AfD-Treffen in Bottrop: Theater ohne Inhalt
Die nordrhein-westfälische AfD trifft sich zum informellen Parteitag, um zu streiten. Das funktioniert tatsächlich ganz hervorragend.
BOTTROP taz | Wenn „Informationsveranstaltung” draufsteht und eine Schlammschlacht drin ist, trifft sich die nordrhein-westfälische AfD. Nachdem der Landesparteitag wegen nicht eingehaltener Einladungsfristen abgesagt wurde, hatte die Partei trotzdem ein Forum bieten wollen für die Fragen der Mitglieder, vor allem auch rund um den Landesvorsitzenden Marcus Pretzell, der in den vergangenen Wochen massiv in der Kritik stand.
Dass diese Partei in Zukunft fähig sein wird, programmatische Fragen zu beantworten, erscheint nach dem Treffen im Bottroper Saalbau höchst unwahrscheinlich. Als eingangs darüber beraten wird, wer die Veranstaltung neutral moderieren kann, erinnert das Ganze an eine Klassensprecherwahl in der Unterstufe. Auch das zeigt: Die NRW-AfD ist tief gespalten. Die Flügelkämpfe zwischen den Wirtschaftsliberalen um Parteichef Bernd Lucke und den deutschnationalen Konservativen, zu denen etwa Frauke Petry und Konrad Adam gezählt werden, werden auch im größten Landesverband der AfD ausgetragen.
Anlass des Treffens am Samstagmorgen war die sogenannte Parteikontenaffäre des Vorsitzenden. Es sei unstrittig, dass Marcus Pretzell über ein halbes Jahr hinweg einer einfachen Aufforderung des Finanzamtes nicht nachgekommen ist, sagt Hermann Behrendt, stellvertretender Sprecher, Mitglied im Vorstand und Gegner Pretzells. „Es war ihm peinlich zuzugeben, dass er Steuerschulden hat.”
Dadurch sei es zu Zwangsgeldandrohungen gegenüber dem Landesverband gekommen. „Das kann nicht toleriert werden. Eine unbelastete Arbeit mit Pretzell ist nicht mehr möglich, doch der klebt an seinem Stuhl bis zur Peinlichkeit.” Immerhin lebe man ja hier nicht in einer „Bananenrepublik”, in der so etwas mal passieren könne. Behrendt, der selbst mehrfach hart angegangen wird, kündigt unter Jubelrufen seinen Rücktritt auf dem nächsten Landesparteitag an.
„Unwichtige Scheiße”
Pretzell kontert unterdessen, es habe lediglich eine Verfügungssperre des Landeskontos gegeben, niemals Vollstreckungen an eben diesem. Die Sperre habe sich auf 1.023,50 Euro und einen Zeitraum von 24 Stunden belaufen. Längst nicht bei allen besteht Interesse daran, den Sachverhalt endgültig zu klären. „An so einer unwichtigen Scheiße scheitert Deutschland” ist aus den vorderen Reihen zu hören. Gemeint ist nicht nur die Frage nach der vermeintlichen Steuerschuld Pretzells, sondern auch nach seinem Wohnsitz. Das Landesschiedsgericht der AfD prüft derzeit, ob Pretzell bei seiner Wahl im Juni 2014 einen Wohnsitz in NRW gehabt hat. Seinem Vize wirft Pretzell vor, mehrmals bei seiner Frau angerufen zu haben, um zu erfahren, wo er wohne. „Tiefer kann man nicht mehr sinken”, bescheinigt er Behrendt.
Die Pretzell-Unterstützer sind hörbar in der Mehrheit; einige Mitglieder, die kritische Fragen stellen, werden ausgebuht. Für seine Freunde, die während seiner Statements „Bravo” rufen, hat Pretzell zuweilen ein gütiges Lächeln übrig. Er ist ein selbstbewusster Mensch, der sagt: „In den letzten acht Wochen hat es schwierige Tage gegeben. Doch dieser heute ist keiner davon.” Er zeigt einfach seine Meldebestätigung rum, die ihm einen festen Wohnsitz in Bielefeld bescheinigt.
„Nicht mal mehr die Antifa steht draußen, so weit ist es mit uns gekommen”, schreit derweil jemand, andere kritisieren einen geplanten Mitgliederentscheid scharf. Da solle man sich ja dazu bekennen, den Islam ohne Islamismus zu kritisieren. „Ja, sollen wir denn so tun, als ob die alle unterzuckert sind, die das machen?” Gemeint sind wohl islamistische Angriffe wie etwa auf Charlie Hebdo.
Ein paar Formalien werden auch noch angesprochen: In Kürze müssen Delegierte zum Bundesparteitag im Juni in Kassel verabschiedet werden, doch das ist nur auf einem Landesparteitag möglich. Da appelliert sogar das AfD-Aushängeschild und die Pretzell-Vertraute Frauke Petry an den Landesverband: „Wer gegen einen Landesparteitag Anfang Mai ist, will der Partei bewusst schaden.” Was dieser Partei jedoch vor allem schadet, ist, dass personelle und interne Querelen die inhaltlichen Schwächen unbarmherzig enttarnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin