolitischen Zwecken?

Der Welt (Online/Donnerstag) sagte Aiwanger: „In meinen Augen wird hier die Schoah zu parteipolitischen Zwecken missbraucht“. Der Süddeutschen Zeitung, die als erstes über Vorwürfe gegen ihn berichtet hatte, warf er vor, ihn politisch vernichten zu wollen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat seinem Vize einen Katalog mit 25 Fragen zum Thema zur schriftlichen Beantwortung im Zusammenhang mit den Vorwürfen vorgelegt. Aiwangers Sprecher sagte, diese würden nun „zeitnah“ beantwortet.

Nachdem Aiwanger am Donnerstag tagsüber mehrere Termine abgesagt hatte, trat er am Abend wieder auf einer Kundgebung im oberbayerischen Aschau auf. Zur Flugblatt-Affäre und den weiteren Vorwürfen äußerte er sich dort nicht mehr. In seiner Rede warb er für die Politik der Freien Wähler, kritisierte vor allem die Grünen und erntete teils tosenden Beifall. Am Freitag wollten sowohl Aiwanger als auch Söder seit längerem geplante Termine in Bayern wahrnehmen.

Die Kritik an Aiwanger reißt nicht ab. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Schuster, sagte der „Bild“ (Online/Donnerstag): „Die Entschuldigung von Hubert Aiwanger bei den Opfern und Hinterbliebenen der Schoah war ein guter, wenn auch längst überfälliger Schritt.“ Schuster sagte aber weiter: „Bedauerlicherweise verbindet er dies mit einer Klage über eine politische Motivation der Vorwürfe und lässt weiterhin den Willen zu offener Aufklärung vermissen.“

Scharfe Kritik vom Antisemitismusbeauftragten

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Klein, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag): „Die Bemühungen in Schulen und Gedenkstätten, gerade jüngeren Menschen einen kritischen und verantwortungsvollen Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu vermitteln, werden durch das Verhalten von Herrn Aiwanger torpediert“.

Damit schade Aiwanger der Erinnerungskultur in Deutschland. „Ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Erbe des schlimmsten jemals von Deutschen begangenen Verbrechens wäre die proaktive und vollumfängliche Aufklärung der eigenen Rolle bei der Erstellung und Verteilung dieses judenfeindlichen Pamphlets.“

Der Antisemitismusbeauftragte des Landes Niedersachsen, Gerhard Wegner, forderte Aiwanger zum Rücktritt auf. „Anstatt sich hinzustellen und sich in angemessener und wirklich glaubwürdiger Weise für diese unsägliche und auch eklige Schrift zu entschuldigen, wird verschleiert, wie es dazu gekommen ist. Das finde ich absolut unbefriedigend. Deshalb müsste Aiwanger eigentlich zurücktreten, wenn ihn Markus Söder schon nicht entlassen will“, sagte der Theologe dem epd.

In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Nach allen jüngsten Umfragen können CSU und Freie Wähler auch danach weiter regieren. Söder hatte am Dienstag gesagt, er wolle die Koalition fortsetzen. Koalitionen hingen aber „nicht an einer einzigen Person“. Die Freien Wähler in Bayern stellten sich geschlossen hinter Aiwanger und beklagten eine „Schmutzkampagne“.

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10 Kommentare

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  • Hätte er sich einfach hingestellt gesagt ja das war ich, es tut mir leid ich bin heute ein anderer Mensch könnte man die Sache einfach begraben. Aber diese faulen Ausreden und sich rausreden, lassen halt einen dann doch am Character dieses Menschen zweifeln.

  • 9G
    93042 (Profil gelöscht)

    Das rhetorische „Aber...“ nach der Entschuldigung zeigt, dass Herr Aiwanger absolut nichts begriffen hat, oder nichts begreifen will. Diese „Schmutz-Kampagnen“-Relativierung ist nichts als der trotzige Versuch die Täter-Opferrichtung umzukehren. Jetzt ist Hubert A. das irrational und grundlos verfolgte Opfer einer taktisch platzierten Schmutzkampagne. Er hängt also noch immer der gleichen Denke an, die vor 35 Jahren bei ihm oder – wenn’s denn sein muss - auch bei seinem Bruder zum Abfassen dieses ekelhaften Schreibens geführt hat. - Um das jetzt nochmals ganz deutlich zu fragen: Was ist real und im übertragenen Sinne "schmutziger": Die paar noch hinzugekommenen Flecken auf der, zuvor auch schon nicht besonders sauberen, Weste eines seit Jahren am Biertisch steil gehenden Provinz-Politikers oder der Aschestaub von Millionen jüdischer und andersdenkender Opfer der Nazis? Das ist die einzige Frage, die in diesem Fall zählt. Die Antwort darauf überlasse ich jetzt mit wenig Hoffnung den unbelehrbaren Fans des top-volksnahen Hubert A.

  • Das Aiwanger hier eine, wie er sich ausdrückt "Schmutzkampange" wittert, zeigt, dass er nicht im Ansatz irgendetwas bereut oder bedauert.

    Egal wie lange es her ist, dieses "Dokument" aus den frühen Jahren des Hr. Aiwanger zeigt eine mehr als gefährliche rechtsradikale Gesinnung.

    Und dass er, wenn er selber so eine Schmutzkampange auf dem Rücken von Ermordeten Menschen losgetreten hat, nun behauptet, die Aufklärung zu dieser Aktion wäre eine Schmutzkampange, zeigt überdeutlich, dass er nichts bereut und nur Sorge um seine eigene Karriere hat!



    Also flüchtet er sich nun wie Trump in die Rolle des völlig zu unrecht Beschuldigten und tut damit so, als wenn es sein gutes Recht wäre, als Schüler rechtradikale Hetze der schlimmsten Art betreiben zu dürfen!

    Seine Entschuldigung kann er sich also sonst wo hinstecken, diese Entschuldigung ist weder ernst gemeint noch aufrichtig, sie dient nur dem Machterhalt!

    • @Herr Schnitzlmann:

      Ja, an die Strategien eines Trump musste ich im Fall Aiwanger auch denken. Machterhalt auf Biegen und Brechen, konsequente Täter-Opfer-Umkehr hier wie dort. Die spezifisch deutsche Komponente: Relativierung der deutschen Schuld an und Verantwortung für die Shoa.



      Sollten FW und AfD aus der Bayernwahl gestärkt hervorgehen, würde das zeigen, dass diese Strategie aufgeht. Noch nie war die politische Rechte hierzulande so nahe vor ihrem Ziel, sich dieses dunklen Kapitels der deutschen Vergangenheit zu entledigen.



      Wer jetzt - nach den dürren Erklärungen Aiwangers auf seiner Pressekonferenz - immer noch von Jugendsünde und Vorverurteilung faselt, hat etwas grundsätzlich nicht verstanden. Wie auch diejenigen, die im Kampf gegen den Antisemitismus die Hauptgefahren heute im Islam oder linker Ideologie sehen.

  • Und siehe es ward offenbart, das Fundament des Konservatismus. Erneut. Roland "unterschreib hier doch mal gegen Ausländer" Koch und Helmut "jüdische Vermächtnisse" Kohl werden dem Aiwanger wohl als Inspiration für sein Aussitzen dienen.

  • „Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten und der wertvollen Erinnerungsarbeit.“

    Also er entschuldigz sich bei:



    1) allen Opfern des NS-Regimes (das ist angebracht)



    2) deren Hinterbliebenen (bezieht sich auf die Opfer, ok)



    3) allen Beteiligten (Was? Des NS-Regimes? Da sollte er sich nicht entschuldigen)



    4) der wertvollen Erinnerungsarbeit (Jemand entschuldigt sich bei Arbeit? Na, da freut sie sich aber, die Arbeit.)

    Ernsthaft - wenn Politiker gerade unter Beschuss stehen, dürfen die ihr gedankliches Gestammel einfach so in die Umwelt absondern? Kommt da keiner auf die Idee, solche Statements vorher Korrektur zu lesen?

    • 6G
      652797 (Profil gelöscht)
      @Der dreckich Katz:

      Man kann aber auch auf Krampf alles Missverstehen wollen.

    • @Der dreckich Katz:

      Das ist doch einfach nur ein Redaktionsfehler, wie er bei Verschriftlichungen einer mündlichen Aussage immer vorkommen kann (das zweite "und" ist ein Stammler und müsste in der schriftlichen Form gelöscht werden). Gemeint sind die "Beteiligten der wertvollen Erinnerungsarbeit", denen er mit seinem Verhalten in den Rücken fällt (so wie es oben ja auch Gerhard Wegner moniert).

  • Und schaut mal, wie die Leute im Bierzelt ihn zulächeln, Fotos machen und so tun, wie wenn nichts geschehen ist.

    Sieht etwa so die historische Verantwortung Deutschlands aus? Im Bierzelt sieht man: Den Deutschen scheint der Genozid gegen die jüdische Bevölkerung nicht zu kümmern.

    Wird also nicht mehr lange dauern, bis Dachau vergessen ist. Dachau, das liegt im Heimatland Aiwangers. Täglich werden dort ja schon Naziparolen draufgeschmiert.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    "Schmutzkampagne"



    "wertvolle Erinnerungsarbeit"



    „In meinen Augen wird hier die Schoah zu parteipolitischen Zwecken missbraucht“.

    Was ein Komplize sagt:



    "Fraktionschef Florian Streibl sagte: »Wir sind mit ihm solidarisch.« Es werde nun das Schicksal von Millionen Juden dazu instrumentalisiert, einen Politiker fertigzumachen, kritisierte er."



    (Quelle lässt sich suchfinden)