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Abschiebungen aus dem KirchenasylStreit um Härtefall-Einschätzungen

Niedersachsen möchte in Zukunft nicht mehr aus dem Kirchenasyl abschieben. Die Kirche und das Bamf sollen sich besser über Härtefälle verständigen.

Redebedarf nach Bruch eines Kirchenasyls: Landesbischof Ralf Meister und Innenministerin Daniela Behrens bei ihrer Pressekonferenz Foto: dpa | Moritz Frankenberg

Hamburg taz | Als Polizisten und Mitarbeiter der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen am Abend des 12. Mai in Bienenbüttel bei Uelzen eine vierköpfige russische Familie aus den Räumen der Kirchengemeinde herausholten, herrschte vielerorts große Betroffenheit. Die Familie – deren männliche Mitglieder zudem Kriegsdienstverweigerer sind – wurde noch in derselben Nacht nach Spanien abschoben. „Wir sind geschockt vom Vorgehen der Landesaufnahmebehörde“, hatte Gemeindepastor Tobias Heyden erklärt. Die Festnahme der Familie an einem Sonntag und die Missachtung des Kirchenasyls „erschüttern und erschrecken uns zutiefst“.

Niedersachsens Flüchtlingsrat erinnerte daran, dass es in dem Bundesland zuletzt im Jahr 1998 einen Fall von Räumung eines Kirchenasyls mit anschließender Abschiebung gegeben hatte. Landesinnenministerin Daniela Behrens (SPD) kündigte nach dem Vorfall ein „zeitnahes“ Gespräch mit der Kirche an. Es fand am vergangenen Dienstag statt, auch Vertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und der Landesaufnahmebehörde nahmen daran teil.

Eingriffe ins Kirchenasyl solle es nach ihrem Willen in Niedersachsen bis auf Weiteres nicht mehr geben, kündigte Behrens nach dem Treffen an: „Für die niedersächsische Landesregierung und mein Haus ist klar, dass wir das Kirchenasyl anerkennen und dass wir keine Rückführungen oder Überstellungen aus dem Kirchenasyl durchführen wollen.“

Gleichzeitig unterstrich die Ministerin, dass das Land bei den Entscheidungen über das Kirchenasyl nicht eingebunden sei. Es fungiere lediglich als Vollzugshelfer und befinde sich in einer „Sandwich-Position“ zwischen den Kirchen und dem Bamf. Das Bundesamt erkenne nur in den wenigsten Fällen an, dass es sich bei den Kirchenasylen um Härtefälle handele: „Das bringt uns als Land in eine Situation, in der wir Überstellungen, wie die der Familie aus Bienenbüttel nach Spanien, in Vollzugshilfe für das Bamf trotz menschlicher Härten durchführen müssen“, sagte Behrens.

Wir fungieren lediglich als Vollzugshelfer

Daniela Behrens, nieder­sächsische Innenministerin

Ihr sei deshalb sehr daran gelegen, „dass die Kirchen und das Bamf wieder ein gemeinsames Verständnis davon entwickeln, wann ein Härtefall vorliegt“. Ziel müsse ein gemeinsames Verständnis von „Härtefall“ und eine Wiederauflage des 2015 zwischen Kirche und Bamf vereinbarten Dossierverfahrens sein. Nach dieser Absprache kann die Kirche Dossiers über besondere Härtefälle beim Bamf einreichen, um eine Anerkennung des Asyls zu erwirken. Nach Auffassung des Bamf lag bei der aus Bienenbüttel abgeschobenen russischen Familie, die in Deutschland Asyl beantragt hatte, kein Härtefall vor. Die Eltern und ihre beiden Kinder wurden nach Barcelona geflogen, weil sie über Spanien nach Westeuropa eingereist waren.

Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister bezeichnete am Dienstag die Beendigung des Bienenbütteler Kirchenasyls im Mai als „schmerzliche und schockierende Erfahrung“. Ein solches Vorgehen ohne vorherige Absprachen mit der Kirche bedeute für die geflüchteten Menschen eine große Härte und sei auch für die betreuenden Personen in der Kirchengemeinde erschütternd.

„Kirchengemeinden werden auch in Zukunft nach sorgfältiger Prüfung und als Gewissensentscheidung Kirchenasyl gewähren“, betonte Meister. „Aus christlicher Sicht ist das dann der Fall, wenn für die schutzsuchenden Menschen Härten für die Gesundheit, das Leben oder die Psyche bestehen.“

Kirchenasyle würden aus „christlicher und humaner Überzeugung“ gewährt, sagte Meister. Der „Respekt vor den Sakralräumen der Kirchen“ sei eine hohe Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften. Kirche und Bamf wollen die Gespräche bald fortsetzen.

Zahl der Menschen im Kirchenasyl stark gestiegen

Die Zahl der Menschen im Kirchenasyl ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Allein in Niedersachsen waren es nach Zahlen des Bamf im vergangenen Jahr 137 Fälle mit 159 Personen, im ersten Quartal 2024 gab es demnach 34 Fälle von Kirchenasyl mit 39 Personen. 2022 waren es 65 Fälle mit 82 Menschen gewesen.

Bundesweit wurde nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche im Jahr 2023 die bisherige Höchstzahl von rund 2.000 Kirchenasylen erreicht. In etwa 95 Prozent der aktuellen Fälle geht es nicht um Abschiebungen in die Heimat der Flüchtlinge, sondern um Überstellungen in ein anderes europäisches Land im Sinne der Dublin-Verordnungen.

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4 Kommentare

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  • „Respekt vor den Sakralräumen der Kirchen“

    Die Sakralräume der Kirchen sind doch gar nicht betroffen. Die Menschen werden während des Kirchenasyls in den Profanräumen untergebracht. Was für ein Geschrubbel.

  • "In etwa 95 Prozent der aktuellen Fälle geht es nicht um Abschiebungen in die Heimat der Flüchtlinge, sondern um Überstellungen in ein anderes europäisches Land im Sinne der Dublin-Verordnungen."

    Grundsätzlich schätze ich Kirchenasyl nicht. Aber wenn, dann sollte es sich meiner Meinung nach doch "wenigstens" der Menschen annehmen, die in ihre Ursprungsheimat abgeschoben werden sollen und nicht um einen Personenkreis, der "halt" ein paar Jahre in einem anderen europäischen Land statt Deutschland leben muss. Menschen der von mir erstgenannten Gruppe halte ich für gefährdeter.

  • "In etwa 95 Prozent der aktuellen Fälle geht es nicht um Abschiebungen in die Heimat der Flüchtlinge, sondern um Überstellungen in ein anderes europäisches Land im Sinne der Dublin-Verordnungen."



    In diesen 95% begeht die Kirche einen klaren Rechtsbruch. Wieso darf die Kirche das?

    • @Rudi Hamm:

      "Wieso darf die Kirche das?"

      Weil sie immer noch davon zehren "gut" zu sein. Ich erinnere immer an die "Rattenlinie".