Abschied in Altenbeken: Nie mehr erhaben warten

Die Bahnhofsgaststätte von Altenbeken schließt. Hier wurde Gestern zu Heute und Sofort zu Nachher. Die Deutsche Bahn hat diesen Ort nie verstanden.

Nicht bloß eine Brücke: das Altenbekener Viadukt. Einst Schlussstein der Achse Paris-Moskau. Bild: dpa

Oh nein, nicht dieses Opfer auch noch! Kann der Kapitalismus denn nichts ungeschoren lassen? Die Bahnhofsgaststätte de:official&client=firefox-a&um=1&ie=UTF-8&sa=X&ei=uyajUezBBKzV4QSV0YDoCA&ved=0CAsQ_AUoAg:Altenbeken macht zu. Das ist nicht gerecht. Jedenfalls ist es nicht richtig.

Altenbeken liegt in Ostwestfalen bei Paderborn. Die Bahnhofsgaststätte Altenbeken ist ein Ort, wo dem Warten auf den Zug kulturpflegerische Bedeutung zukommt. Man wartet dort nicht gequält, sondern erhaben.

Nach Altenbeken zum Bahnhof fährt man nicht, um sofort in die S-Bahn nach Hannover zu steigen. Zum Altenbekener Bahnhof fährt man früh genug, um in der Bahnhofsgaststätte zu erleben, wie wunderbar gut erhalten das Mobiliar – teils aus Vorkriegszeiten – ist, wie genau die Uhr an der Wand noch funktioniert, wie tadellos der Faltenwurf der ausgeblichenen Tischdecken ist, auf die der Wirt das kleine Silbertablett mit Papierspitze und Kännchen Kaffee stellt.

Man muss wissen, dass allein in der Art, wie die Sonne ihren schlierigen Weg durch die Fenster bahnt, Reise-, Warte- und Eisenbahngeschichte sinnlich wird. Nie hat Gastwirt Ingo Klüter versucht, einen „Kult“ um die Stätte zu machen. Nur wenn man sie fragt, bestätigen Klüter, 45 Jahre alt, und seine Schwester Anke, dass sie die Einrichtung von ihrem Vater, dessen Vater auch schon Bahnhofsgaststättenwirt war, unverändert übernommen haben

Einst ein Eisenbahnknotenpunkt

Im Postkartenständer wellen sich die Ansichtspostkarten vom Altenbekener Viadukt, an der Wand hängt auch ein Gemälde von 1900 mit dieser Eisenbahnbrücke. Der Viadukt wie die Bahnhofsgaststätte legen Zeugnis davon ab, was es heißt, ein Eisenbahnknotenpunkt zu sein.

Es war ein großer Augenblick, als Mitte des 19. Jahrhunderts das Tal der Beke durch den Viadukt, mit 482 Metern die längste Kalksandsteinbrücke Europas, überspannt wurde. Endlich konnte die Eisenbahn von Warburg nach Paderborn und von dort weiter nach Hamm fahren. König Friedrich Wilhelm IV. eröffnete den Viadukt am 21. Juli 1853 mit den Worten: „Ich habe geglaubt, eine goldene Brücke vorzufinden, weil so schrecklich viele Taler verbraucht worden sind!“

Die Brücke hatte – Dauerregen weichte Baugrund und -material auf – in der Tat etwas länger gebraucht und war teuer geworden. Doch benötigte Friedrich Wilhelm IV. für sein Königreich Preußen dringend eine neue Ost-West-Verbindung.

Altenbekener erkennen in den mächtigen Bögen ihres Viadukts den Schlussstein der europäischen Achse Paris–Moskau. Noch heute schaut man vom Bahnsteig herab auf eine zufriedene Ortschaft, in der beinahe jedes Jahr etwas los ist: Das Fest „Vivat Viadukt“ findet seit 2003 in allen ungeraden Jahren statt.

Die alten Strecken wurden nie wiederbelebt

All dies weiß nicht jeder, der etwa aus dem Bielefelder Regionalexpress „Der Leineweber“ steigt. Zugegeben: Die großen Linien nach Kassel, nach Bebra und aus Bremen, sie werden nicht mehr bedient. Die Chance, ab 1990 die deutsche Teilung auch dadurch zu heilen, dass Altenbeken wieder aufgewertet und die alten Strecken wiederbelebt werden, wurde nie genutzt.

Seit Ende 2010 hält in Altenbeken zwar der ICE nach Dresden, einmal am Tag, um fünf Uhr morgens – doch dann isst noch niemand in der Bahnhofsgaststätte den selbst gebackenen Bienenstich.

Klüters Köchin, weit über 75 Jahre alt, wird nun nicht mehr gebraucht. Die Bahn lenkt den Umsteigeverkehr inzwischen über Paderborn, dessen Bahnhofsgastronomie keine müde Silbe wert ist. Umsteigen, warten und konsumieren sollen Bahnreisende nur noch an Bahnhöfen, die von Ketten-Kiosken und Backindustrie-Filialen gepachtet sind.

Altenbekens Bahnhofsgaststätte war ein Ort, ein klein wenig abgehängt vom Weltgeschehen, aber eben darum inmitten der Bahngeschichte. Dort wurde Gestern zu Heute und Sofort zu Nachher. Abgehängt vom Umsteigegeschehen hat solch ein Ort keine Chance mehr.

Klüters wollen über die Bahn nichts Böses sagen. Der Bahnhofsmanager in Bielefeld hat ihre Miete ja mehrfach reduziert. Doch um rund 200 Euro am Tag ist der Umsatz in den vergangenen fünf Jahren eingebrochen. Am 31. Mai machen sie zu.

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