Älteste Frauenbibliothek bedroht: Frauenbibliothek soll weg
Die bundesweit älteste Bibliothek für Frauenforschung an der Hamburger Uni soll in einer größeren Bibliothek aufgehen. Ihr droht die Unsichtbarkeit.
Nur diese Untadeligen durften im Schwesternhospital des 1877 fertig gestellten DRK-Krankenhauses in Hamburgs Grindelviertel am Schlump wohnen: zunächst über den Patienten- und Behandlungsräumen und ab 1907, nach dem Zukauf eines Gebäudes in der heutigen Monetastraße, im Schwesternhaus für 40 Frauen.
Man kann sie als früh Emanzipierte bezeichnen, war es doch im 19. Jahrhundert selten, dass allein stehende Frauen eigenes Geld verdienten. Dabei wurden sie dringend gebraucht: zur Behandlung der Menschen etwa in den Elendsvierteln, ab 1892 während der Hamburger Cholera-Epidemie und ab 1914 im Ersten Weltkrieg.
Heute beherbergen die Gebäude ein Bildungszentrum für Gesundheitsberufe, mehrere Wohnprojekte sowie, im einstigen Schwesternhospital, das Zentrum Gender & Diversity (ZGD) der Universität mit der „Zentralen Bibliothek Frauenforschung, Gender & Queer Studies“.
Langjähriger Ort der Frauen
Gegründet vor 40 Jahren an diesem langjährigen Ort der Frauen, ist die Konzentration von Forschungszentrum und Fachbibliothek am selben Ort deutschlandweit einzigartig. Die Bibliothek fungiert dabei als Ergänzung zur Feministischen Bibliothek des Frauenbildungszentrums „Denkträume“, die von Frauen verfasste Bücher präsentiert, und der Bibliothek des Landesfrauenrats mit Werken zur Frauenbewegung.
Initiiert wurde die Zentrale Bibliothek Frauenforschung im einstigen DRK-Schwesternhaus 1984 als Forschungsprojekt der Hamburger Universität, der damaligen Fachhochschule und der damaligen Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik, erzählt Dagmar Filter, die die Bibliothek gemeinsam mit Gisela Kamke aufbaute.
Das Ziel: die damals noch wenig verbreitete Frauenforschung an Hochschulen zu implementieren. „Auf die zunächst befristete Arbeitsbeschaffungsmaßnahme habe ich mich beworben und dann – mit wenig Geld und viel Engagement – angefangen“, sagt Gründerin Dagmar Filter, bis vor fünf Jahren Geschäftsführerin der Bibliothek.
Ihre Motivation war sehr persönlich: „Während meines Studiums an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste in den 1970er Jahren wurden Frauen von den Professoren immer als zweitklassig in die Ecke geschoben nach dem Motto: Frauen sind nicht genial, weil sie nicht bis ans Existenzielle gehen, weil sie nicht bis zum Umfallen saufen. Nach diesen Erfahrungen war ich hoch motiviert, eine Bibliothek zur Frauenforschung aufzubauen“, sagt sie.
Und so fingen die beiden an, Arbeiten von Studentinnen zu sammeln und weitere wissenschaftliche Werke zuzukaufen. Inzwischen sind es 21.437 Medien und die Stellen der Geschäftsführung, Bibliotheksleiterin und zweier studentischer Hilfskräfte verstetigt. Der Bestand umfasst längst auch Arbeiten zu Gender und Queer Studies.
Betritt man die vier kleinen, hellen Räume der Bibliothek mit Holzboden, Pflanzen und Arbeitstischen zwischen den thematisch sortierten Bücherregalen, fühlt man sich gleich aufgehoben in einer Oase der Forschung und Konzentration, kompetent beraten von den Mitarbeitenden.
Unterstützung von Forschung zu Gender & Diversity, die Vernetzung mit Gender/Diversity-AkteurInnen sowie Tagungen, Workshops und öffentliche Angebote zu aktuellen Themen der Gender- und Diversity-Studies.
Organisation der Zertifikate „Genderkompetenz“ und „Intersektionalität & Diversity“ für Studierende aller Hochschulen.
Beheimatung und Betreuung der Zentralen Bibliothek Frauenforschung, Gender & Queer Studies mit 21.437 Medien. Das Archiv bewahrt zudem genderspezifische Abschlussarbeiten an Hamburger Hochschulen (1980er Jahre bis 2012), Arbeiten zu Frauen/Gender und Rechtsextremismus ab 1945; außerdem das Archiv zu Bevölkerungspolitiken an weiblichen Körpern. Der Bestand ist in den Campus-Katalog der Universität integriert.
„Die Studierenden werden inzwischen mit sehr vielen rudimentären Texten versehen“, sagt Dagmar Filter. „In den letzten Jahren passierte es immer öfter, dass Studierende kamen und sagten: ‚Ich brauche für meine Hausarbeit nur noch einen bestimmten Aufsatz aus dem Buch.‘ Ich habe sie ermuntert, das ganze Buch zu holen und zu gucken, was drumrum steht, um den ganzen Diskurs zu erfassen. Es gehe um das Nachvollziehen von Debatten, das Denken in Zusammenhängen. Da führen Wissens-Splitter nicht weiter.“
Genau dies – die Zersplitterung – droht jetzt der bundesweit ältesten Universitäts-Frauenbibliothek. Es ist ein kleiner, feiner Wissensspeicher mit Dokumenten der Frauenforschung seit den Anfängen, gut genutzt und bei externen Evaluationen stets positiv bewertet.
Sie liegt neben dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte und dem Institut für Friedensforschung. Alle drei haben ähnlich spezialisierte Bibliotheken, deren Verbleib am zugehörigen Institut niemand infrage stellt.
Anfang September hat nun aber die Landeshochschulkonferenz unter Vorsitz des Hamburger Uni-Präsidenten Hauke Heekeren beschlossen, die Zentrale Bibliothek Frauenforschung in diejenige der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo) zu verlagern. Die Gründe sind laut dessen Pressestelle „die unzureichenden räumlichen Gegebenheiten für den Bestand und ein auslaufender Mietvertrag“.
Der allerdings wurde kürzlich über 2025 hinaus verlängert. Und was mit den „unzureichenden räumlichen Gegebenheiten“ gemeint ist, bleibt offen. Ein Wassereinbruch im Souterrain kürzlich bei Starkregen, der ein paar Meter Teppich nässte und einen Aktenordner des Archivs schädigte, kann es nicht sein. Und die Bibliothek selbst residiert trocken und sicher im ersten Stock.
„Darüber hinaus ist ein wichtiges Ziel, den Betrieb der Bibliothek zu modernisieren und dabei die Öffnungszeiten zu erweitern. Diese Maßnahmen sind aufgrund der aktuellen Ausgangslage nicht ohne Weiteres umsetzbar“, teilt die Universität weiter mit. In der Tat ist die Frauenbibliothek derzeit nur bis 16 Uhr geöffnet.
Kommission irritiert über Pläne
Daher hat die „Gemeinsame Kommission“ mit VertreterInnen der neun Hochschulen, die die wissenschaftliche Leitung des ZGD und der Bibliothek führen, bereits reagiert.
„Wir haben der Landeshochschulkonferenz mitgeteilt, dass wir die Kritikpunkte prüfen werden und überlegen, wie sich die Bibliothek modernisieren lässt – unter der Voraussetzung, dass sie räumlich am Zentrum Gender & Diversity (ZGD) verbleibt, was wir unerlässlich finden“, sagt deren stellvertretende Vorsitzende Miriam Richter, Professorin für Pflegewissenschaft an der HAW Hamburg.
Man sei über die Verlagerungsentscheidung für diese Bibliothek – mit ihrer Sammlung Herzstück des ZGD – sehr irritiert gewesen. In einer Arbeitsgruppe soll gemeinsam mit der Leiterin der Bibliothek und der im November zurückkehrenden Geschäftsführerin des ZGD nachgedacht werden. „
Für die Verlängerung der Öffnungszeiten zum Beispiel wird es reichen, die Stellen leicht aufzustocken, wie es auch im externen, im Auftrag der Landeshochschulkonferenz erstellten Gutachten gefordert wird“, sagt Richter. „Das ist kein Grund, die ganze Bibliothek zu verlagern.“
Zudem sei die Verortung der Bibliothek am Zentrum Gender & Diversity, wie sie auch in der Kooperationsvereinbarung festgehalten sei, mit ihrer kompetenten Beratung auch im externen Gutachten in ihrer Einzigartigkeit für die Bedeutung der Frauenforschung und Gender und Queer Studies hervorgehoben worden, sagt Richter.
Ungeklärte Platzfrage
Ungeklärt ist überdies die Frage, wie die 21.437 zusätzlichen Medien in der WiSo-Bibliothek Platz finden sollen. „Wir könnten den Bestand der Zentralen Bibliothek Frauenforschung nicht ohne Vorarbeiten in die Bibliothek WISO/BWL einsortieren, weil der Platz dafür zwar grundsätzlich zur Verfügung steht, aber nicht genau an den Stellen, an dem er benötigt würde“, sagt Michael Jürgen Eiden, Leiter der WiSo-Bibliothek.
Je nachdem, wie viele Ressourcen für die Vorarbeiten zur Verfügung stünden, gäbe es verschiedene Varianten der Aufstellung, die von der geschlossenen Aufstellung bis zur Integration in die vorhandene Aufstellungssystematik reichten. „Die geschlossene Aufstellung wäre allerdings die aufwändigste“, sagt Eiden.
Würde der Bestand zerrissen, ginge nicht nur die räumliche Verbindung mit dem Zentrum Gender & Diversity verloren, der zentralen Anlaufstelle für Studierende, die ein Gender- oder Diversity-Zertifikat anstreben. Auch würde die Frauenbibliothek als Gesamtkonvolut unsichtbar und schwer auffindbar. Zudem fiele die Beratung weg – wie überhaupt unklar ist, welche Aufgaben dem jetzigen Team der Frauenbibliothek dann zufielen.
Bizarres Signal in Zeiten der Gender-Debatte
Die Universität indes lässt mitteilen, die Entscheidung sei „in enger Abstimmung mit der Fakultätsleitung sowie der Leitung der Bibliothek getroffen“ worden. Gemeint sind die Leitung der WiSo-Fakultät sowie deren Bibliotheksleiter. Jana Reich, Leiterin der Frauenbibliothek, dagegen wurde nicht einbezogen.
Sie sagt, sie sei zwei Tage nach der Entscheidung per Mail darüber informiert worden und aus allen Wolken gefallen. Auch Michael Jürgen Eiden, Leiter der WiSo-Bibliothek, sagt, er habe im Nachhinein von der Entscheidung erfahren. Das finde er aber unkritisch, „weil die strategische Steuerung Aufgabe der Hochschulleitungen ist und die vorliegende Frage ist eine strategische“.
Eigenartig bleibt indes das Signal, das von dem Beschluss der Hamburger Universität ausgeht: die Aufgabe des eigenen Standorts in Zeiten der LGBTQ-Debatte, in der es ausdrücklich um sprachliche und räumliche Sichtbarkeit geht. Und das genau zum 40. Jubiläum der Bibliothek.
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