Abschiebestopp nach Afghanistan: Regierung prüft Bitte aus Kabul
Die afghanische Regierung bittet, Abschiebungen nach Afghanistan für drei Monate auszusetzen. In Berlin scheint man wenig Anlass zu erkennen.
Seit Beginn des internationalen Truppenabzug aus Afghanistan sind die Taliban auf dem Vormarsch. Nach eigenen Angaben haben sie mittlerweile drei Viertel des Landes eingenommen. Am Dienstag warnten die Extremisten auf Twitter, auch die „Besatzung“ der noch verbleibenden ausländischen Truppen bekämpfen zu wollen.
Die Bundesregierung plant trotz dieser Entwicklung aktuell keine Änderung der Abschiebepraxis. Wie Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte, werden Entscheidung über mögliche Rückführungen weiterhin „auf der Basis einer immer wieder aktualisierten, sehr genauen Beobachtung der Lage“ in den Herkunftsländern getroffen. Das Auswärtige Amt kündigte noch für diesen Monat einen neuen Bericht zur Sicherheitslage in Afghanistan an. Auf dieser Grundlage werde dann entschieden, „wie es weitergeht“, sagte Seibert.
Seit Dezember 2016 schiebt Deutschland abgelehnte Asylbewerber in Sammelflügen nach Kabul ab. Erst vergangene Woche wurden 27 Männer vom Flughafen Hannover nach Kabul gebracht. Es war der 40. Abschiebeflug aus Deutschland – und der erste seit dem vollendeten Abzug der Bundeswehr Ende Juni. Dass die Abwesenheit der internationalen Truppen die Sicherheitslage in Afghanistan grundlegend verschlechtere, ist bei den meisten Beobachter:innen unbestritten.
Finnland setzt Abschiebungen aus
Die Bundesregierung aber hält bislang an der Überzeugung fest, dass die Sicherheit der Abgeschobenen nicht überall im Land gefährdet sei. Inwieweit das nach dem Abzug der Nato immer noch gelte, ließ das Innenministerium am Dienstag auf Anfrage der taz unbeantwortet. Ein Sprecher verwies auf die Äußerungen von Regierungssprecher Seibert.
Zum Gesuch aus Kabul hieß es tags zuvor aus dem BMI, die Bitte der afghanischen Regierung werde „geprüft“, die Bundesregierung werde sich mit anderen europäischen Ländern austauschen. Finnland hat bislang als einziges Land angekündigt, dem Wunsch Kabuls nachzukommen.
Dass ein Abschiebestopp aus Deutschland politisch nicht gewollt ist, machte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, deutlich. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte der CDU-Abgeordnete: „Ich wüsste nicht, wie ein Stopp helfen könnte, die angespannte Sicherheitslage zu entspannen.“
Frei verwies zudem auf die niedrige Zahl der Abgeschobenen: „Ehrlicherweise kann ich diese konkrete Forderung nach einem Abschiebestopp nicht nachvollziehen, da es sich nur um sehr wenige Personen handelt“. Seit 2016 sind insgesamt etwas mehr als 1.000 Menschen nach Afghanistan zurückgebracht worden.
Kritik von den Grünen
Die grüne Bundestagsabgeordnete und Vize-Präsidentin des Bundestags, Claudia Roth, spricht von einer „innenpolitisch motivierten“ Abschiebepraxis, die auch schon vor dem Abzug der Nato-Truppen „falsch“ gewesen sei.
Dass die Bundesregierung auch jetzt, nach der Bitte Kabuls, an Abschiebungen festhält, bezeichnet Roth der taz gegenüber als „starrsinnig“: „Afghanistan ist nach wie vor ein vom Terror und Bürgerkrieg geplagtes Land, in dem kein Mensch sicher sein kann“, so Roth.
Wie gefährlich Afghanistan für die Abgeschobenen ist, hat vor kurzem eine Studie der Universität Bern gezeigt. Demnach drohen abgelehnten Asylbewerbern und deren Familien bei einer Rückkehr Gewalt, Diskriminierung und Stigmatisierung.
Die meisten aus Deutschland abgeschobenen Afghanen verlassen deshalb das Land kurz darauf wieder. Das Auswärtige Amt hatte eine Gefährdung für Abgeschobene in der Vergangenheit nicht feststellen können.
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