AfD stimmt mit Thüringer CDU: Union gibt sich geschlossen
Die Erfurter CDU erhält vom Parteivorstand Verständnis nach ihrer Abstimmung mit der AfD. Die Union beteuert, keine Vorabsprachen getroffen zu haben.
Um diesen Standpunkt darzulegen, scheute Linnemann nicht vor einem geistigen Spagat zurück. Die Beschlusslage in der Union sei klar, es gebe einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD. „In dieser Partei sind Nazis, damit will ich nichts zu tun haben.“ Dennoch habe der Thüringer CDU-Spitzenkandidat und Fraktionsvorsitzende, Mario Voigt, Rückendeckung aus der Parteispitze für sein Vorgehen erhalten. „Mario Voigt hat sein Vorgehen dem Bundesvorstand erklärt und auch Zustimmung bekommen“, sagte Linnemann.
Am Donnerstagabend hatte die CDU im thüringischen Landesparlament mit Stimmen der FDP und AfD einen Gesetzesantrag beschlossen, mit dem die Grunderwerbsteuer im Land gesenkt werden soll. Die Regierungsfraktionen von Linken, Grünen und SPD stimmten dagegen, sie haben jedoch keine eigene Mehrheit im Erfurter Landtag.
CDU-Parteichef Friedrich Merz hatte daraufhin die thüringische Landtagsfraktion gegen Kritik in Schutz genommen. Er verteidigte die Gesetzesinitiative mit ähnlichen Worten wie Linnemann am Montag: Die CDU richte sich nicht danach, wer ihnen zustimme, die Partei richte sich danach, was sie in der Sache für richtig halte, hatte der Parteivorsitzende erklärt.
Inhaltliche Kritik an der Senkung der Grunderwerbssteuer war dabei unlängst auch vom Thüringer Rechnungshof gekommen. „Die Folgen aus der Absenkung des Steuersatzes wären für den Landeshaushalt durchaus beträchtlich“, schrieb die Behörde in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf bereits im Juni dieses Jahres.
Bei der geplanten Senkung auf 5 Prozent der Grunderwerbssteuer geht der Rechnungshof von einer Lücke von 128 Millionen Euro im Landeshaushalt aus, ein Einbruch um 45 Prozent im Vergleich zu 2022 bei der Grunderwerbssteuer. In seiner Stellungnahme rätselt der Landesrechnungshof, woher das fehlende Geld kommen solle.
Friedrich Merz stellt Daniel Günther bloß
Aus der Opposition ebbten die Vorwürfe gegenüber der Union auch am Montag nicht ab. SPD-Chef Lars Klingbeil sagte, die CDU habe begonnen, eine rechtsextreme Partei zu normalisieren und ihr Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen. Klingbeil sprach von einer „tektonischen Verschiebung“ in der Parteienlandschaft und äußerte die Hoffnung, dass die CDU nicht erneut auf Stimmen der AfD für ein Gesetzesvorhaben setzt.
Karen Prien, stellvertretende Vorsitzende der CDU, wollte diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen. Sie sagte, oft werde es als alleinige Verantwortung der Union gesehen, den Stimmanteil der AfD klein zu halten. Sie forderte die SPD und Klingbeil dazu auf, selber mehr Verantwortung im Umgang mit der AfD zu übernehmen. Selbstkritische Töne zu dem Abstimmungsverhalten ihrer Parteikolleg*innen in Thüringen waren dabei auch von Prien nicht zu hören, obwohl die Bildungsministerin aus Schleswig-Holstein zuletzt immer wieder gesellschaftspolitisch liberalere Positionen innerhalb der Partei vertreten hatte.
Damit bleibt der Vorsitzende ihres Landesverbands und Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, der einzige prominente Kritiker des Vorgehens in Thüringen. „Die zunehmende Radikalisierung der AfD erfordert eine noch konsequentere Haltung gerade einer konservativen Partei“, hatte Günther am Wochenende gesagt und wurde prompt vom Parteichef bloßgestellt. Günthers Äußerungen seien eine „Einzelmeinung in der CDU“, entgegnete Merz in einem Interview bei ProSieben und Sat1 am Sonntagabend. „Es gibt niemanden sonst, der das teilt.“
Die interessante Frage ist nun, ob die Thüringer CDU ihren Gesetzesantrag mit der AfD-Fraktion im Landtag vorab besprochen hatte. Generalsekretär Linnemann beteuerte am Montag in Berlin: „Mir wurde klar und deutlich gesagt, dass es keine Absprachen gab.“ Deshalb stelle sich die Frage nicht, was die Konsequenzen wären, wenn etwa herauskäme, dass es gezielte Absprachen zur durchgesetzten Steuersenkung zwischen der AfD und der CDU gegeben hätte. Karen Prien kritisierte, dass die AfD dieses Gerücht bewusst streuen würde und kein glaubhafter Kronzeuge sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken