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Älter werden leichter gemachtWenn Vergessen Alltag wird

Bei einer Demenzerkrankung fühlt manch Angehöriger sich überfordert. In einem Hamburger Seniorenzentrum beraten Experten über den Umgang mit der Krankheit.

Buntes Gedeck und Kerzen mit LED statt Docht: In einem Hamburger Seniorenheim wird gezeigt, wie Kleinigkeiten das Leben mit Demenz erleichtern. Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Dieter Luhr rückt das Besteck zurecht, das vor ihm auf dem bunten Tisch mit einer Deko aus LED-Sicherheitskerzen liegt. „Es ist so schwer, nach 50 Jahren Ehe“, sagt er. „So schwer.“ Die Krankheit seiner Frau kam unerwartet, er wusste zunächst gar nicht, wie er damit umgehen sollte. „Sie war so vertraut, aber wurde doch so fremd.“ Der 71-jährige ist Pensionär und hat viel Zeit. Zeit, die er eigentlich für seine Hobbys aufwenden könnte, aber er kümmert sich lieber um seine Frau. Vor einer halben Stunde hat er sie zu der freundlichen Friseurin im Nebengebäude gebracht. „Sie soll ja weiterhin gut ausschauen, da achtet sie sehr drauf.“

Luhrs Frau ist an Demenz erkrankt, schon vor ein paar Jahren. Die Zeit, die Elli beim Friseur verbringt, nutzt er, um sich im Seniorenzentrum St. Markus in Hamburg-Hoheluft zu informieren. Er steht in der hinteren Ecke eines großen Veranstaltungsraumes, abgetrennt durch Pappwände, umgebaut zu einem halboffenen Zimmerchen. Von der Einrichtung her ist es kaum zu unterscheiden von einem echten Wohnzimmer – und doch ist es anders. „Durch Kleinigkeiten kann man schon viel Spannung herausnehmen, kann man das Leben in einer Umgebung, die immer fremder wird, erleichtern“, sagt Sylvia Ullrich, Leiterin des Wohnbereichs für an Demenz erkrankte Menschen im Seniorenheim St. Markus, die das mobile Musterapartment für Demenzkranke vorstellt.

Kleinigkeiten, das sind zum Beispiel die Teller und Schüsseln, die hübsch drapiert auf einem türkisfarbenen Platzdeckchen aus Gummi stehen. Bunt sind sie, wild zusammengemischt, so scheint es. „Das ist ganz wichtig für die Betroffenen“, sagt Ullrich. Die meisten Menschen könnten nicht mehr gut sehen und gepaart mit der Demenz würden weiße Teller schnell im Grau des Tisches verschwimmen. „Klare Formen und kontrastreiche Farben sind ideal, das erleichtert das Essen, schärft die Konzentration.“ Aus dem gleichen Grund ist auch der Rand des Waschbeckens, das neben dem Sessel an die Pappwand montiert wurde, deutlich mit rotem Gewebeband gekennzeichnet. So können die Betroffenen fühlen und auch sehen, wo sie sich waschen.

Klare Strukturen brauchen an Demenz Erkrankte, das weiß Dieter Luhr aus eigener Erfahrung. So oft schon ist er mit seiner Frau aneinandergeraten, wegen Lappalien. Einmal fehlte der rechte Schuh, ein andermal war die Zahnbürste nicht am richtigen Platz. Das habe sie verwirrt – die Schuld hat sie dann bei ihm gesucht. Auch er werde dann mal aggressiv, erzählt er. „Aber dann denkt man sich oft: Sie kann ja nichts dafür. Man muss sich immer wieder die Person und das Herz dahinter vor Augen führen.“

Einmal fehlte der rechte Schuh, ein andermal war die Zahnbürste nicht am richtigen Platz. Das habe seine Frau verwirrt – die Schuld hat sie dann bei ihm gesucht.

Das kann manchmal schwer fallen. Doch anstatt sich auf die Suche nach dem fehlenden Schuh zu machen und darüber zu fluchen, schlägt Wohnbereichsleiterin Ullrich vor, die Sache gemeinsam anzupacken. „Die Schuhe sind weg, das ist ja ein Ding! Aber wir finden sie gemeinsam, das wäre ja gelacht!“ – es so zu formulieren sei der richtige Ansatz, sagt sie. Zusammen gegen das Böse der Welt – das schafft Vertrauen und schweißt zusammen.

Vor allem das Selbstwertgefühl der Betroffenen darf dabei nicht leiden und sollte immer wieder gefördert werden. „Konfrontationen mit dem, was man nicht mehr kann, sollte man vermeiden“, bekräftigt Ullrich. Viel wichtiger sei es, der Person zu zeigen, was doch noch alles klappt, trotz voranschreitender Erkrankung. Doch auch gut gemeinte Hilfestellungen könnten dazu führen, dass der Betroffene die Lust verliert, selbst tätig zu werden. „In den Augen der Erkrankten wird dies oft als Bevormundung aufgefasst.“ Eine solche Kränkung führe schnell zur Resignation.

Die Hoffnung aufzugeben ist wohl das Schlimmste in einer Beziehung, die mehr und mehr vom Vergessen und Verwirrtsein gezeichnet ist. Demenz kann eine Partnerschaft schwer belasten, auch wenn man ständig versucht, den Anforderungen so gut wie möglich gerecht zu werden. Dieter Luhr musste sich vor Kurzem Schlaftabletten aus der Apotheke holen, weil er einfach nicht mehr zur Ruhe kam. „Ständig bin ich aufgewacht, immer wieder hat meine Frau gefragt, ob ich noch da sei.“ Manchmal habe er zwei Tage und Nächte lang kein Auge zugemacht, auch durch die Sorgen, die ihm ständig im Kopf herumgeisterten.

Dass die angemessene Versorgung von an Demenz erkrankten Personen im Verlauf der Krankheit zu einer immer größer werdenden Herausforderung wird, steht außer Frage. Zwei Drittel der inzwischen 1,5 Millionen Betroffenen werden laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft in der Familie versorgt, ein Drittel befindet sich in professionellen Pflegeeinrichtungen. Davon, dass man die Pflege von Demenzkranken zu Hause selbst durchführen kann, ist Sylvia Ullrich jedoch überzeugt.

Irgendwann allerdings kann auch das zur Überforderung führen. Ein Umzug ins betreute Wohnen ist dann unumgänglich. Wichtig sei dabei, dass alte Strukturen mit übersiedeln, erklärt Ullrich. Eine gewohnte Umgebung mit vertrauten Möbeln etwa, mit Bildern, die an gute alte Zeiten erinnern – all das kann dafür sorgen, dass der neue Bewohner sich im Heim schneller wohlfühlt. Wenn Leute bei ihnen ins Heim zögen, würden sie bei den Angehörigen nachfragen, sagt Ullrich: Wie deren Mutter ins Bad gegangen sei, oder zu welcher Seite sie sich drehen musste, um vom Bett aus an die Nachttischschublade zu gelangen. Beim Einzug würden alte Gewohnheiten bei der Positionierung von Bett und Möbeln berücksichtigt. „Das leistet Orientierung im Alltag.“

Um seine Lieben jedoch so lange wie möglich zu Hause versorgen zu können, sei es wichtig, sich frühzeitig Tipps zu holen. Ein Patentrezept für die Bewältigung des täglichen Lebens gibt es dabei nicht. Wohnung und Umstände müssen in jedem Fall auf die Bedürfnisse des Individuums zugeschnitten werden.

Das sporadisch aufgebaute Wanderzimmer im Seniorenzentrum kann so nur als Anregung für konstruktive Veränderungen in der Wohnung fungieren – für viele ist es jedoch ein erster Kontakt mit der Krankheit, die das weitere Leben bestimmen wird.

Oft fehlt die Courage, den einen Schritt vorwärts zu tun. Zuzugeben, dass man selbst oder ein Angehöriger an Demenz erkrankt ist, sei für viele schwierig, sagt Ullrich. Sie spricht von „Outing“: „Oft schämen sich die Leute und fragen sich, ob sie bald selbst verrückt werden.“ Dabei könne von „verrückt“ keine Rede sein. Wichtig sei hingegen, die eigene Scham zu überwinden.

Genau das soll die Vorführaktion im Seniorenheim erreichen: das Bewusstsein für die Problematik der Erkrankung zu schärfen und Hemmschwellen abzubauen – damit das Leben mit einer Krankheit, die immer mehr zum Volksleiden wird, so angenehm wie möglich gestaltet werden kann – für Betroffene und Angehörige.

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