Änderung der Straßenverkehrsordnung: Klingelingeling!
Eigentlich ist Verkehrsminister Andreas Scheuer eher der Auto-Typ. Doch plötzlich profiliert er sich als „Radminister“. Was genau hat er vor?
Ausgerechnet der autofreundliche Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will sich neuerdings als Radminister profilieren. „Ich bin Verkehrsminister und damit auch Radminister“ – diese Aussage lässt der Bayer derzeit von seinen Presseleuten verbreiten.
Es ist ein PR-Gag. Aber nicht nur. Der Verkehrsminister will die Straßenverkehrsordnung (StVO) radfahrerfreundlicher gestalten. „Die Änderungsverordnung wird noch im Sommer in die Ressortabstimmung und in die Länder- und Verbändeanhörung gehen, sodass die Verordnung baldmöglichst in Kraft treten kann“, teilt das Verkehrsministerium mit. Um die für viel Ärger sorgenden neuen E-Scooter geht es dabei allerdings nicht.
Scheuer hat insgesamt zwölf Punkte angekündigt, in denen er die StVO ändern will. „Das ist ein großer Schritt für den Bundesverkehrsminister und die CSU, aber ein kleiner Schritt für den Radverkehr“, sagt der Bundestagsabgeordnete der Grünen und Radverkehrsexperte Stefan Gelbhaar. Ihm gehen die angekündigten Neuerungen nicht weit genug – auch wenn einzelne Punkte wie ein Bußgeld von bis zu 100 Euro fürs Halten auf dem Radstreifen zu begrüßen seien. „Scheuer holt nur nach, was zehn Jahre nicht passiert ist“, sagt er. Das gelte etwa für den Mindestabstand von innerorts 1,5 Metern, den Autos einhalten sollen. Den sehen Richter*innen in Urteilen schon lange als notwendig an. „Was Scheuer will, ist nur ein Update“, sagt er.
Problematisch ist nicht, was der Minister vorhat, sondern das, was er nicht vorhat, findet Gelbhaar. Da ist zum Beispiel der Abbiegeassistent für Lkws. Mit diesen Geräten werden Fahrer*innen gewarnt, wenn sich Passant*innen oder Radler*innen in ihrem toten Winkel befinden. Das Gerät kann Leben retten. Scheuer könnte mit einer Änderung der StVO Kommunen die Möglichkeit eröffnen, nur noch Lkws mit diesem Warnsystem in die Stadt zu lassen. Doch das hat der Minister offenbar nicht vor.
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Auch der Fahrradclub ADFC ist skeptisch. Zwar lobt er die große Bandbreite von Vorschlägen. Aber es fehle der große Wurf, der es Städten ermöglicht, den Platz zugunsten des Rads neu aufzuteilen, kritisiert ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork.
So müssen Kommunen den Bau von Radwegen damit begründen, dass eine Gefahr besteht. Außerdem fordert der ADFC die Einführung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts und Radwege an allen Straßen, auf denen mehr als 30 Stundenkilometer gefahren werden darf.
Hier eine Auflistung, was Verkehrsminister Scheuer genau vorhat:
1. Autos und Laster dürfen nicht mehr auf Radstreifen halten
Wer mit seinem Fahrzeug auf einem Radstreifen hält, soll künftig bis zu 100 Euro Bußgeld zahlen müssen. Bisher ist nur parken verboten, bis zu drei Minuten halten ist erlaubt. Der Fahrradverband Changing Cities findet die Neuregelung gut, fragt sich aber, wie Verstöße geahndet werden sollen. „Die Polizei zu rufen nutzt in so einer Situation meistens nichts“, sagt Ragnhild Sørensen vom Fahrradlobbyverein Changing Cities. Auch der ADAC begrüßt das generelle Halteverbot, ist aber gegen das hohe Bußgeld. „Sanktionen müssen mit dem konkreten Gefährdungsszenario zusammenpassen“, sagt eine Sprecherin. Der Bundesverband für Spedition und Logistik will sich nicht positionieren. „Das Problem sind die fehlenden Lieferzonen“, sagt Hauptgeschäftsführer Frank Huster.
2. Beim Überholen gilt ein Mindestabstand von 1,5 Metern
Innerorts sollen Radfahrende nur mit einem Abstand von mindestens 1,5 Metern von Pkws und Lkws überholt werden dürfen, außerorts mit 2 Meter Abstand. Bisher schreibt die Straßenverkehrsordnung (StVO) nur einen „ausreichenden Seitenabstand“ vor. Die Festlegung ist überfällig, sagt der Fahrradverband ADFC. Dass Radfahrende und Autos sich eine Fahrbahn teilen müssen, sei aber das eigentliche Problem, so Sprecherin Stephanie Krone: „Sicherer und komfortabler Radverkehr funktioniert dann gut, wenn er von Autostraßen physisch abgetrennt ist.“ Der ADAC sieht keine Änderung. Ein 1,5-Meter-Abstand sei innerorts ohnehin schon durch die Rechtsprechung festgelegt.
3. Lkws dürfen nur in Schrittgeschwindigkeit abbiegen
Beim Rechtsabbiegen in Städten soll für Laster eine Höchstgeschwindigkeit von 11 Stundenkilometern gelten. Für den ADFC ist das immer noch zu schnell, „echte Schrittgeschwindigkeit“ zwischen 4 und 7 Stundenkilometern sei angemessen. Frank Huster vom Bundesverband für Spedition und Logistik sieht nichts, was gegen die geplante Regelung spricht. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Lkws mit mehr als 11 Stundenkilometern innerorts überholen“, sagt er.
4. Grüner Rechtsabbiegepfeil für Radfahrende kommt
An Ampeln soll für Radfahrende ein eigener Grünpfeil eingeführt werden können, der ihnen das Rechtsabbiegen bei Rot erlaubt. Ein überfälliger Schritt, sagt der ADFC. Das freie Rechtsabbiegen sei in den Niederlanden und in Dänemark bereits erfolgreich erprobt. Dazu brauche man aber keine extra Schilder, sondern könne es grundsätzlich erlauben, fordert Changing Cities. ADAC-Sprecherin Katrin van Randenborgh findet das Modell Rechsabbiegerpfeil interessant. „Erst sollte aber getestet werden, ob es hilft und wo es einsetzbar ist“, gibt sie zu bedenken. Ein Modellversuch laufe bereits, man solle die Ergebnisse abwarten.
5. Einrichtung von Fahrradzonen
In Städten sollen bestimmte Gebiete als Fahrradzonen eingerichtet werden können. In diesen Bereichen werden alle Straßen in Fahrradstraßen umgewandelt. ADFC und Changing Cities begrüßen das. Zuvor müsse aber die Einrichtung von Fahrradstraßen erleichtert werden. Bisher können sie nur eingerichtet werden, wenn der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart ist. Katrin van Randenborgh vom ADAC sieht hier keinen Nutzen, Fahrradzonen würden zu Unübersichtlichkeit führen. „Zudem ist zu befürchten, dass Autofahrer eine solche Regelung nicht verstehen“, so van Randenborgh.
7. Keine Parkplätze mehr vor Kreuzungen
In einem Abstand von 5 Metern soll an Kreuzungen mit Fahrradwegen nicht mehr geparkt werden dürfen. Das soll die Sicht zwischen Straße und Fahrradweg verbessern. ADFC und Changing Cities fordern 10 Meter Abstand. Der ADAC findet die vorgesehene Änderung gut.
8. Parkflächen für Lastenräder
Ein spezielles Zeichen soll Parkflächen und Ladezonen für Lastenräder ausweisen. Ragnhild Sørensen von Changing Cities findet das gut. Allgemein sei aber viel zu wenig Platz für Lastenräder. „Selbst neu gebaute Radwege sind oft zu schmal, das ist nicht zukunftsfähig“, meint sie. Der ADAC ist für ausgewiesene Lastenradladezonen, möchte sich aber zu Lastenradparkplätzen nicht äußern.
9. Kennzeichnung von Radschnellwegen
Radschnellwege sollen ein eigenes Verkehrszeichen bekommen. Das sei überfällig, sagt der ADFC: „Radschnellwege müssen durchgängig gut ausgeschildert sein, damit sie als attraktive Schnellverbindung für Pendler funktionieren.“ Auch der ADAC befürwortet ein extra Verkehrszeichen.
10. Autos dürfen an Engstellen nicht mehr überholen
Dazu soll ein neues Verkehrszeichen eingeführt werden. ADAC und ADFC stimmen darin überein, dass ein Überholverbot dort gelten muss, wo der Sicherheitsabstand von 1,5 Meter beim Überholen nicht eingehalten werden kann. Dafür müssen aber die Autofahrer sensibilisiert werden, sagt Stephanie Krone vom ADFC. Sie würden Radfahrende oft als Störfaktor betrachten. „Wir brauchen einen Wandel in der Mentalität und ein Ja zu einem Verkehrssystem auf Augenhöhe“, sagt Krone.
11. Modellversuche sollen erleichtert werden
Kommunen sollen einfacher Modellversuche durchführen können. Bisher sind diese nur möglich, wenn eine Gefahrenlage vorliegt. Der Radverband Changing Cities sieht darin eine Chance, Innovationen voranzutreiben. Kommunen könnten so an mehr Stellen Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einführen. Auch der ADAC hält diesen Schritt für sinnvoll.
12. Mehr Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Radfahrende
Kommunen soll die entsprechende Öffnung erleichtert werden. Das reicht dem ADFC nicht. „Die Regel soll die Freigabe sein, und die Ausnahme muss begründet werden“, sagt Sprecherin Stephanie Krone. ADAC-Sprecherin Katrin van Randenborgh sieht das kritisch. Die Öffnung von Einbahnstraßen als Regelfall würde nur dazu führen, dass mehr Schilder die Einbahnstraßen markieren, die nicht offen sind.
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