Abschied vom Roten Rathaus: So wird’s (erstmal) nie wieder

Der rot-grün-rote Senat stellt in seiner letzten Sitzung Weichen für Flüchtlingsunterkunft. Sechseinhalb Jahre gemeinsamer Regierung sind vorbei.

Das Bild zeigt die drei führenden Köpfe des rot-grün-roten Senats: klaus Lederer, Bettina Jarasch und in der Mitte Franziska Giffey.

So wie zur Jahresbilanz 2022 werden sie nicht mehr nach einer Senatssitzung vor Journalisten sitzen Foto: IMAGO/Emmanuele Contini

BERLIN taz | Am 8. Dezember 2016, noch am Tag der Vereidigung im Abgeordnetenhaus, hatte es mit dem ersten Treffen begonnen. Sechseinhalb Jahre und 317 Senatssitzungen später ist die Berliner Regierungszusammenarbeit von SPD, Grünen und Linkspartei unter dem Kürzeln RGR und – bis Ende 2021 – R2G Vergangenheit.

Nur eine Stunde habe das letzte Treffen gedauert, berichtete in der anschließenden Pressekonferenz Noch-Regierungschefin Franziska Giffey (SPD). Nach einem drängenden Beschluss zur Verlängerung der Flüchtlingsunterkunft am Exflughafen Tegel mutmaßlich über das Jahresende hinaus, habe sie noch etwas gesagt und den ausscheidenden Mitgliedern gedankt. „Und dann sind wir auseinander gegangen“, sagt Giffey, „das war eine ruhige, eine nachdenkliche Stimmung.“

Giffey kam im Dezember 2021 ins Amt und löste ihren gleichfalls von der SPD kommenden Vorgänger Michael Müller ab, als aus einer rot-rot-grünen eine rot-grün-rote Regierung wurde. 65 Mal tagte der Senat seither, und meistens setzte sich anschließend Giffey selbst in die Pressekonferenz, um die Ergebnisses zusammen zu fassen. Was vielen Journalisten gefiel, weil so gleich die Chefin zu allem zu hören war, passte den Koalitionspartnern weniger – sie hielten ihr vor, anderen zu wenig Aufmerksamkeit zu gönnen.

Dass Giffey, wenn auch nicht als Regierungschefin, auch künftig zumindest gelegentlich in dem Saal der Pressekonferenz sitzen wird, der nach dem Nachkriegs-Vize-Oberbürgermeister Ferdinand Friedensburg benannt ist, ist ein Novum in der Berliner und weithin auch der bundesdeutschen Politik. Noch kein hiesiger Regierungschef und seit den 50er Jahren auch kein anderer deutscher Ministerpräsident gehörte dem nächsten Kabinett als einfaches Mitglied an.

Der frühere CDU-Fraktionschef Florian Graf (49) soll nach taz-Informationen neuer Chef der Senatskanzlei werden. Wer im Range eines Staatssekretärs auf diesem Posten sitzt, gehört zwar nicht dem Senat selbst an, spielt aber dennoch eine immens große Rolle für das Funktionieren der Regierungsarbeit, gerade zwischen den Koalitionspartnern. Graf galt in der rot-schwarzen Koalition von 2011 bis 2016 mit seinem SPD-Fraktionschefkollegen Raed Saleh als Scharnier der Koalition und hatte großen Anteil daran, dass das Bündnis trotz aller Konflikte auf Senatsebene über die komplette Wahlperiode bestehen blieb. Vom Fraktionsvorsitz trat Graf 2018 zurück, 2020 gab er auch sein Abgeordnetenmandat auf und konzentrierte sich auf eine Tätigkeit im CDU-Wirtschaftsrat. Anfang 2022 wurde er Hauptgeschäftsführer im Bundesverband der Sicherheitswirtschaft. Graf selbst erwiderte eine taz-Anfrage zum Job in der Senatskanzlei nicht. Ein CDU-Sprecher mochte die Personalie nicht bestätigen, aber auch nicht dementieren. (sta)

Bei Giffey ist das anders: Wird ihr designierter Nachfolger Kai Wegner (CDU) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus gewählt, wird er sie zur neuen Wirtschaftssenatorin ernennen. Außer ihr wird von den elf derzeitigen Senatsmitgliedern nur ihre Parteifreundin Iris Spranger, die Chefin des Innenressorts, auch künftig am Senatstisch sitzen (siehe Seiten 18/19).

Die sechseinhalb Jahre Koalition von SPD, Grünen und Linkspartei begannen überschattet vom Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz nur wenige Tage nach der Vereidigung und gingen gleich im Januar 2017 mit der Debatte um den von den Linkspartei benannten Bau-Staatssekretär Andrej Holm und seinem schließlichen Rückritt los: Es war bekannt geworden, dass Holm in einem Fragebogen der Humboldt-Universität die Frage nach einer Stasi-Tätigkeit mit „Nein“ beantwortete – was nicht stimmte. Die Debatte belastete gleich zum Start das Koalitionsklima.

Nach weiteren Streitereien brachte die Coronakrise ab Frühjahr 2020 die drei maßgeblichen Akteure, neben Müller Kultursenator Klaus Lederer von der Linkspartei und die grüne Wirtschaftsenatorin Ramona Pop, besser zusammen: Diverse Hilfsprogramme kamen auf den Weg, die Koalition wirkte dabei so, als ob sie an einem Strang zog.

Dass änderte sich auch erst mal nicht, als Giffey von Müller übernahm – auch wenn sie lieber in einer Ampelkoalition mit der FDP statt der Linkspartei regiert hätte, aber von ihrer Partei nicht gelassen worden war: Corona hatte Berlin Ende 2021 weiter im Griff, eins der Hauptanliegen im Senat war, die Impfquote nach oben zu bringen.

Dann wirkten zum zweiten Mal äußere Ereignisse maßgeblich auf die Arbeit der Landesregierung, als Ende Februar 2022, also nur zwei Monate nach der Wahl Giffeys im Abgeordnetenhaus, Russland den zuvor vielfach ignorierten Krieg in der Ukraine massiv ausweitete. Wie bei Corona ging es nun darum, Hilfsprogramme auf den Weg zu bringen, nun auch wegen drohender Energieknappheit und Inflation. Giffey und Sozialsenatorin Katja Kipping, die frühere Bundesvorsitzende der Linkspartei, arbeiteten dabei merklich gut und auch gerne zusammen. Das betonte Giffey nochmals vor einigen Wochen, als eine schwarz-rote Koalition bereits auf dem Weg war.

Weit misslicher war das Verhältnis zwischen der SPD-Chefin und dem führenden Kopf der Grünen im Senat, Bettina Jarasch. Vor allem der Streit der beiden über die zwischenzeitlich illegale Sperrung der Friedrichstraße belastete das Klima in der Koalition.

Zum Ende der Pressekonferenz am Dienstag bat ein Kollege vom Tagesspiegel Giffey um eine Antwort auf das, was er „eher so eine Sportreporter-Frage“ nannte: „Wie fühlen Sie sich denn jetzt so?“ Immerhin war es trotz Weiterregierens ihre letzte Sitzung als Senatschefin. „Das ist keine Gefühlsfrage, sondern die Frage, wovon man überzeugt ist“, entgegnete Giffey, um dann doch von ihrem Gefühlsleben zu berichten: „Es fühlt sich gut an, für seine Überzeugung zu arbeiten und das mache ich.“

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