AfD im Blick des Verfassungsschutzes: Unter Beobachtung
Es ist eine Zäsur: Der Verfassungsschutz erklärt die AfD zum Prüffall, die Parteijugend und den „Flügel“ zu Extremisten.
Haldenwang, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, steht am Dienstagnachmittag in Berlin vor Journalisten. Erst wenige Stunden zuvor hatte er zur Pressekonferenz geladen. Sein Ton ist nüchtern, aber seine Worte haben es in sich. Denn Haldenwang erklärt die AfD ab sofort zum Prüffall für seinen Geheimdienst: Es gebe „erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik“ der Partei. Funktionäre würden sich „völkisch-nationalistisch“ äußern, auch muslimfeindlich und unter Verletzung der Garantie der Menschenwürde. Noch sei eine Schwelle zur vollen Beobachtung nicht überschritten. Zu prüfen sei nun, ob diese Äußerungen repräsentativ für die Gesamtpartei seien.
Die AfD-Jugend Junge Alternative (JA) und das weit rechte Sammelbecken Der Flügel werden indes schon heute weitergehend behandelt: als Verdachtsfall. Hier gebe es bereits „gewichtige Anhaltspunkte“ für extremistische Bestrebungen, erklärt Haldenwang. Die Gruppen können nun mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden.
Für die AfD ist der Schritt eine Zäsur: Ab sofort steht die Partei nun auch unter offiziellem, staatlichem Rechtsextremismusverdacht – und rückt näher an Neonazi-Parteien wie der NPD heran. Das Schmuddelimage wird größer.
„Verfaulte Demokratie“
Seit Wochen hatte eine Arbeitsgruppe im Bundesamt für Verfassungsschutz Material aus den Landesämtern über die AfD ausgewertet. 1.069 Seiten Papier, alles aus öffentlichen Quellen: Parteiprogramme, 182 Reden, Postings in sozialen Medien. Die Facebookprofile von 80 Funktionären wurden geprüft, darunter alle Landesvorstände.
Zuvor hatten mehrere Politiker die Beobachtung der Rechtsaußenpartei gefordert. Immer weiter war diese nach rechts gerückt, immer wieder fiel sie mit Äußerungen von einer „verfaulten Demokratie“ auf, von „Quotennegern“, türkischen „Kameltreibern“ oder „messernden“ Flüchtlingen. In Chemnitz stand die AfD im Sommer schließlich zusammen mit Pegida und Neonazis auf der Straße – für viele Verfassungsschützer ein Wendepunkt.
Im Gutachten der Prüfgruppe im Verfassungsschutz heißt es nun, einige AfD-Funktionäre verträten „klar fremdenfeindliche Positionen“, sie träten für eine „demütigende Ungleichbehandlung“ von Nichtdeutschen ein. Geflüchtete würden pauschal als „Aggressoren“ oder „Invasoren“ bezeichnet. Gewarnt würde vor einer „Zersetzung“ der deutschen Gesellschaft. Als dies sei nicht im Einklang mit der Verfassung.
Andererseits seien diese Äußerungen noch „nicht hinreichend verdichtet“, erklärt Haldenwang. Zu heterogen sei die 30.000 Mitglieder zählende Partei. Auch enthielten die Parteiprogramme bisher keine verfassungsfeindlichen Positionen. Die AfD werde deshalb weiter nur mit öffentlich zugänglichen Mitteln beobachtet, so Haldenwang. Erst wenn sich der Verdacht erhärtet, würde sie zum Verdachtsfall.
Diesen Status hat nun bereits die AfD-Jugend inne, genau wie der Flügel um den Thüringer Rechtsaußen Björn Höcke, dem immerhin ein Drittel der AfD-Mitglieder zugerechnet werden. Für die Verfassungsschützer war hier der Fall klar. Im Gutachten wird der Deutschlandplan der JA zitiert: von „Messer-Migration“ ist dort die Rede, von einer „Dreckskultur“ der Geflüchteten. Diese würden Deutschland „überschwemmen“ und zum „Freiluftbordell“ machen. Der Verband habe eine „klare migrations- und muslimfeindliche Haltung“, so der Verfassungsschutz. Auch der „Flügel“ bekommt ein harsches Urteil. Dieser werte Migranten pauschal ab, Kriminalität von Zuwanderern werde „krass überzeichnet“.
Und „wie ein roter Faden“ ziehe sich die Relativierung des historischen Nationalsozialismus durch Aussagen. Höcke habe hier „eine überragende Rolle“ inne. Auch Andreas Kalbitz, Spitzenkandidat der Brandenburger AfD, sei prägend.
Sowohl Mitglieder des „Flügels“ als auch der JA darf der Verfassungsschutz nun in Personenregistern abspeichern, auch ihre Kommunikation überwachen oder V-Leute einsetzen. Letzteres aber, so heißt es im Verfassungsschutz, seien schwere Eingriffe, die bei der AfD vorerst nur „theoretischer Natur“ seien. Haldenwang kündigt aber an, die Abteilung für Rechtsextremismus im Bundesamt um 50 Prozent aufzustocken.
AfD sieht „Vorverurteilung“
Die AfD kritisiert am Nachmittag das Vorgehen scharf. Von einer „Vorverurteilung“ vor den Landtagswahlen im Herbst spricht Fraktionschefin Alice Weidel. „Die Bürger sollen verschreckt werden.“ Der Verfassungsschutz werde „zur Bekämpfung eines unliebsamen politischen Mitbewerbers missbraucht“.
AfD-Parteichef Alexander Gauland kündigt derweil an, mit dem Flügel und der JA unverändert weiterzuarbeiten. Höcke und Kalbitz hätten die volle Unterstützung der Partei. Co-Chef Jörg Meuthen beteuert, die AfD sei eine Rechtsstaatspartei und stehe uneingeschränkt hinter der Verfassung. „Mögen sie also prüfen“, so Meuthen. „Am Ende wird nichts dabei herauskommen.“
Tatsächlich birgt der Schritt des Verfassungsschutzes Gefahren für die Partei. Bürgerliche Wähler könnten nun doch abgeschreckt werden. Und Beamte in der Partei – Polizisten, Soldaten, Beschäftigte im öffentlichen Dienst – könnten Probleme bekommen, weil ihnen eine Pflicht zur Verfassungstreue abverlangt wird.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärt, er stehe hinter der Entscheidung des Verfassungsschutzes. Diese habe zwar auch politische Bedeutung. Es sei letztlich aber eine fachliche Entscheidung des Bundesamtes. Im Verfassungsschutz hieß es, man habe „keinen politischen Druck empfunden“. Tatsächlich traf das Bundesamt die Entscheidung vorerst allein.
Theoretisch könnten die Landesämter die Sache noch ganz anders sehen. In den kommenden Tagen werde man sich zusammensetzen, kündigt Haldenwang an. Sachsens Verfassungsschutz erklärte am Dienstag aber bereits, mit der AfD nun genau so zu verfahren wie das Bundesamt. Und Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer sagte, er sehe sich in seiner Bewertung der AfD bestätigt.
Kramer hatte zuvor schon Fakten geschaffen: Er erklärte schon im September die Thüringer AfD zum Prüffall. Und Bremen, Niedersachsen und Baden-Württemberg nahmen bereits zuletzt schon die JA unter Beobachtung.
Die AfD kündigt noch am Nachmittag an, gegen die Beobachtung des Bundesamts klagen zu wollen. Die Argumente des Verfassungsschutzes seien nicht tragfähig, so Parteichef Gauland. „Außerordentlich gelassen“ sehe man möglichen Klagen entgegen, hieß es im Verfassungsschutz. Haldenwang sagt es so: Es sei die Pflicht seines Verfassungsschutzes tätig zuwerden, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die verfassungsfeindliche Ausrichtung einer Partei bestehen“. Das tue man nun.
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