Abstand in der Pandemie: Die Corona-Prophylaxe
Mein türkischer Nachbar stinkt nach Billigparfüm. Ich bleibe dagegen bei meiner täglichen Knoblauchknollen-Ration.
W eil mein kommunistischer Sohn Mehmet schon wieder meinen Ford-Transit geklaut hat, muss ich bei diesem ekligen Nieselregen bis zur Bushaltestelle laufen. Dort sehe ich, dass ein armer Türke mit seiner Bild-Zeitung in der Hand, wie der einzige Überlebende nach einer Schiffskatastrophe auf einer einsamen Insel, völlig allein unter dem Regendach steht. Ungefähr zehn Deutsche stehen hochnäsig und arrogant mit dem Rücken zu ihm, werden lieber klitschnass und warten sehnsüchtig auf den rettenden Bus.
Hauptsache weg von hier, weg von diesem lästigen Türken, lese ich in deren Augen.
Das hat auch der Bild-Türke bereits verstanden und versteckt sich verschämt hinter seiner Zeitung. Und das alles nur, weil er schwarze Haare, zwei Goldzähne (die sieht man selbst hinter dem Mundschutz) und mehrere Goldkettchen hat.
Ich kann das nicht mehr mit ansehen! Ich hasse Diskriminierungen jeglicher Art. Erst recht hasse ich Diskriminierungen an der Bushaltestelle! Ich kann meinen Kopf doch nicht in den Sand stecken, oder in die Regenpfütze. Wie weit soll sich der arme Türke denn noch integrieren? Er liest doch bereits die Bild-Zeitung wie jeder anständige Deutsche auch.
Ich zeige Zivilcourage im Alltag, nähere mich dem ausgestoßenen Bild-Leser mit dem goldglänzenden Mundschutz solidarisch – und renne dann sofort wieder weg.
„Verflucht, der Kerl stinkt ja wie ’n orientalischer Puff“, schimpfe ich laut.
„Ja, fürchterlich. Der gute Mann hat mit Sicherheit zehn Flaschen Parfüm über den Kopf geschüttet“, stöhnt der Deutsche neben mir.
„Ich laufe lieber die ganze Strecke bis Halle 4 zu Fuß. Mit dem Stinktier zusammen steige ich nie im Leben in den gleichen Bus ein!“, schimpfe ich sauer.
„Hallo, Osman, ich bin’s doch, Ahmet“, entpuppt sich der stinkende Bild-Türke als mein lieber Nachbar.
„Ahmet, willst du uns alle umbringen? Hast du im Billigparfüm gebadet?“, zische ich angewidert.
„Osman, du versuchst die Leute mit viel Knoblauch auf Corona-Distanz zu halten, meine Corona-Prophylaxe ist das Billigparfüm“, lacht er glänzend.
„Wieso? Ich esse doch nur eine einzige Knolle am Tag. Wie vor Corona auch“, wehre ich mich. In dem Moment kommt endlich der Bus.
„Ahmet, halte dich bitte mindestens 10 Meter weit weg von mir, sonst kippe ich auch ohne Corona gleich tot um“, knurre ich, während wir in den völlig überfüllten Bus einsteigen. Wir springen sofort mit Tränen in den Augen heulend wieder raus.
„In überfüllten Bussen mit lauter Stinkstiefeln habe ich eine viel bessere Corona-Prophylaxe, meine Herren“, ruft eine junge Frau und zeigt uns eine kleine Dose. „Pfefferspray!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja