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Abschied von der tazPass auf dich auf, altes Haus!

Vor elf Jahren fing unsere Kolumnistin bei der taz an. Nun verlässt sie die Zeitung – und merkt, wie sehr sie diese geprägt hat.

An schlechten Tagen ist die taz eine „Zeit“ ohne Budget, schreibt unsere Kolumnistin Foto: Karsten Thielker

E s gibt immer diesen befremdlichen Moment bei meinen Lesungen, wenn eine sehr freundliche, grauhaarige Frau mit buntem Halstuch das Mikrofon ergreift, um mich zu fragen: „Gab es jemanden in Ihrem Leben, der sie besonders gefördert hat?“ An sich eine harmlose Frage, vielleicht etwas zu persönlich, aber sie ließe sich durch eine geschickte Antwort ins Poetologische verschieben: die Bücher von Toni Morrison, die Filme von Pedro Almodóvar, die Lieder von Ahmet Kaya haben mich zu dem gemacht, was ich bin. Eine Klugscheißer-Antwort, eine Nicht-Antwort eigentlich, die Fragende würde sich aber nicht trauen nachzuhaken und stattdessen lächelnd, insgeheim enttäuscht, nicken.

Was die Fragende vermutlich hören wollte: Meine Klassenlehrerin aus der Siebten ermutigte mich, Geschichten zu schreiben! Unsere Nachbarin Gisela hat mich immer zur Bibliothek gefahren! Die Mutter meiner Freundin Lisa gab mir Hermann Hesse zu lesen! In dieser Vorstellung taucht plötzlich irgendeine Deutsche bei mir auf und rettet mich aus der bildungsfernen Unterschicht in die Welt des Schreibens. Ich weiß, es ist unfair der Fragenden pauschal ein solches Interesse zu unterstellen, aber erfahrungsgemäß erwartet das Publikum dann doch immer, dass man auch mal vom guten Deutschen erzählt.

Trotzdem: Die Frage geht mir auf den Zeiger. Vielleicht weil sie offenlegt, wie unwahrscheinlich es ist, dass ausgerechnet ich nun auf dieser Bühne sitze und ich eigentlich die ganze Zeit über versuche, ebendiese Gedanken wegzuschieben.

Das Schlimmste aber: Ich habe keine Antwort auf diese Frage, denn ich hatte wirklich nie eine Gisela. Natürlich hatte ich Freund_innen, die mir zur Seite standen, ich hatte eine Familie, die sich mir nie querstellte, ich hatte hin und wieder eine Lehrerin, die meine Gedanken nicht grundsätzlich falsch fand. Es gab aber tatsächlich sehr lange keinen Ort, an dem ich das Gefühl hatte, mein Blick auf die Welt habe irgendeine Relevanz für andere. Dann kam ich zur taz. Bewusst wird mir dieser Wendepunkt natürlich erst jetzt, wo ich gehe.

Streiten und schweigen

Ich kam zu dieser Zeitung vor elf Jahren als Praktikantin und verstand sofort, dass ich hier mehr lernen würde als an jeder Journalistenschule. Ich habe nie ein Volontariat absolviert, mir hat nie jemand erklärt, wie man Tickermeldungen schreibt oder was eine gute Reportage ausmacht. Aber ich weiß, wie man streitet. Ich kenne die Argumente, die ewigen Fallstricke, die Dilemmas der deutschen Linken. Ich weiß, was sie triggert. Ich habe gelernt, an welchem Punkt sich Streit nicht mehr lohnt und wann ich unbedingt einen Standpunkt beziehen muss, weil mein Schweigen einem Einverständnis gleichkäme. Denn wenn die taz eines besonders gut kann, dann ist das: die eigenen Leute auf die Palme zu bringen.

Über die Jahre stand viel rassistischer und auch queerfeindlicher Müll in dieser Zeitung. Aber die noch lauteren Gegenstimmen ließen nie lange auf sich warten, und ich bin stolz darauf, wenigstens einen Teil dazu beigetragen zu haben. Auch wenn eine Diskursverschiebung in den letzten Jahren dazu geführt hat, dass emanzipatorische Kämpfe nunmehr als antiintellektuelle „Political Correctness“ abgetan werden, bin ich froh, dass die taz diesem Mainstream-Argument nur in Teilen erlegen ist und nicht als Ganzes. An schlechten Tagen nämlich ist die taz eine Zeit ohne Budget, an den besten Tagen, ein linkes Krawallblatt, das sich selbst nicht zu ernst nimmt.

Für mich jedenfalls war die taz ein Ereignis. Das Schreiben wäre nie zu meinem Lebensmittelpunkt geworden, wenn diese Zeitung mich nicht liebevoll dazu eingeladen und manchmal auch regelrecht dazu genötigt hätte. Ich fand hier Freund_innen und Genoss_innen, denen ich immer verbunden bleiben werde. Aber für mich ist es nun Zeit weiterzuziehen. Also pass auf dich auf, altes Haus. Ich trage dich in meinem Herzen als meine ganz persönliche Gisela.

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Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
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12 Kommentare

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  • Baba und foi ned

  • NAAAAAAIIIIIN! :(

    Alles Gute und vielen Dank, Frau Aydemir!

  • Liebe Frau Aydemir, lange ihre Kolummne gerne gelesen. Schade. Aber andererseits: Mehr Zeit für Bücher, auf die ich mich auch freue. Ein wunderbar liebevoller Abschied von der taz, hier als Tante Gisela. Welch eine Pointe! - Nun doch ein kleiner Widerspruch von mir: Ob es Tante Gisela oder Tante Aishe ist, egal! Die Archetypen aus ihrem wunderbaren Buch "Dschinns" kommen in meiner Familie auch alle vor. Da heißen sie Karl, Margret, Thomas, Lisa, Michael, Anna-Lena. Familienleben, ob in bildungsfernen, - nahen, ob auf einem östlichen oder westlichen Diwan, ist überall gleich, wir sind uns doch alle viel ähnlicher als man meistens denkt. Daher hätte es auch wirklich eine Gisela sein können, wirklich auch eine Aishe - nun ist es die taz, die mir als sonderbare, ein wenig klugsch... aber dennoch fördernde Tante sehr gut gefällt. So viel Liebe steckt immer in Ihrer kritischen Betrachtung von Menschen oder Angelegenheiten. Ein seltenes, sehr wertvolles Talent. Danke für alles.

  • Schade, dass es keine Tante Gisela oder eine Tante Fatime oder so gegeben hat. Aber umso schöner, dass es auch ohne ging.



    Viel Glück weiterhin!

  • Ein sehr berührender Abschied der



    nachdenklich macht.



    Ja ...streiten wird oft als Besserwisserei



    ignoriert und abgetan



    Ja ...Nicken würde nichts ändern nur



    die Zustände jetzt und in die Zukunft



    nicht verändern.

    Hans Stein 30 07 2023

  • ...auch von meiner Seite, auf diesem Wege - vielen Dank für Ihre - immer wieder gerne gelesenen Kolumnen - die mich doch oft bei zum überdenken - eigener Wahrnehmungen - auf die Dinge inspiriert haben - so soll es doch auch durch eine gute Journalistin sein - thx...dafür !



    Ihnen auf Ihrem Lebensweg weiterhin viel Erfolg und alles herzlich Gute

  • Schade :(

  • 😢

    Auf dem Weg alles gute.

    • @tomás zerolo:

      Absolute Zustimmung!

  • iyi yolculuklar Fatima Aydemir.

    Immer gern gelesen - selten einer Meinung.



    Aber das geht mir mit mir ja auch so;))



    Was nun speziell #metoo angeht -



    Ist ja noch nie zu spät - doch beizeiten - noch:



    Den Fokus über - Betroffenheit allein - auszuweiten.



    Wäre fein. Und die sozialen Verwerfungen in den Blick zu nehmen.



    Wie - von mir mehrfach angeführt - RA Ruppert “Plotte“ von Plottnitz:



    “Moderner Pranger“ & zustimmend: feministisch Urgestein - Claudia Burgsmüller - RAin “- O-Ton “Ich kann es meinen Geschlechtsgenossinen nicht ersparen:



    Meine Arbeit besteht heute zu einem großen Teil darin ihnen - Gang zur Polizei - Anzeigen etc. auszureden!



    Weil eben großteils die Geschichten vorn und hinten nicht stimmen!“



    Die ähnlichen Beobachtungen der hamburgischen StrafR-Richterin hab ich anderswo mal ausgebreitet.



    taz.de/5-Jahre-metoo/!5885447/ - & -



    taz.de/Kevin-Space...-Magazin/!5938632/



    Dess. Wie andere tazis auch - nicht mehr indolent zu beschweigen.



    Natürlich kann frauman weiterhin - diesen spaltenbreiten engBlick pflegen.



    Nur - mit Verlaub - ist das sorry - Verzichtbarer Journaille’Ismus eben •



    Anyway - bol şans -

    unterm—- entre nous but not only —



    Zu ehrer Frage “„Gab es jemanden in Ihrem Leben, der sie besonders gefördert hat?“



    Kann Sie gut verstehen & dergl. -



    Will ehna gern die Hand a weng reichen:



    Als vermeintliches Flüchtlingskind auf dem Katzenmuseum via Ascheimerzug!



    Wo Werner von Siemens - die Manns - Erich Mühsam - Gustav Radbruch - Hans Blumenberg - durchaus wechselhaft - die Bank mal drückten.



    Kam zum 50. Abi - die humanistisch-altsprachlichen Vier - warn grad gegangen.



    Mein Freund Klaus lachend rüber “Waaas Richter??!



    Wußte gar nicht - daß der noch was anderes konnte - außer Rudern.“ ??!??! -



    “Sach ich nich!“ - 😂 -

    kurz - Mit Albert 👅 Einstein “…bei der Dummheit bin ich mir sicher!“ - 🙀🥳😈 -

  • Ich kommentiere nahezu nie, möchte aber der Autorin als jemand, der mehr oder weniger zufällig in die taz reingestolpert ist, als habituell eigentlich gar nicht linker Mensch, der es dann mehr und mehr würde, explizit zustimmen:

    Intellektuelle Redlichkeit und aufrechter Streit innerhalb der eigenen Seite schätze ich hier sehr.

    Also, Frau Aydemir, alles Gute!

  • Ich danke Ihnen für die vielen an- und tw. aufregenden Kolumnen.



    Für die Zukunft wünsche ich Ihnen alles Gute!