Abschied von den kleinen EM-Teilnehmern: Kleiner, dann wird’s größer
Die letzten „kleinen Teilnehmer“ verabschieden sich. Der EM haben sie gut getan. Zeit zu überlegen, welcher Modus ihnen gerechter wird.
Endlich ist das Turnier auf einer höheren Niveaustufe angelangt. Das werden jetzt nicht wenige sagen. Denn im Viertelfinale sind die großen europäischen Fußballnationen fast unter sich. Das letzte Mal, als Deutschland die EM im Jahre 1988 allein ausrichtete, durften eh nur acht Teams mitmachen. Was bringt das aufgeblasene Gedöns davor mit unterdessen 24 Mannschaften außer Mehreinnahmen für die Uefa? Diese Frage wird immer wieder aufgeworfen. Meist in den Ländern, die zur Elite gezählt werden dürfen.
Gute Antworten darauf haben die Trainer von Rumänien, Georgien, Slowenien und der Slowakei gegeben, die schon allein durch das Erreichen des Achtelfinals für Freudenfeste in ihren Heimatländern verantwortlich waren. Nach der rumänischen Niederlage gegen die Niederlande (0:3) sagte Edward Iordanescu am Dienstagabend: „Das sind Lektionen, die wir für die Zukunft nutzen können.“
Seine Spieler hätten bei dem Turnier Großes für die Weiterentwicklung des rumänischen Fußballs geleistet. Sie seien nun große Vorbilder und Inspiration im Lande. Wie wichtig diese EM für die Verbesserung des eigenen Teams und die Jugendarbeit zu Hause ist, hatten auch Georgiens Coach Willy Sagnol sowie die für die Slowakei und Slowenien verantwortlichen Kollegen Francesco Calzona und Matjaz Kek mehrfach betont. Kek sagte: „Dieses Turnier ist der Start für die Zukunft des slowenischen Fußballs.“
Kleine geschlossene Systeme konservieren Hierarchien auf fast schon erstickende Weise, die EM mit mehr Außenseitern sorgt für belebende Frischluft. Mit dem wilden unkonventionellen Stil der Georgier mussten die Gegner in den letzten Wochen erst einmal einen Umgang finden. Deren Achtelfinalpartie gegen Spanien war trotz des deutlichen Ausgangs erheblich unterhaltsamer als der Klassiker zwischen Frankreich und Belgien. Dass die Engländer gegen die Slowakei in der Verlängerung die Verteidigung verstärkten, um das Ergebnis über die Zeit zu retten, kam für deren Trainer Calzona einem Ritterschlag gleich.
Folklore oder Sport?
Und die Abertausenden Fans dieser kleinen Nationen bereichern die Europameisterschaft in Deutschland schon deshalb mit einem besonderen Flair, weil sie wie etwa die isländischen und walisischen Anhänger bei der EM 2016 in Frankreich doch von der Möglichkeit ausgehen müssen, so eine Gelegenheit vielleicht nicht so schnell wieder geboten zu bekommen.
Dass dieses Turnier nicht nur Fußball, sondern auch Austausch und Verbindungen zwischen vielen Menschen ermöglicht, das heben die Veranstalter nicht zu Unrecht hervor. Gerade im Fall von Georgien, wo die Regierungspartei die Weichen Richtung Abschottung stellt, hat diese unerwartet längere Teilhabe an diesem Turnier eine besondere Bedeutung.
Würde die Uefa also nur Gutes vollbringen, wenn künftig 32 Nationalteams mitmachen dürften? Nun, auch diese positiven Effekte haben ihre Grenzen, bei Teilnehmern wie Luxemburg oder San Marino etwa. Überdies wäre die Gefahr doch zu groß, dass das Turniergeschehen sich zu sehr aufspalten würde: Erst käme die Folklore, dann der Sport.
Die Ideallösung wäre eine Verkleinerung der EM auf 16 Mannschaften mit ausreichend Quotenplätzen für die vermeintlich Kleinen. Auf diesem Weg ist auch Georgien nach Deutschland gekommen. Sie verpassten die direkte Qualifikation, konnten aber über denn Wettbewerb der Nations League, bei dem Nationen entsprechend ihrer Stärke gleichrangige Gegner erhalten, doch noch einen EM-Platz ergattern.
Verdichtend erweitern
Es bräuchte dann mehr von diesen Gelegenheiten. Nach diesem Modell wäre bei dieser EM Italien vielleicht eher nicht dabei gewesen, der Qualität des Turniers hätte es wenig geschadet. Verdichten und erweitern muss kein Widerspruch sein.
Es wird spannend sein zu sehen, wie sich der Fußball in Rumänien, Georgien, Slowenien und der Slowakei weiterentwickelt. Die Fußballfans in Europa können dies nun viel kenntnisreicher verfolgen. Ihr Horizont hat sich erweitert. Gut so!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin