AfD nach den Landtagswahlen im Osten: Höckes Wahlparty zu Gigi D’Agostino
Die AfD feiert ihre Wahlerfolge mit rassistischen Parolen und „L’amour toujours“. Und will jetzt Fördermittel für demokratische Vereine streichen.

Der Song ist in den letzten Monaten zu so etwas wie dem Soundtrack der Selbstverharmlosung des Rechtsextremismus geworden, nachdem vielfach Videos bekannt worden sind, bei denen besoffene Jugendliche, handelsübliche Neonazis, aber auch Sylter Bonzenkids oder Sicherheitsleute in Flüchtlingsunterkünften auf die Melodie den althergebrachten Nazi-Slogan „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ singt.
Höcke findet das witzig, wie ein Video belegt, dass vom extrem rechten Magazin Compact ins Netz gestellt wurde. Er grinst, als die Melodie von rechtsextremen Aktivisten um ihn herum gesungen wird – kurz bevor das Wahlergebnis eingeblendet wird und das Lokal Hopfenberg in der Nähe des Thüringer Landtags im Jubel versinkt. Später, als Höcke bei der Party über die aus dem Landtag geflogenen Grünen spricht, grölen die Gäste der Wahlparty: „Ab-schie-ben!“
Bei der Wahlkampf-Abschlussdemo der AfD tags zuvor gab es mehrfach Hitlergrüße, wegen derer die Polizei ermittelt. Und so erscheint es eher nach einem „deutschen Gruß“ als nach Zugeständnissen für ernstgemeinte Koalitionsverhandlungen, wenn Höcke vor dem Mikro des Politsenders Phoenix mit Blick auf von allen anderen Parteien ausgeschlossene Zusammenarbeit mit der extrem rechten Partei sagt: „Meine Hand ist ausgestreckt.“
Sperrminorität in Thüringen
Die AfD ist in die Landtage von Thüringen und Sachsen an diesem 1. September 2024 so stark wie nie zuvor eingezogen. Die New York Times verschickte das Ergebnis der Thüringer Landtagswahlen als besorgte Eilmeldung, dass die extreme Rechte in Deutschland erstmals seit der Nazi-Ära wieder eine Landtagswahl gewonnen habe.
Es ist eine politische Zäsur: In Thüringen ist die AfD mit 32,8 Prozent stärkste Kraft und liegt mit zwei Sitzen über der Sperrminorität, kann also wichtige Entscheidungen mit einem Drittel der Mandate blockieren und Einfluss erpressen. Das gilt unter anderem für Verfassungsänderungen, Ernennungen von Richter*innen sowie die Besetzung des für die Überwachung des Verfassungsschutzes zuständigen parlamentarischen Kontrollgremiums. Ebenso steht der AfD als stärkste Kraft das erste Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten zu.
Der Sozialwissenschaftler David Begrich findet es mit Blick auf die Normalisierung von Rechtsextremismus erschreckend, wie schnell viele Politiker*innen angesichts dieses tiefen Einschnitts zum politischen Alltag übergegangen sind – wenn etwa der CDU-Spitzenkandidat Michael Kretschmer plötzlich behaupte, dass die AfD eine normale Oppositionspartei sei – „gerade am Tag nach der Wahl muss man sagen: Nein, das ist sie nicht.“ Er habe das Gefühl, viele im politischen Berlin hätten den Schuss nicht gehört, „vielfach findet bereits wieder die übliche Vorwärtsverteidigung der eigenen Partei statt“, so Begrich.
Ein Übergang zur Tagesordnung sei unangebracht: „Ostdeutschland ist für die extreme Rechte seit der Wiedervereinigung Testgelände Nummer eins. Alles, was die AfD im Osten abspielt, wird mit gewisser Zeitverzögerung auch in den AfD-Hochburgen im Westen ins Werk gesetzt.“ Es handele sich um einen Bruch in der politischen Kultur: „Die gegenwärtige Entwicklung im Osten hat das Potenzial, dieser Republik mindestens ein Bein wegzuhauen“, befürchtet Begrich. Umso wichtiger sei nun, jene Initiativen und Projekte zu unterstützen, die sich vor Ort noch für demokratische Kultur einsetzten.
Wie zur Bestätigung sagte Thüringens AfD-Co-Chef Stefan Möller am Montag in Berlin, dass er die neu gewonnene Macht dafür einsetzen wolle, Fördermittel für demokratische Vereine zusammenzustreichen.
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