Abschiebung verfolgter Frauen: Keine Sicherheit, nirgends
Die Hamburger Ausländerbehörde hat eine Frau und ihr Kind aus einer Schutzunterkunft für Frauen abgeschoben. Der Schutz der Einrichtung ist dahin.
Mit dieser Sicherheit ist es nun vorbei. Gleich zwei Mal tauchten in den vergangenen Wochen Beamt*innen der Hamburger Ausländerbehörde mit mehreren Fahrzeugen auf und drangen in die Wohnungen ein, um Bewohnerinnen abzuschieben.
Dabei gibt es eigentlich die Absprache mit der Innenbehörde, dass Abschiebungen, wenn überhaupt, nicht auf „normalem Wege“ stattfinden. Das heißt, dass eben genau nicht zehn Uniformierte im Morgengrauen anrücken, um im Befehlston und vielleicht sogar unter Gewaltanwendung Bewohnerinnen zwingen, innerhalb von Minuten ihre Sachen zu packen und mitzukommen. Genau das aber ist in der vergangenen Woche passiert.
Anfang Juni kamen die Beamt*innen zum ersten Mal, an einem Nachmittag, aber sie trafen die Frau, nach der sie suchten, nicht an. Am vergangenen Donnerstag kamen sie dann gleich zu zehnt um sechs Uhr morgens, um eine andere Frau und deren zweijährigen Sohn abzuschieben: Ruslana Chochlowa (Name geändert). So schilderten es die Bewohnerinnen einer Mitarbeiterin der Beratungsstelle „Savia – Steps against Violence“. Die Sozialarbeiterinnen selbst waren um die frühe Uhrzeit noch nicht vor Ort.
15 Stunden im Polizeiwagen
„Die Mutter von Frau Chochlowa versuchte sich mit einem Messer zu verletzen und aus dem Fenster zu stürzen“, schildert die Mitarbeiterin der Beratungsstelle. Daraufhin habe der Wachdienst das Notfallmanagement der Unterkunft gerufen. Als die alarmierten Mitarbeiterinnen eingetroffen seien, seien die Abschiebebeamt*innen bereits weg gewesen – mitsamt Chochlowa und ihrem Sohn.
Die Beamt*innen seien sehr barsch vorgegangen, berichtet Chochlowa später der Mitarbeiterin. Sie hätten sie unter anderem an der Brust abgetastet. In einem Polizeiwagen sei sie nach Frankreich gefahren worden: 15 Stunden Autobahn, nur drei Pausen von je fünf Minuten hätten sie gemacht. Ihr Kind habe die ganze Zeit über geweint oder gekotzt.
Chochlowa ist ein „Dublin-Fall“: Sie floh aus einem Land, in dem die Anerkennungsquote für Geflüchtete gering ist und reiste mit Mann und Kind nach Frankreich. Von dort aus floh sie erneut, dieses Mal vor ihrem gewalttätigen Mann, der sie bis nach Hamburg verfolgte.
Zuflucht fand sie in der Schutzunterkunft für Frauen. Von dort versuchte sie, ihren Asylantrag nach Deutschland zu überstellen, weil in Frankreich ihr Leben und das ihres Kindes durch ihren Mann bedroht seien. Die Behörden lehnten das ab. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sei nicht ersichtlich, warum Chochlowa nicht auch in Frankreich durch die dortigen Behörden oder Polizei vor ihrem Ehemann geschützt werden könnte, sagt der Sprecher der Ausländerbehörde, Matthias Krumm.
Annette Kaiser-Tiede, Traumatherapeutin
„Ein Abschiebungsverbot wurde nicht festgestellt, sodass die Hamburger Behörde die Rücküberstellung nach Frankreich veranlassen musste.“ Zum besonderen Schutzstatus der Unterkunft, der ja nun hinüber ist, sagt Krumm: „Aus Sicht der Ausländerbehörde dienen sichere Unterkünfte dem Schutz vor unrechtmäßigen Übergriffen durch Dritte, nicht vor staatlichen Maßnahmen.“
Die Traumatherapeutin Annette Kaiser-Tiede behandelt mehrere Frauen in der Schutzunterkunft. Was eine solche Situation für die Betroffenen bedeutet, erklärt sie so: „Das ist eine aktive Retraumatisierung und gefährdet das Leben der Mutter und des Kindes.“ Es bestehe eine große Gefahr tiefster Verzweiflung, die in extremen Fällen auch zu Selbstmordgedanken führen könne. „Wenn man aus dem Ort herausgerissen wird, an dem man sicher zu sein glaubte, fragt man sich: Wo ist dann überhaupt der Platz, an dem ich sicher bin?“, sagt Kaiser-Tiede.
Auch die lange Fahrt mit dem völlig verstörten Kleinkind, dem zum wiederholten Mal das gewohnte Umfeld wegbricht – „das ist Kindeswohlgefährdung“, sagt die Traumatherapeutin.
Verheerende Folgen für andere Bewohnerinnen
Sowohl ihr als auch der Mitarbeiterin von „Savia – Steps against Violence“ ist es wichtig, auf die verheerenden Folgen für die anderen Bewohnerinnen und den ganzen Standort hinzuweisen. „Das Gefühl, hier in Sicherheit zu sein, sei es vor dem Partner, der Herkunftsfamilie oder anderen, ist für die Frauen ins Wanken geraten“, sagt die Sozialarbeiterin. Die plötzliche und gewaltvolle Invasion durch Uniformierte ruft zudem Traumata hervor, die viele der Frauen auf ihrer Flucht erlebt hätten, etwa durch Vergewaltigungen im Gefängnis, an Landesgrenzen oder durch Schlepper.
Außerdem spreche sich schnell herum, dass aus der Unterkunft abgeschoben werde. Ob die Frauen das Schutzangebot zukünftig noch annehmen, müsse man erst mal sehen, sagt die Mitarbeiterin. „Ich weiß nicht, wie wir das Vertrauen wiederherstellen sollen.“
Was Ruslana Chochlowa betrifft, berichtet Annette Kaiser-Tiede, dass die Mutter und ihr Kind direkt hinter der Grenze in Straßbourg der französischen Polizei übergeben worden seien. Die hätte sie nach ein paar Stunden gehen lassen mit den Worten „Du bist frei und kannst machen, was du willst.“ Obdachlos und aufgelöst habe sie sich telefonisch an ihre Hamburger Kontakte gewandt, über mehrere Ecken sei ihr ein Schlafplatz organisiert worden. Allerdings nur für ein paar Nächte.
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