Abschiebung in ein unbekanntes Land: Razzia bei den Eltern
Im Emsland hat die Ausländerbehörde nachts versucht, einen jungen, in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Mann in den Kosovo abzuschieben.
Nun versuchen regelmäßig deutsche Ausländerbehörden, Menschen abzuschieben, auch solche, die nie in einem anderen Land gelebt haben, Menschen, die hier ihre Freund:innen und eine Arbeit haben. Sehr häufig in der Nacht oder den frühen Morgenstunden. In vielen Fällen gelingt ihnen dies auch, mit gravierenden Folgen für die Betroffenen.
Dieser Fall weist aber ein paar weitere Härten auf. Zum einen, so stellt es der Anwalt dar, hätte die Ausländerbehörde gewusst, dass Leonard S. gar nicht da war – dafür aber seine Mutter und vier jüngere Geschwister im Alter von 13 bis 19, von denen eine, seine 18-jährige Schwester, einen Herzschrittmacher trage.
Leonard S.erzählt der taz am nächsten Tag am Telefon, wie ihn sein 16-jähriger Bruder kurz nach eins angerufen hat, um ihm zu sagen, dass die Polizei im Haus ist. „Das muss wie im Film gewesen sein“, sagt Leonard S., hörbar verstört, „als würde dort ein Schwerverbrecher leben.“ Seine Familie sei die ganze Nacht wach gewesen, „die stehen alle unter Schock“. Er selbst wisse nicht, wo hinten und vorne sei, sagt er.
Erinnerungen seien wach geworden an die Zeit im Winter vor sieben Jahren, als seine Mutter mitsamt den fünf Kindern in den Kosovo abgeschoben werden sollte. Damals hatte der Anwalt Sürig erreicht, dass das Verwaltungsgericht Osnabrück den Landkreis dazu zwang, die Aufenthaltsgenehmigung der Familie zu verlängern. Leonard S. erzählt noch, dass er nicht einmal Familie im Kosovo habe und gar nicht wisse, wer ihm dort helfen könne, dann bricht er plötzlich das Gespräch ab und seine Freundin ist am Telefon. „Er hält das immer nur ein paar Minuten durch, dann bricht er zusammen“, sagt sie, die mit ihm seit sieben Jahren zusammen ist, „und ich würde ihm so gerne helfen, aber ich weiß gar nicht wie.“
Verstörte Geschwister
Dass der Ausländerbehörde klar gewesen sein muss, dass sie in dieser Nacht nur Leonards Mutter und Geschwister verstören würde, liegt nahe. Denn er hatte bereits im Oktober beim Landkreis beantragt, seine Wohnsitzauflage für das Emsland aufzuheben – mit der Begründung, dass er sich unter der Woche in Bremerhaven aufhält, sein Vater und seine Freundin leben dort.
Seit dem 15. November hat er einen neuen Arbeitsvertrag als Staplerfahrer. Daraufhin, so sagt es sein Anwalt, habe die Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde ihn verpflichtet, jeden Donnerstagmorgen um halb neun bei ihr zu erscheinen.
Am gestrigen Donnerstag wäre der erste dieser Termine gewesen, den die Ausländerbehörde dann offenbar wohl nicht mehr abwarten wollte. Der Rechtsanwalt des jungen Mannes sagt, er habe vorher den Abteilungsleiter der Behörde angerufen und ihm gesagt, dass Leonard S. nicht erscheinen werde. Dafür habe er Klage gegen die Aufforderung zur Vorsprache erhoben und einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz dagegen sowie gegen eine drohende Abschiebung beim Verwaltungsgericht Osnabrück eingelegt. Für Rechtsanwalt Sürig ist das Handeln der Ausländerbehörde Schikane: „Der Landkreis Emsland will das neue Arbeitsverhältnis gezielt zerstören und Leonard abschieben.“
Eine Sprecherin des Landkreises beantwortete eine Reihe von Fragen der taz mit Verweis auf den Schutz von Personendaten nicht, etwa zu der Frage, ob die Ausländerbehörde wusste, dass Leonard S. sich gar nicht in der Wohnung aufhielt und dass seine Schwester einen Herzschrittmacher trage. Oder wann der Landkreis über seinen Antrag, den Wohnsitz verlegen zu dürfen, entscheiden wird.
Keine Kollision mit dem Schutz von Personendaten sieht die Sprecherin hingegen in der Mitteilung, Leonard S. sei seit 2018 ausreisepflichtig und habe versäumt, seine aufenthaltsrechtliche Situation zu klären. Dazu sagt sein Anwalt Jan Sürig, sein Mandant habe nicht gewusst, dass er zum Nachweis seiner Berufstätigkeit nicht nur den Arbeitsvertrag, sondern auch die Gehaltsabrechnungen hätte vorlegen müssen. „Das hat er dann vor zwei Wochen aber nachgeholt und ab dem Zeitpunkt hat die Ausländerbehörde dann so richtig aufgedreht und kam unter anderem auf die Idee mit dem Vorsprechen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken