Abschiebefall im Landkreis Celle: Behörde reißt Familie auseinander

Der Kreis Celle holt eine Familie aus dem Bett und setzt den Vater mit vier Kindern ins Flugzeug nach Georgien. Die schwangere Mutter bleibt zurück.

Steigendes Flugzeug vor grauen Wolken.

Abschiebevehikel Nummer eins: Flugzeug Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

HAMBURG taz | Um 1.30 Uhr in der Nacht sind Polizisten und ein Mitarbeiter des Landkreises Celle in die Wohnung einer Familie eingedrungen, um diese nach Georgien abzuschieben. Wie der niedersächsische Flüchtlingsrat mitteilte, durfte die hochschwangere Mutter aus gesundheitlichen Gründen in Deutschland bleiben. Der psychisch kranke Vater und vier Kinder wurden am vergangenen Donnerstag abgeschoben. Die Anwälte der Familie kritisierten, sie seien zu spät informiert worden, um für einen Rechtsschutz sorgen zu können. Das Lüneburger Verwaltungsgericht verwahrte sich gegen diesen Vorwurf.

Nach Angaben des Flüchtlingsrats hat ein Arzt der im siebten Monat schwangeren Frau M. eine Risikoschwangerschaft attestiert, weswegen sie nicht abgeschoben werden dürfe. Der CDU-geführte Landkreis Celle teilt mit, er habe die Frau nicht abgeschoben, um sie zu schützen. Er wolle ihr stattdessen eine „freiwillige Ausreise“ ermöglichen. Ihr Mann, der mehrere Suizidversuche unternommen haben soll, und ihre drei- bis zehnjährigen Kinder wurden trotzdem gegen ihren Willen mit einem Flugzeug von Berlin nach Georgien verfrachtet.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen, bezeichnete das Verhalten der Verantwortlichen als entsetzlich scheinheilig: „Wäre den Behörden tatsächlichen an Frau M. und ihrem ungeborenen Kind gelegen, dann hätten sie die Familie nicht auseinandergerissen.“

Die Rechtsanwälte der Famlie, Paulo Dias aus Hannover und Magdalena Gajczyk aus Minden, wiesen darauf hin, dass der Vater aufgrund seiner desolaten psychischen Verfassung nicht im Stande sei, die vier Kinder allein zu versorgen. Frau M. solle wohl „durch die Schaffung vollendeter Tatsachen dazu psychisch gezwungen werden, trotz Risikoschwangerschaft 'freiwillig’ auszureisen“, vermuten die Anwälte.

Hans-Joachim Janßen, migrationspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag

„Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig“

Besonders skandalös finden die Anwälte, dass sie erst um 9 Uhr über die nächtliche Abschiebung informiert worden seien. Um 10.50 Uhr hätten sie versucht, die drohende Abschiebung mit zwei Eilanträgen beim Verwaltungsgericht Lüneburg zu stoppen. Das Gericht habe sich jedoch nicht in der Lage gesehen, bis 12 Uhr eine Entscheidung zu treffen.

Der Fall belege „erhebliche menschenrechtliche und rechtsstaatliche Defizite, die regelmäßig im Zusammenhang mit Abschiebungen zu beobachten sind“, finden die Anwälte Dias und Gajczyk sowie der Flüchtlingsrat. Das seien zwei weitere Gründe, Abschiebungen überhaupt in Frage zu stellen.

Durch sein Vorgehen habe der Landkreis Celle „der Familie ihr Recht auf einen vorläufigen Rechtsschutz genommen“, kritisiert auch Hans-Joachim Janßen, der migrationspolitische Sprecher der Grünen im Landtag. „Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig.“

Das Verwaltungsgericht Lüneburg verwahrte sich gegen die Vorwürfe. „Den Antragstellern ist in kürzester Zeit umfassender Rechtsschutz zuteil geworden“, teilte eine Sprecherin mit und begründete das ausführlich: Nach Erhalt der Eilanträge hätte das Gericht zunächst den Abschiebebescheid bei den Anwälten anfordern müssen, den die Anwälte nicht mitgeschickt hätten.

Der schriftlich begründete Beschluss im asylrechtlichen Verfahren sei um 13.04 Uhr ergangen. Wäre ein Erfolg absehbar gewesen, hätte das Gericht einen Tenorbeschluss ohne ausführliche Begründung vor 12 Uhr fassen und die Beteiligten telefonisch hierüber informieren können. Die Richter hätten jedoch keine hinreichenden Erfolgsaussichten hierfür gesehen.

Das ausländerrechtliche Eilverfahren sei weiter anhängig. „Sollte sich dort, insbesondere aufgrund weiteren Vortrags der Antragsteller, ergeben, dass die Abschiebung ausländerrechtlich zu beanstanden ist und der Eilantrag Erfolg haben, könnte das Gericht eine Rückholung der Antragsteller anordnen“, teilte die Sprecherin mit.

Innenministerium gibt Rückendeckung

Aus Janßens Sicht sind mehrere Aspekte des Falls mit einer menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik nicht vereinbar: Familientrennung, Nachtabschiebung, Abschiebung besonders schutzbedürftiger Personen. Janßen fordert von der Landesregierung, die Familie zurückzuholen.

Wie der Landkreis Celle dem Evangelischen Pressedienst mitteilte, ist der Rechtsweg in dem Fall seit 2016 ausgeschöpft. Allen Familienmitgliedern sei das Bleiberecht verwehrt worden. Auch die Härtefallkommission habe einen Antrag der Familie auf Aufenthaltsrecht im Oktober abgelehnt. „Somit besteht für alle Familienmitglieder eine vollziehbare Ausreisepflicht“, sagt Pressesprecher Tore Harmening. Die Behörden hätten die Reisefähigkeit und die medizinische Versorgung der Familienmitglieder sichergestellt.

Rosa Legatis, Sprecherin des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius (SPD), sagte dem Evangelischen Pressedienst, wenn Personen ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht freiwillig nachkämen, seien sie laut Aufenthaltsgesetz abzuschieben. „Diese gesetzliche Rechtsfolge ist zwingend, hier haben die Ausländerbehörden keinen Ermessensspielraum.“ Das Vorgehen der Celler Ausländerbehörde sei nicht zu beanstanden.

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