Abschiebung einer kranken Frau gestoppt: Anschlussbehandlung muss sein
Das Verwaltungsgericht Braunschweig untersagt die Abschiebung einer schwer kranken Frau nach Russland. Lernen die Behörden etwas daraus?
Niedersachsens Flüchtlingsrat machte den Fall am Donnerstag öffentlich und übte heftige Kritik an der Behörde. Auch das Innenministerium in Hannover beharre auf der Abschiebung, mehrere Eingaben des Flüchtlingsrates seien zurückgewiesen worden. Erst „in letzter Minute“, so Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat, habe das Verwaltungsgericht Braunschweig die Abschiebung gestoppt. Der Landkreis Peine erklärte hingegen auf Anfrage, alles richtig gemacht zu haben.
Dem Flüchtlingsrat zufolge leidet die Frau schon seit Jahren an unterschiedlichen körperlichen und psychischen Erkrankungen, sie habe sich deshalb immer wieder in ambulante und stationäre Behandlung begeben müssen. Der Landkreis Peine spricht von Drogenabhängigkeit und Substitutionsbehandlung. Auf Antrag des Kreises, der dann einen entsprechenden Beschluss des Amtsgerichts Hannover erwirkte, wurde die Frau am 21. September im zentralen niedersächsischen Abschiebungsknast Hannover-Langenhagen inhaftiert.
Nach Ansicht des medizinischen Dienstes der Justizvollzugsanstalt darf die Betroffene gegenwärtig nicht abgeschoben werden, sie sei aufgrund ihrer Erkrankungen mindestens bis zum 10. Oktober nicht reisefähig, ihre zwingend erforderliche Anschlussbehandlung sei in Russland nicht gesichert.
Der Landkreis bestand jedoch auf der Abschiebung. Die Behörde wie auch das vom Flüchtlingsrat eingeschaltete Innenministerium haben Öztürkyilmaz zufolge den Inhalt der Atteste ignoriert. Sie hätten vielmehr „rein formaljuristisch“ argumentiert, dass die ärztlichen Bescheinigungen der JVA nicht den gesetzlichen Anforderungen genügten, weshalb die Reiseunfähigkeit nicht belegt sei. Zudem sei das Land Niedersachsen nicht dafür verantwortlich, eine Anschlussbehandlung zu organisieren.
Dem widersprach jetzt klar das Verwaltungsgericht Braunschweig, mit Beschluss vom Dienstag setzte es die Abschiebung zunächst bis zum 10. November aus. „Die mit dem Vollzug der Abschiebung betrauten deutschen Behörden haben in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten und gegebenenfalls die nötigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann“, heißt es in dem Urteil.
Und weiter: „Kann den Gesundheitsgefahren nicht durch entsprechende Vorkehrungen bei der Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens wirksam begegnet werden, muss – jedenfalls vorübergehend – eine Vollstreckung unterbleiben.“ Die Frau wurde denn auch unmittelbar nach dem Gerichtsbeschluss aus der Haft entlassen.
Der Sprecher des Landkreises Peine, Fabian Laaß, sagte, ein Antrag der Frau auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis sei rechtskräftig abgelehnt und sie mit Fristsetzung aufgefordert worden, Deutschland freiwillig zu verlassen. Weil sie dem nicht nachkam, sei die Abschiebung für den 28. September terminiert worden.
Mit Blick auf die Erkrankung der Frau erklärte Laaß, die Frau habe fast ein Jahr lang die Gelegenheit gehabt, ihren Gesundheitszustand durch entsprechende geeignete Atteste zu untermauern. Eine eventuelle Reiseunfähigkeit habe sie durch fachärztliche Atteste unverzüglich belegen müssen – das sei aber nicht erfolgt.
Der Landkreis findet, alles sei korrekt gelaufen
Bei der Aufnahme in der JVA Hannover-Langenhagen habe der Arzt den – schlechten – Gesundheitszustand der Frau auf die laufende Substitutionsbehandlung zurückgeführt. Dies sei jedoch „allerhöchstens ein zielstaatsbezogenes Problem“, meint Laaß. Der Landkreis habe gegen den medizinischen Bescheid Widerspruch eingelegt. Das Innenministerium habe die Auffassung des Landkreises geteilt, „die Abschiebung lief weiter“.
Am Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig übte Laaß Kritik, weil „die Substitution keinen Grund für eine Reiseunfähigkeit darstellt“. Aus Sicht des Landkreises jedenfalls sei in diesem Fall „alles korrekt abgelaufen“. Die Frau werde aufgrund des Richterspruchs nun mindestens bis zum 10. November geduldet.
Nach Ansicht des Flüchtlingsrates muss sich nun die Landesregierung „fragen lassen, ob die vom ärztlichen Dienst der Justizvollzugsanstalt erstellten Atteste überhaupt noch einen Wert haben, wenn sich Behörden und Ministerien nicht daran gebunden fühlen“. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei eine „schallende Ohrfeige für den Landkreis und das Innenministerium, die beiden für die Zukunft eine Lehre sein sollte“. Eine Sprecherin des Ministeriums in Hannover sagte der taz, vor einer inhaltlichen Stellungnahme müsse zunächst das Gerichtsurteil ausgewertet werden.
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