AfD und die Frankfurter Buchmesse: Attraktiver Behälter ohne Inhalt
Die Bedrohung der Demokratie von rechts ist auch auf der Buchmesse Thema. Auf Veranstaltungen wurden wichtige Fragen zum Erstarken der AfD gestellt.
Für die AfD sehen die Umfragewerte hervorragend aus, eine reale Machtoption ist nicht ausgeschlossen. In Thüringen würde nach jetzigem Umfragestand eine laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextreme Partei mit Abstand stärkste Kraft. Rund ein Drittel der Bürger*innen würde die AfD – Stand jetzt – in allen drei Bundesländern wählen. Die Ergebnisse in Bayern und in Hessen könnten also nur ein Vorgeschmack gewesen sein.
Einen von vielen alarmierenden Sätzen, die am Donnerstagabend während des FAZ-Talks „AfD im Aufwind: Kippt die Demokratie?“ in der Evangelischen Akademie Frankfurt fallen, sagt die aus Wismar stammende Schriftstellerin und Allroundkünstlerin Anne Rabe: „Ich sehe derzeit keine politische Kraft, die in der Lage wäre, den Erfolg der AfD im kommenden Jahr zu verhindern“, erklärt sie.
Nun könnte sich das politische Tableau zwar noch mal bedeutend ändern, wenn Sahra Wagenknecht tatsächlich mit einer neuen (vermutlich auch populistischen) Partei antritt, beängstigend sind die Perspektiven so oder so. Die Normalisierung der AfD nehme zu, auch im Westen, konstatiert Rabe, die gerade mit ihrem Wenderoman „Die Möglichkeit von Glück“ auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand.
Nicht „nur“ ein Frustwähler*innen-Phänomen
Die Diskussion, an der neben Rabe die FAZ-Feuilletonist*innen Sandra Kegel, Melanie Mühl und Patrick Bahners teilnehmen, ist auch deshalb hochinteressant, weil sie alle den Erfolg der Partei nicht „nur“ zu einem Frustwähler*innen-Phänomen machen. Sondern fragen, was und wen die Partei richtig adressiert – und wie. Bahners, der gerade ein Buch über die AfD geschrieben hat („Die Wiederkehr.
Die AfD und der neue deutsche Nationalismus“) sagt, die Partei nehme „die Demokratie vielleicht ernster als die Parteien, mit denen sie konkurriert“. Zumindest bekenne sie sich zum politischen Streit. Er führt den AfD-Aufschwung auch auf eine zunehmend pragmatischere Politik in den Merkeljahren und die Rede von der Alternativlosigkeit zurück. Dabei gehe es der AfD natürlich eigentlich nicht um demokratische Werte.
Schon am Nachmittag hatte Bahners bei einer Diskussion („AfD – bald normal?“) mit dem Görlitzer Schriftsteller Lukas Rietzschel davon gesprochen, dass man die AfD als Container, als Behältnis begreifen müsse, das, unabhängig vom Inhalt, gerade sehr attraktiv sei. Das liege auch daran, dass sich die anderen großen Parteien von der Idee der direkten oder wirklich bürgernahen Demokratie zunehmend verabschiedet hätten.
Beide nannten das Schlagwort „nichtmajoritäre Institutionen“ (NMI) als Problem – also etwa Expertengruppen, Institutionen, Lobbyvereine, deren Einfluss bei der politischen Entscheidungsfindung zunimmt. Bürger*innen fühlten sich so ohnmächtiger, weiter entfernt vom politischen Prozess, sind sich beide einig.
Gauland-Weidel-Partei im Kern undemokratisch
Rietzschel, der mit dem Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ (2018) bekannt wurde und Mitglied der SPD ist, sieht Auswege des Demokratieproblems nur in mehr Bürgerbeteiligung. Er macht sich für das Losverfahren stark, durch das Bürger*innen zur Partizipation „verdonnert“ werden – ähnlich, wie es der belgische Historiker David Van Reybrouck seit Jahren fordert.
Rietzschel erkennt eine Schieflage: Einerseits wünschten sich 85 Prozent der Bürger*innen laut einer Studie der Körber-Stiftung mehr Mitbestimmung auf Bundesebene, andererseits hat ein Großteil (54 Prozent) weniger großes oder geringes Vertrauen in die Demokratie. Man könnte aus dieser Umfrage – 71 Prozent glauben, dass „führende Leute in Politik und Medien in ihrer eigenen Welt leben“ – auch ableiten, dass die Erzählung von der Elite verfängt, dass die AfD also erfolgreich mit ihrem Narrativ ist.
Rietzschel ist natürlich klar, dass die Gauland-Weidel-Partei im Kern undemokratisch ist – sie sei ein „aktiver Untergraber unserer demokratischen Ordnung“. So spricht er sich auch für ein Verbot der Partei aus. Ein Demokratieproblem sieht auch Schriftstellerin Anne Rabe, ebenfalls SPD-Mitglied, beim Gespräch am Abend. An dem Gedanken, für viele sei Politik heute einfach eine Serviceleistung, sei etwas dran. Das bürgerliche Engagement nehme allerorten ab – da müsse man ansetzen.
Wie sehr es im Osten brodele, habe die Debatte um und der Erfolg von Dirk Oschmanns Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ gezeigt. Allerdings dürfe man den Osten nicht als homogene Masse verstehen, so Rabe, das sei schon bei der Mystifizierung der friedlichen Revolution falsch gewesen und setze sich bis heute fort.
Ein Ostphänomen will – spätestens nach den Erfolgen in Hessen und in Bayern – aber auch keiner der Diskutant*innen mehr aus der Partei machen. Bahners erinnert daran, dass sie 2013 im Speckgürtel Frankfurts, in Oberursel, gegründet wurde, er stellt zudem die Erzählung von der Radikalisierung der Partei infrage: „Ist es eigentlich wirklich so, dass sich die Partei so weit wegbewegt hat von ihren Anfängen? War die Radikalität nicht schon bei der Gründung angelegt?“
Es ist gut, dass sich die Diskussionen über die AfD dem Phänomen fragend und unideologisch nähern, nur so kann man Schlüsse über den Erfolg der Partei ziehen. Die Journalistin und Autorin Melanie Mühl weist darauf hin, dass viele Menschen den klassischen Medien während der Coronapandemie den Rücken zugekehrt hätten und sich seither nur aus fragwürdigen Quellen informierten – auch das sei ein Faktor.
Dass die AfD Social Media, nun auch Tiktok, beherrscht, dass es ihr gelingt, die Empörungsklaviatur auf allen Seiten zu bedienen, kann man erst mal nur feststellen. Diese Mechanismen sind vielen sozialen Medien immanent. „Die AfD will den Diskurs zerstören“, sagt Anne Rabe – mit den sozialen Medien haben sie Plattformen, die wie dafür gemacht scheinen.
Nachdenklich machen entsprechend die Sätze von Patrick Bahners, der sagt, das Habermas’sche Prinzip des Diskurses, nach dem man dem Gegenüber unterstellt, am (besseren) Argument interessiert zu sein, sei im politischen Streit unserer Zeit gewissermaßen aufgekündigt.
Es ist, so viel nimmt man mit, zu kurz gedacht, wenn man nur von einem kleinen konjunkturellen Hoch der AfD in der Mitte der Legislatur spricht. Wir müssen über politische Partizipation, über die Krise der medialen Vermittlung, über neue Politikmodelle nachdenken.
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