Verhandlungspartner einigen sich: Rot-Grün-Rot erklimmt nächste Stufe

SPD, Grüne und Linkspartei stellen ihren Koalitionsvertrag vor, über den nun zwei Parteitage und eine Mitgliederabstimmung entscheiden.

Das Bild zeigt führende Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei mit dem rot-grün-roten Koalitionsvertrag.

Die drei mit dem Koalitionsvertrag: Lederer, Giffey und Jarasch (vorne von links) Foto: dpa

BERLIN taz | Aha. So war das also in den Koalitionsverhandlungen: Altes Liedgut pflegen und gemeinsam essen. Man habe sogar Nina Hagens Hiddensee-Reminiszenz „Du hast den Farbfilm vergessen“ gesungen, erzählt Grünen-Chef Werner Graf, als die alten und neuen roten und grünen Koalitionäre am Montag den Vertrag vorstellen, der sie weitere fünf Jahre aneinander bindet. Und dass es auch Geburtstagsständchen gab und er selbst während der Gespräche „drei, vier Kilo“ zugelegt habe.

Fast fünf Wochen haben SPD, Grüne und Linkspartei in 16 Facharbeitsgruppen an ihrem 152 Seiten dicken Vertrag gearbeitet. Rot-Grün-Rot einigt sich damit als letzte der drei Koalitionen, die nach den Wahlen vom 26. September entstanden sind: Auf Bundesebene stellte die künftige Ampelkoalition ihren Vertrag vergangenen Mittwoch vor, in Mecklenburg-Vorpommern waren SPD und Linkspartei schon vor drei Wochen so weit.

Aber Gründlichkeit und Abwarten lohne sich, ist am Montag im Festsaal des Abgeordnetenhauses zu hören. Es ist im Vergleich zur gleichen Veranstaltung auf Bundesebene eine eher nüchterne Angelegenheit: Scholz, Baer­bock, Lindner und Co. waren vergangene Woche in breiter Front vor der rustikalen Kulisse des Berliner Westhafens auf die Presse zumarschiert.

Als Erster darf Raed Saleh den Vertrag preisen, der Mann, der seit knapp einem Jahr mit der designierten Regierungschefin Franziska Giffey den SPD-Landesverband führt. Man knüpfe an die bisherige Koalition an, man baue aus, „was gut gelaufen ist“. Wie bislang hat der Senat zehn Ressorts, mehr gibt die Verfassung auch nicht her.

Deren Verteilung, von Giffey vorgetragen, beinhaltet eine Premiere: Erstmals in ihrer Geschichte übernimmt die Linkspartei in Berlin das Justizressort – und ihre Landesvorsitzende Katina Schubert kündigt auch gleich eine „linke Rechtspolitik“ an. Auf Nachfrage führt sie aus, was sie damit neben Bürgerrechten, Freiheitsrechten und fortschrittlichen Gesetzen meint: „Die Knäste sollen noch schöner werden.“

Zugleich bedeutet diese Premiere: Die Zeit des einflussreichen Kreuzberger Grünen Dirk Behrendt als Senator ist vorbei – für die drei Regierungsposten seiner Partei werden andere gehandelt (siehe Text rechts.) Behrendt könnte aber auf Bundesebene ein Anwärter auf einen Staatssekretärsposten im grünen Verbraucherschutz- oder Ernährungsministerium sein: Als Justizsenator war er auch dafür zuständig.

Im Gegenzug muss die Linkspartei – die die Bereiche Soziales und Arbeit sowie Kultur und Europa behält – das Feld der Stadtentwicklung abgeben, das als deutlich gewichtiger gilt als das Justizressort. Zufrieden kann sie trotzdem sein: Sie stellt weiter genauso viele Senatsmitglieder wie die Grünen, obwohl die bei der Abgeordnetenhauswahl deutlich vor ihr lagen. Klaus Lederer, vormaliger Spitzenkandidat, hat durchaus Grund, seinem Landesverband den Vertrag als einen sehr guten zu empfehlen.

Denn die nun beginnende Abstimmung seiner 8.050 Berliner Parteigenossen darüber ist die letzte echte Hürde für die Koalition – dass SPD und Grüne den Vertrag bei Parteitagen annehmen, steht außer Frage. Franziska Giffey packt ein bisschen zusätzliche Spannung in diese Abstimmung, als sie mit Rücksicht darauf keine Namen von SPD-Senatsmitgliedern nennen mag: „Ich spreche nicht über Personal, bevor ich nicht weiß, ob diese Koalition mitgetragen wird.“

Dass es trotz des harmonisch angelegten Auftretens im Festsaal noch diverse Differenzen gibt, zeigte schon ein einzelner Punkt, der dort auch zur Sprache kommt. Nachdem Bettina Jarasch, die designierte grüne Vize-Regierungschefin, sich für die Erhöhung der bislang minimalen Anwohnerparkgebühren von rund 10 Euro jährlich begeistert – ab 2023 sollen es zehn Euro im Monat sein, rein rechnerisch eine Anhebung von 1.100 Prozent –, grätscht Linksparteichefin Schubert mit der Bemerkung rein, das werde natürlich sozial gestaffelt.

Soziale Staffelung?

Zehn Euro noch sozial staffeln, obwohl Autobesitzer für Benzin, Steuern, Versicherung und Reparaturen monatlich ein Vielfaches davon zu bezahlen in der Lage sind? Das wirft Fragen auf, wie stark diese Erhöhung wirklich für die nötige zusätzliche Finanzierung eines besseren Bus- und Bahnnetzes sorgen kann. Dazu beitragen soll auch eine Touristenabgabe – aber um Hotels in der Coronakrise nicht zusätzlich zu belasten, gibt es dafür noch keinen Starttermin. Man wolle das in Ruhe mit der Tourismusbranche besprechen, kündigt Giffey an.

Was auch klar wird: Der Vertrag lässt sich so oder so lesen. Schubert sieht darin „eine linke Handschrift“, Giffey hingegen die Koalition für alle in der Verantwortung: Für Innen- und Außenstadt, für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, für Rad- wie Autofahrer. „Politik für alle in Berlin“ will sie machen.

Wenn das nicht klappt, könnte der Nina-Hagen-Song noch eine Rolle spielen, von dem ja eingangs Grünen-Chef Graf als Begleitphänomen erzählt hat: „Micha, mein Micha, und alles tut so weh“, heißt es da, „tu das noch einmal, Micha, und ich geh.“

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