Ärztefunktionär gegen Fakultätsgründung: „Uni-Klinikum erfordert mehr Platz“
Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Bremens Jörg Hermann hält Bremens Medizinstudiengangsträume nicht für realistisch.
taz: Herr Hermann, Bremen diskutiert seit über einem Jahr, ob hier ein Medizinstudiengang eingerichtet werden sollte. Ist das eine gute Idee?
Jörg Hermann: Darüber zu diskutieren, ist erst einmal eine gute Idee, weil dahinter der Gedanke steckt, im Wettbewerb der Bundesländer bei einem gefühlten Ärztemangel am Ende mehr Ärztinnen und Ärzte für Bremen zu haben. Da hat Bremen bislang noch keine anderen Wege beschritten. Und jede Idee, die man da entwickelt, könnte ja eine gute Idee sein.
Und ist ein Medizinstudiengang die richtige Antwort?
Beim zweiten Nachdenken würde ich sagen: Vielleicht ist es besser, sich zuerst einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Ideen es bisher gibt. Und ob darunter welche einfacher zu verfolgen und preiswerter sind.
An was denken Sie?
In anderen Ländern finden die Wissenschaftsministerien zum Beispiel Stipendiaten – also Leute, die während des Studiums Geldleistungen erhalten, und sich im Gegenzug verpflichten, danach für eine gewisse Zeit in einer bestimmten Region zu praktizieren. Die Idee ist nicht neu, sie ist leicht umzusetzen und es gibt gute Erfahrungen mit diesem Modell. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten: An der Waterkant habe ich einen Bürgermeister kennengelernt, der hat einfach eine Praxis eingerichtet. So wie manche Leute ein schönes Nest auf ihr Hausdach bauen und hoffen, dass ein Storch einzieht.
Und, ist einer eingezogen?
In der Gemeinde hat sich ein Hausarzt niedergelassen. Wenn ich das ordentlich propagiere, klappt das auch. Anderes lässt sich nicht so schnell ändern. Unsere Pisa-Ergebnisse sind sicher nicht dazu geeignet, Ärzte ins Land zu locken, die ja auch vielleicht Kinder haben wollen.
Wenn vor allem über eine mögliche medizinische Fakultät gestritten wird, drohen solche Lösungsansätze fürs Versorgungsproblem vernachlässigt zu werden …
63, ist seit 2011 Vorstandsvorsitzender des Bremer Landesverbands der Kassenärztlichen Vereinigung. Von 1992 bis 2014 praktizierte der Facharzt für Dermatologie, Venerologie, Allerogologie, Umwelt- und Sportmedizin, der in Hamburg studiert hat, in einer Gemeinschaftspraxis in Bremen Gröpelingen. Zuvor war er Leiter des Delmenhorster Luftwaffensanitätszentrums. Promoviert wurde er 1983 mit einer Dissertation zur Therapie alkoholbedingter chronischer Netzhautschäden, an der Universität Hamburg, wo er auch studiert hatte. Die aktuelle Debatte um eine medizinische Fakultät in Bremen speist sich teilweise aus einer ironischen Stellungnahme Hermanns, dringend für einen Studiengang Medizin zu sorgen, die als ernsthafte Forderung fehlgedeutet wurde (taz berichtete).
Das ist richtig. Es ist eine alte Weisheit, dass ich jede Mark nur einmal ausgeben kann – und die gilt auch noch in Euro: Wenn ich für eine medizinische Fakultät 100 Millionen Startkapital habe, und dann jedes Jahr 30 Millionen in den Betrieb stecken muss, ist das eine Investition, die keine Einnahmen generiert, sondern nur, bestenfalls, für zufriedene Studenten sorgt, die in der Stadt bleiben. Wenn ich das gleiche Geld nehme, um etwas anderes zu tun, damit sich Leute wohlfühlen, die hier als Arzt arbeiten wollen oder als Ärztin, kann ich möglicherweise mehr „bang for the buck“ bekommen.
Allerdings scheint der Wille zur Medizin-Fakultät groß. Für wie realistisch halten Sie deren Gründung in Bremen?
Ich halte das für sehr unrealistisch – und zwar sowohl die Regierungsvariante, nur den klinischen Teil einzurichten, als auch die Variante der Opposition, die ein Vollstudium an der Uni verankern will.
Warum?
Ein Haushaltsnotlageland, das nicht in der Lage ist, seine Schulen wasserdicht zu halten, kann nicht mal so eben eine neue Fakultät starten. Ich will jetzt mal gar nicht von Straßen, Brücken und Kindergärten reden, bleiben wir doch einfach beim Gesundheitswesen: Allein die Krankenhausfinanzierung ist ja ein Beispiel, wo Bremen aus Geldmangel seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.
Welchen Verpflichtungen konkret?
Die klare Trennung, nach der Investitionen in Krankenhäuser aus Steuermitteln, die Betriebskosten dagegen von den Krankenkassen zu zahlen sind, ist hier ja weitgehend verlassen. Ein viel zu großer Teil der Investitionen wird bereits jetzt aus Versichertenbeiträgen bezahlt. Eine medizinische Fakultät aus Versichertenbeiträgen bezahlen – das wird nicht gehen. Eine solche Einrichtung würde sehr hohe Investitionen an Steuermitteln erfordern, wenn man den Plan ernsthaft verfolgen würde, woran zu zweifeln ist.
Was meinen Sie?
Ich halte es selbst unter den gegebenen Umständen für absolut fahrlässig, das Hulsberg-Viertel bis an die Eingangskante des Krankenhauses zu verkaufen. Wenn man aber Universitätsmedizin auch nur einen Moment lang denken will, müsste man erhebliche Reserveflächen vorhalten. Denn die Vorstellung der Senatorin, dass man das Klinikum Mitte quasi von einem Tag auf den nächsten als Uni-Klinikum laufen lassen könnte, ist ein Irrtum. Da gehört schon mehr dazu.
Warum?
In einem Uni-Klinikum sind viel mehr Menschen unterwegs als in einem Versorgungskrankenhaus: Es ist ein Unterschied, ob fünf Ärzte um ein Krankenbett herumstehen und Visite machen – oder ob da noch zehn Studierende dabei sind, die betreut und ausgebildet werden müssen. Die brauchen ja auch Räume, in denen sie die Krankenakten bearbeiten, die brauchen Hörsäle und eine Bibliothek. Ein Uni-Klinikum erfordert mehr Personal, mehr Platz – und auch mehr Geld.
Dann ist es ja ein Glück, dass man wenigstens das Modell Vollstudium aus dem Rennen genommen hat und nur die Regierungsvariante prüft?
Ehrlich gesagt finde ich das erschütternd: Wenn ich einen Prüfauftrag vergebe, möchte ich doch nicht, dass von vornherein das Ergebnis feststeht, weil nur die eine Variante überhaupt geprüft wird.
Aber die Kosten für einen Vollstudiengang lägen doch deutlich höher?!
Selbstverständlich sind die höher. Aber auch der erwünschte Klebeeffekt nimmt ja zu, je länger der Aufenthalt in der Stadt dauert. Wenn ich das gegeneinander abwägen will, muss ich doch wissen, wie viel ein vorklinischer Studiengang kosten würde, und ob beispielsweise der Studiengang Biologie, den es an der Bremer Uni gibt, auch den biologischen Teil eines Medizinstudiengangs abdecken kann. Das könnte ein Gutachten ermitteln. Wenn ich aber nur prüfen lasse, ob man hier einen klinischen Medizinstudiengang einrichten kann, und die andere Variante von vornherein unter den Tisch fällt, ist das undemokratisch. Und es ist auch ein Ausdruck mangelnder Ernsthaftigkeit.
Korrektur: Die Behauptung, Bremen komme aus Geldmangel seinen Verpflichtungen in der Krankenhausfinanzierung nicht nach, hält dem Faktencheck nicht stand. Im Ländervergleich des Bundesamts für Statistik hat das Land Bremen in der Krankenhausförderung im Jahr 2017 sowohl in der Auswertung pro Einwohner als auch pro Fall jeweils Platz eins eingenommen. Dokumentiert sind diese Werte unter anderem im Krankenhausinvestitionsplan 2018.
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