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Absetzung von LukaschenkoOhne kirchlichen Segen

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Selbst bislang loyale Zeitgenossen wenden sich von Lukaschenko ab. Nach den jüngsten Gewalterfahrungen darf es kein Zurück zur Tagesordnung geben.

Kein Bild aus den 80ern: Präsident Lukaschenko mit Kalaschnikow Foto: State TV of Belarus/ap/dpa

U nvergesslich die Bilder von Noch-Präsident Lukaschenko mit Kalaschnikow auf dem Präsidentenpalast: Besser könnte man einen Polizeistaat nicht ausrufen. Doch halt, es sind auch Bilder um die Welt gegangen, die Lukaschenko senior und junior alleine im Saal des Sicherheitsrates mit ihrer Pressesprecherin zeigen.

Will Lukaschenko ein europäischer Pinochet werden, dann werden ihm die Erfahrungen der letzten 26 Jahre wenig helfen. Denn bisher hatte er es immer nur mit einer kleinen, westlich ausgerichteten Opposition zu tun. Doch nun hat die Ablehnung Lukaschenkos auch Kreise erfasst, auf deren Loyalität er immer hatte zählen können.

Allein dass die mächtige orthodoxe Kirche Russlands, Bündnispartnerin von Wladimir Putin, die Lukaschenko-kritische Haltung der belarussischen orthodoxen Kirche gelobt hat, zeigt, dass sich auch die obrigkeitsgläubige orthodoxe Kirche von ihm abgewendet hat. Und die ist in Belarus zehnmal größer als die ebenfalls regimekritische katholische Kirche.

Und während Lukaschenko jeglichen Dialog mit der Opposition ablehnt, schließt ein Gennadij Davydko einen Dialog nicht mehr aus. Davydko ist Vorsitzender der Pro-Lukaschenko-Bewegung Belaja Rus, Vorsitzender des parlamentarischen Menschenrechtsausschusses und gilt eigentlich als Gefolgsmann Lukaschenkos. Doch nun ist sogar er zu einem Dialog bereit, spricht von Fehlern, die die Machthaber gemacht hätten.

Davydkos neues Verhalten muss nicht unbedingt einer neuen Sichtweise geschuldet sein. Vielleicht will er einfach nur rechtzeitig auf der Seite der Gewinner stehen. Und dann ist da noch der Chef des Leichtathletikverbandes, Wadim ­Dewjatowskij. Der populäre Sportler hatte immer zu Lukaschenko gestanden. Doch nun ließ er verlauten, dass dieser nicht sein Präsident sei.

Neu ist nicht nur die breite Ablehnung Lukaschenkos in der belarussischen Gesellschaft. Neu ist auch das Ausmaß von staatlicher Gewalt und Folter. Und dieser Gewalterfahrung wegen kann man diesmal nicht mehr einfach zur Tagesordnung übergehen.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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1 Kommentar

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  • Das klingt gut - aber "Fehler eingestehen" und "diskussionsbereit" kann auch bedeuten, dass man ein kleines bischen zurückrudert, den Druck rausnimmt, sich fadenscheinigt entschuldigt, ein paar Regimegegner freilässt...und dann weitermacht wie vorher, nachdem sich der Sturm gelegt hat.



    Mit den Paar Spätprotestlern wird man dann schon fertig und die Welt schaut woanders hin.