Abschiebungen nach Afghanistan: Zurück in den Krieg
Die Corona-Krise übertönt alles. Fast unbemerkt werden ein Dutzend gut integrierter Afghanen zwangsweise ins Krisengebiet abgeschoben.

Der spektakulärste Fall betraf den 21-jährigen Afghanen S., der als Laien-Mitglied im JugendClub des Schauspiels Zittau an einer Koproduktion mitwirken sollte. Auf dem Programm stand die Bühnenfassung des 2017 erschienenen Romans „Endland“ von Martin Schäuble.
Das Buch widmet sich der Rolle von Flüchtlingen in einem fiktiven hermetisch gesicherten und nationalistisch regierten Deutschland. Drei Tage vor der langfristig geplanten Premiere am 14.März wurde S. überraschend abgeschoben. Ein Vorgang, der auf makabre Weise die Dystopie des Stückes illustriert, wo Geflüchtete nur noch als „Invasoren“ bezeichnet werden.
Bis zuletzt hatte eine Betreuerin vergeblich versucht, über Telefonate mit dem Verwaltungsgericht, der Bundespolizei und anderen Behörden die Abschiebung ihres Schützlings zu verhindern. Auch der Sächsische Flüchtlingsrat und Anwälte versuchten zu helfen.
„Unsäglich und schäbig“
Sogar die Polizei zeigte sich kooperativ. Von „vorbildlichen und hilfsbereiten Verhalten der Zittauer Polizei“, schreiben die Zittauer Intendantin Dorotty Szalma und Geschäftsführer Caspar Sawade in einer Protestnote. S. galt nach drei Jahren in Deutschland als besonders gut integriert und schauspielerisch begabt, konnte sich in acht Sprachen verständigen und war in seiner Gemeinschaftsunterkunft beliebt. „Die Kinder dort haben ihn geliebt und jeden Tag sein Zimmer gestürmt“, schrieb die Betreuerin.
Das Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau zeigte sich Ende der vorigen Woche geschockt. Man werde „nicht stillschweigend zusehen, wie die Grundrechte der Demokratie missachtet werden“, heißt es im Protestschreiben. Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete müssten untersagt werden. In der Premiere sollten die Lücken, die S. in der Inszenierung hinterlässt demonstrativ sichtbar bleiben. Dazu kam es allerdings nicht, weil die Vorstellung wegen der Corona-Pandemie inzwischen abgesagt werden musste.
Ein anderer Flüchtling wurde nach Angaben des Sächsischen Flüchtlingsrates bei einem massiven Polizeieinsatz in Großenhain verhaftet und abgeschoben. Sein Arbeitgeber in Frankenberg vermisst den anerkannten Monteur. „Unsäglich und schäbig“ nennt Sprecher Mark Gärtner vom Flüchtlingsrat dieses Verhalten.
Obschon die Aufenthaltsfrist im Abschiebegewahrsam bereits überschritten war, wurde auch Familienvater R. aus der Dresdner Abschiebehaft nach Afghanistan „zurückgeführt“.
Dieses Schicksal blieb der Hilfsarbeiter-Fachkraft A. in der Chemnitzer HELO Maschinentechnik GmbH erspart, weil die Polizei an seinem Arbeitsplatz vergeblich auf ihn lauerte. „A. ist derzeit auf unserem Arbeitsmarkt nicht gleichwertig zu ersetzen“, schrieb Geschäftsführer Thorsten Hermsdorf an den Flüchtlingsrat. Gemeinsam wollen sich beide Seiten für sein Bleiberecht einsetzen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt