Absurdes Staatsbürgerschafts-Recht: Franzose ist noch lange nicht Franzose

Immer wieder entziehen die französischen Behörden Bürgern die Anerkennung ihrer französischen Staatsbürgerschaft. Die Beweislast liegt bei den Betroffenen.

Frankreich wollte einem in Afghanistan stationierten Soldaten die Staatsbürgerschaft entziehen. Bild: dpa

PARIS taz | Ounoussou Guissé ist seit 2002 Soldat in einem französischen Fallschirmspringerregiment. Er war unter der Trikolore in Bosnien, Tschad und Afghanistan im Einsatz. Als Dank teilte ihm 2006 ein Schreiben des französischen Justizministeriums mit, dass ihm die französische Staatsangehörigkeit entzogen würde.

Guissé hielt dies für einen schlechten Scherz oder für ein Versehen. Doch die Behörden insistierten. Er habe seine französischen Papiere zu Unrecht erhalten, als er mit 17 Jahren aus Senegal kam. Nun war aber bereits sein Vater Franzose, und nach französischem Recht wird die Nationalität vererbt. Bei Senegals Unabhängigkeit 1960 wählte Guissés damals in Frankreich lebender Vater die französische Staatsbürgerschaft, wie dies die Verträge vorsahen.

Die heutigen Behörden wollten nun das Ende der Kolonialgeschichte umschreiben. Ihrer Interpretation zufolge bekam Vater Guissé die französische Nationalität zu Unrecht, da seine Familie nicht ebenfalls auf französischem Boden lebte! Folglich sei auch Ounoussou kein Franzose.

Nach der Entscheidung der französischen Regierung, einem Marokkaner die Einbürgerung zu verweigern, weil seine Frau die Burka trägt, verschärft sich der Streit über den Islam in Frankreich. Die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) von Olivier Besancenot wurde scharf kritisiert, weil sie die Kopftuchträgerin Ilham Moussaid zu den Regionalwahlen im März aufgestellt hat. Alle großen Parteien von rechts nach links erklärten, sie würden eine solche Kandidatur nicht zulassen. Besancenot sprach von "Islamophobie".

Dem sehr patriotisch eingestellten Ounoussou war nun nicht mehr zum Lachen zumute. Zwar entschied eine erste Gerichtsinstanz in Rouen zu seinen Gunsten, doch die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein. Ende 2009 bekam er schließlich recht - aber nur, weil "die Frist der Anfechtung der zuerteilten Nationalität verjährt" sei. Der heute 30-jährige Ounoussou verdankt das Happyend seiner absurden Streits mit der Justiz vor allem der Unterstützung von Verteidigungsminister Hervé Morin, dem die Sache sehr peinlich war. Morin bezeichnete die Prozedur als "kafkaesk" und der Republik unwürdig. Guissé darf nun zur Belohnung in Afghanistan weiterkämpfen.

Er ist kein Einzelfall. Seine Anwältin Cécile Madeline sagt, vor zehn Jahren habe sie nur sporadisch solche Streitfälle gekannt, heute aber seien es "Dutzende pro Jahr". Offenbar herrscht heute in Frankreich ein Klima der systematischen Verdächtigung an den Schaltern der Präfekturen, welche Reisepässe oder Identitätsausweise ausstellen. Vor allem Franzosen und Französinnen, die im Ausland - und besonders in den Maghrebstaaten - auf die Welt kamen und sich erst später in ihrer Heimat niederließen, haben jetzt bei Anträgen die unangenehme Überraschung, dass man ihnen in einem misstrauischen Ton sagt: "Beweisen Sie uns, dass Sie wirklich Franzose sind!" Dass die Betroffenen bereits einen französischen Pass und ihre Geburtsurkunde besitzen, dass sie Militärdienst geleistet oder als Beamte gearbeitet haben, ändert daran nichts.

So fiel die Marketingdirektorin Sophie G. aus allen Wolken, als sie vor einer Reise nach Kuba ihren Passes verlängern wollte und man von ihr verlangte, sie müsse, da sie in England geboren sei, ihren Anspruch auf die französische Staatszugehörigkeit erst mal belegen. "Ich verstand zunächst nicht, was man von mir wollte. Ich habe eine französische Identitätskarte, meine Eltern sind Franzosen, meine Kinder auch.

Und nun mit 37 Jahren soll ich Rechenschaft ablegen über meine Staatszugehörigkeit!" Unerbittlich erklärte man ihr, sie müsse vor Gericht die Geburtsurkunden ihrer Eltern und jene ihrer Großeltern beibringen. Plötzlich dachte sie daran, dass eine Großmutter aus Litauen und ein Großvater aus der Ukraine stammten. Inzwischen hat Sophie längst einen englischen Pass, auf die Anerkennung ihrer französischen Nationalität wartet sie noch immer.

Gerade für MitbürgerInnen mit familiären Wurzeln in ehemaligen französischen Kolonien hat diese Behandlung einen besonders demütigen Charakter. Arlette, Jüdin aus Algerien, war schockiert, dass ihre französische Staatsbürgerschaft auf diese Weise infrage gestellt wurde - fast wie zur Zeit des faschistischen Vichy-Regimes, das die Juden zu "Unfranzosen" erklärte.

Auch die von Frankreichs Regierung lancierte Debatte über die "nationale Identität" kommt damit in ein schiefes Licht. "Was heißt es heute, Franzose zu sein?", hatte der Initiator dieser landesweiten Nabelschau, Immigrationsminister Eric Besson, als Ausgangsfrage formuliert. Eine aktuelle Antwort könnte sein: "Beweisen zu müssen, dass man kein Ausländer ist …"

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